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"Vorwärts" und Co.
Vom Millionenseller zum Nischenprodukt

Sozialisten erkannten früh die Bedeutung journalistischer Arbeit: Auf den Spuren ihres bekanntesten Vorschreibers Karl Marx erreichten sogenannte Arbeiterzeitungen Ende der 1920er-Jahre in Deutschland Massen. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg verloren sie zunehmend an Relevanz.

Von Andreas Beckmann |
    Der "Vorwärts" im Druck.
    Der "Vorwärts" - schon für tot erklärt, erscheint das Traditionsblatt bis heute sechsmal im Jahr als Mitglieder-Zeitung. (picture alliance / dpa / Christian Charisius)
    "Das beständige Zeitungsschmieren enerviert mich. Es nimmt mir viel Zeit weg und ist schließlich doch nichts."
    Karl Marx war einer der erfolgreichsten Journalisten der Arbeiterbewegung, schließlich schrieb er als Europa-Korrespondent für die "New York Daily Tribune". Die war Mitte des 19. Jahrhunderts mit 200.000 Exemplaren nicht nur die größte Zeitung der Welt, sondern auch wichtige Informationsquelle für amerikanische Präsidenten. Doch vielleicht war das der Grund, warum Marx so wenig Spaß an dieser Arbeit hatte: Er wollte nicht als Edelfeder der Bürgerpresse glänzen, sondern mit Kampfblättern das Proletariat auf die Revolution vorbereiten. Zweimal hatte er das in den 1840er-Jahren versucht, mit der "Rheinischen" und der "Neuen Rheinischen Zeitung". Diese ursprünglich liberalen Blätter hatte er als Chefredakteur auf sozialistischen Kurs getrimmt, aber beide Male musste er sie auf Druck der Zensur einstellen.
    Zwar lieferte er auch danach noch immer wieder Artikel für Zeitungen diverser Arbeiter- und Gewerkschaftsvereine. Doch viel Wirkung konnten die nicht entfalteten in einer Arbeiterpresselandschaft, in der viele Zeitungen genauso schnell eingingen, wie sie entstanden. Erst als sich 1875 mit der SPD eine einheitliche Arbeiterpartei in Deutschland gebildet hatte, bekam die Bewegung ein Jahr später mit dem "Vorwärts" ein schlagkräftiges Zentralorgan.

    "Ich habe ein offiziöses Regierungsblatt verlassen - ich würde auch keinen Augenblick in einem offiziösen Partei-Regierungsblatt verbleiben."
    Das Karl-Marx-Monument ist eine 7,10 Meter (mit Sockel über 13 Meter) hohe und ca. 40 Tonnen schwere Plastik, die den Kopf von Karl Marx stilisiert darstellt. Es ist das bekannteste Wahrzeichen der Stadt Chemnitz und befindet sich im Stadtzentrum an der Brückenstraße nahe der Kreuzung zur Straße der Nationen.
    Karl Marx war einer der erfolgreichsten Journalisten der Arbeiterbewegung. (imago stock&people/ Schöning)
    Wilhelm Liebknecht benannte als erster Chefredakteur des "Vorwärts" früh den Zwiespalt, in dem Arbeiterjournalisten stets standen: Sie wollten parteitreu und doch unabhängig berichten. Anfangs gelang das bemerkenswert gut: Der "Vorwärts" fungierte als Sprachrohr des Parteivorstands und als lebendiges Diskussionsforum.
    Trotz Zensur und Verboten seitens der Reichsregierung stieg die Auflage auf 160.000 Exemplare am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Als in der Weimarer Republik endlich Pressefreiheit herrschte, etablierte die SPD gar ein regelrechtes Zeitungsimperium mit über 200 Titeln, die meisten regional verbreitet. Gleichzeitig erwuchs ihr in den Blättern der KPD eine mächtige ideologische Konkurrenz, die das Geschäft freilich belebte: Ende der 20er-Jahre erreichte die Gesamtauflage aller Arbeiterzeitungen mehrere Millionen.
    "Hallo, hallo, hier spricht Willi Münzenberg, ein Vertreter der Internationalen Arbeiterhilfe."
    Der ungelernte Arbeiter Willi Münzenberg hatte sich zum Verleger von Massenblättern hochgearbeitet, darunter die damals sehr moderne "Arbeiter Illustrierte Zeitung" mit ihren großen Fotostrecken. Obwohl Mitglied der KPD, betonte er stets seine Unabhängigkeit von den Funktionären. Tatsächlich beherrschte er das publizistische Handwerk auch viel besser als diese und schuf mit der Internationalen Arbeiterhilfe eine Organisation, die Notleidenden half, aber auch eine proletarische Filmproduktion aufbaute.
    "In der IAH sind neben Millionen parteiloser, kommunistischer und sozialistischer Arbeiter zahlreiche Wissenschaftler und Künstler vereint. Professor Einstein, Heinrich Mann, Käthe Kollwitz und viele andere haben die IAH nach Kräften gefördert."
    1933 zerschlugen die Nationalsozialisten sowohl die gesamte Partei- und Gewerkschaftspresse als auch den Medienkonzern Münzenbergs. Nach 1945 standen dann in Ostdeutschland alle Journalisten ganz offiziell im Dienst der Arbeiterklasse. Als die am 17. Juni 1953 den Aufstand probte, erkannte Ministerpräsident Otto Grotewohl, der als gelernter Drucker durchaus vom Fach war, als eine der Ursachen die notorische Schönfärberei der Zeitungen.
    "Man muss wahr und aufrichtig diese Dinge in der Presse in Zukunft behandeln. Je aufrichtiger wir sie behandeln, desto mehr werden uns das die Menschen mit wachsendem, neuen Vertrauen zurückgeben."
    Während den SED-Blättern weiterhin kaum jemand glaubte, bauten die Sozialdemokraten im Westen fast 30 Zeitungen wieder auf, darunter die "Rheinische Zeitung", das "Hamburger Echo" und den "Telegraf" in Berlin. Doch seit Mitte der 60er-Jahre scheiterten fast alle am Markt.
    "Die Geschichte des Vorwärts ist alt und in den letzten Jahren eine Leidensgeschichte. Wenn wir heute sie zusammengebeten haben, dann aus dem einfachen Grunde, weil das Thema der Weiterexistenz des 'Vorwärts' kein Thema mehr ist."

    Auch wenn der ehemalige RIAS-Redakteur Egon Bahr 1989 schon das Ende des Traditionsblattes verkündete, erscheint der "Vorwärts" bis heute sechsmal im Jahr als Mitglieder-Zeitung. Aber außerhalb der Partei nimmt ihn niemand mehr wichtig. Der letzte Kanzler der SPD, der bekennende Arbeitersohn Gerhard Schröder, ließ die Öffentlichkeit auf dem Höhepunkt seiner Macht wissen, für seine Kommunikationsstrategie brauche er nur "Bild, BamS und Glotze".
    Gerhard Schröders Telefon soll seit 2002 überwacht worden sein.
    Gerhard Schröder brauchte nur noch "Bild, BamS und Glotze" - und sein Handy. (dpa / picture-alliance / Gerard Cerles)