"Freiheit: die Möglichkeit, so zu leben, wie du willst."
So der Staatsmann und Philosoph Marcus Tullius Cicero vor mehr als zweitausend Jahren. Unsere Vorstellung von Freiheit hat sich seitdem nicht verändert, urteilt der Erkenntnistheoretiker Markus Gabriel. Freiheit heißt, tun können, was wir wollen.
"Wenn ich zwischen Jägerwurst und Currywurst wähle und nehme die Currywurst dann hatte ich die Wahlfreiheit. D.h. Abwesenheit von Zwang. "
Die interessante Frage, so der Professor für Philosophie an der Universität Bonn, sei nun aber, was gilt eigentlich als Zwang.
"Wir denken immer, wenn wir über Freiheit reden, geht es um Freiheit. Aber ich glaube, es geht eigentlich um Zwang. Unter welchen Bedingungen ist z.B. das Vorhandensein der Verkehrsordnung eine Form von Zwang. Wohl eigentlich unter keinen weil es uns erlaubt, Handlungsspielräume zu haben. Es ist ja sicherer auf der Straße wenn nicht jeder irgendwie fährt."
Freiheit bedinge sogar ein ganzes System von Zwängen; Gesetzen und Verboten.
"Wenn jeder jeden erschlagen kann, werden Sie sich dauernd unsicher fühlen auf der Straße. D.h. dadurch werden Sie letztlich unfreier, wenn Sie das Lebensmodell zu Ende denken. Das ist die kantsche Grundidee."
Kant, so Markus Gabriel, betonte auch, dass die Freiheit eines Individuums dort endet wo die Freiheit des Anderen anfängt. Und Recht und Gesetz würden regeln und abwägen, wie weit man gehen darf.
"Aus dem Grund gibt es auch Vergewaltigung in der Ehe, weil die Ehe nicht ein Vertrag ist zum beliebigen übereinander herfallen ohne Gründe. Sondern auch dort gibt es ein dauerndes Abwägen von Handlungsspielräumen."
Wer frei sein will, muss sich sicher fühlen können. Aber wer beispielsweise jetzt eine anonyme Gruppe von Migranten als sexuelle oder sonstige Bedrohung ansehe, mache sich unfrei. Eine Furcht vor Freiheit nennt Markus Gabriel das.
"Das ist ja genau das, was wir Terrorismus nennen. Terrorismus besteht nicht darin, dass Menschen etwas Bestimmtes tun, z.B. Bomben hochjagen usw. Das gehört zu dem Phänomen. Sondern Terrorismus besteht darin, dass man dadurch unfrei wird, dass man bestimmte Ängste und Vorstellungen übernimmt. Terrorismus kommt von Terror, Angst. Und diese Angst macht, wie man von Ängsten weiß, unfrei."
Wie weit Freiheit geht, wird determiniert von gesellschaftlichen Realitäten und von wissenschaftlichen Erkenntnissen, so der Philosoph und Verleger Dr. Sven Murmann. Beispiel Willensfreiheit.
"Das Willensfreiheitsthema vor drei-, vierhundert Jahren ist völlig anders diskutiert worden als es heute unter dem Einfluss der Gehirnforschung und der Neurobiologie etwa diskutiert wird. D.h. das Nachdenken, das Ringen um Freiheit hat sich über die Jahrhunderte immer wieder verändert und steht immer jeweils auch unter dem Einfluss derjenigen Wissenschaften, die stärksten sind."
Gegenwärtig sind Naturwissenschaftler, Philosophen und Ethiker enger zusammengerückt, sagt Sven Murmann. Nicht nur in der Hirnforschung.
"Denken Sie, um ein Thema herauszugreifen, an die ganze ethische Dimension der künstlichen Intelligenz. Wenn wir wirklich in der Lage sein sollten, Roboter zu bauen, die wie freie Wesen agieren. Die sich dann aber auch von uns und unserem Willen ablösen und in der Lage sind autonom zu agieren. Dann kommen wir an ethische Probleme, die wir heute noch gar nicht absehen können."
Wie frei also ist der Mensch angesichts der vielen neuen Entwicklungen und Probleme? fragt auch Dr. Ulrike Pluschke, die an der Bucerius Law School die Vortragsreihe konzipiert hat. Freiheit scheint bedroht. Durch Terror und Gewalt. Auch in Europa.
"Ein Europa in dem wir z.Zt. auch sehr starke antiliberale Tendenzen zu beobachten haben. Ein Europa, was sehr stark wieder in einem Diskurs begriffen ist, was eigentlich eine freiheitliche Gesellschaft ausmachen sollte. Das ist ein Thema, was uns beschäftigt. Wie schaffen wir es heute, dass wir in einer freiheitlichen Gesellschaft leben können."
Freiheit braucht auf alle Fälle mehr als nur Freiräume in die weder Staat noch Kirche oder andere Menschen reinreden, behauptet Dr. Lisa Herzog, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.
"Es gibt in der Philosophie diese traditionelle Unterscheidung von negativer und positiver Freiheit. Negative Freiheit meint die Abwehr von Eingriffen. Und positive Freiheit meint die Möglichkeit ein selbstbestimmtes Leben zu führen, das dann auch mit bedingt, dass man über bestimmte Ressourcen verfügen muss."
Ressourcen, das sind z.B. Talente und Möglichkeiten die einzusetzen, politische Mitbestimmung. Und in unserer Gesellschaft ist das auch Geld.
"Und gerade der Aspekt ist in der heutigen Welt sehr interessant, weil es ja nicht nur die willkürliche Macht von Herrschern gibt sondern auch die von mächtigen Wirtschaftsakteuren, von Finanzmärkten, von allen möglichen anderen Bereichen. Wo man sich fragt, haben wir eigentlich noch die demokratische Kontrolle über diese Machtverhältnisse."
Freie Märkte, so die Philosophin und Volkswirtin, eröffnen Freiheitsräume. Man kann frei entscheiden mit wem man Handel treibt. Aber:
"Es ist ne falsche Vorstellung zu denken, dass es einen reinen Zustand des freien Marktes gebe, in dem alle frei sind. Sondern wir haben immer schon die Rechte der Einen, die die Unfreiheiten der Anderen sind. Also womit darf gehandelt werden. Von wem? Wann?"
Im Marktgeschehen kann die Freiheit der Einen die Unfreiheit der Anderen bedeuten. Beispiel Sklavenhandel. So etwas gibt es heute nicht mehr. Aber wie ist es mit Produkten aus Billiglohnländern, mit Kinderarbeit? Oder mit bestimmten Finanzprodukten.
"Wenn dann z.B. ne Finanzkrise erzeugt wird, die es einzelnen sehr schwer macht, ihre Häuser zu behalten oder wenn sie ihre Jobs verlieren. Was letztlich auch alles Einschränkungen von Freiheit sind."
Es sei vor allem die Ungleichheit, die Freiheit einschränken würde, sagt Lisa Herzog. Beispiel: die sehr Wohlhabenden haben nicht nur die Freiheit, sich Luxusartikel zu kaufen. Sondern sie können auch ganze Gesellschaftsbereiche beeinflussen und damit unfaire Verhältnisse herstellen.
"Wenn sie z.B. im Gerichtswesen sich die besseren Anwälte leisten können, wenn sie sich für ihre Kinder die besseren Schulen und Universitäten leisten können. Und wenn sie damit letztendlich dazu beitragen können, dass das System zu ihren Gunsten verzerrt wird."
Was die Gesellschaft brauche, so Lisa Herzog, sei eine größere Balance. Wahre Freiheit bedeute nicht die Konzentration auf Marktfreiheit. Wahre Freiheit bedeute Gleichheit.
"Ich denke nicht, dass wir in allen Dimensionen und Hinsichten vollkommen gleich sein müssten. Aber bestimmte Formen von Ungleichheit sind mit gleicher Freiheit nicht vereinbar. Besonders dann wenn es um ungleiche politische Macht geht und um ungerechtfertigte und unkontrollierte Machtausübung, die dann eigentlich fast immer auf Kosten der Freiheit Anderer geht."