Er selbst nennt sich einen "Sozialisten" - starker Tobak für das antikommunistische Bollwerk Amerika. Und doch ist Bernie Sanders kein hoffnungsloser Außenseiter in den Vorentscheidungen der Parteien zur US-Präsidentschaftswahl 2016. In New Hampshire, dem zweiten Vorwahlstaat, liegt er in den Umfragen vor Hillary Clinton.
Was ist er für ein Mensch? Was unterscheidet ihn von ihr?
Eine Biographie im üblichen Sinne fehlt auf dem Buchmarkt. Wie die meisten Kandidaten hat zwar auch Sanders ein programmatisches Buch verfasst, mit dem er sich um das höchste Amt bewirbt. Wer aber den Blick von außen auf ihn sucht, greift zu Jonathan Tasinis Beschreibung "The Essential Bernie Sanders". Auch Tasini ist Sanders-Fan und Anhänger der Demokraten. Er stellt den linken Präsidentschaftsbewerber in dessen eigenen Worten vor, indem er aus dessen Reden im Kongress und aus Interviews zitiert.
Sanders wettert gegen die Macht der Ölkonzerne und der großen Banken
"Am 4. Juli feiern wir den Tag, an dem die Gründerväter die Unabhängigkeit von einem tyrannischen England erklärten. Heute ist die tyrannische Aristokratie keine ausländische Macht. Sondern es sind die Milliardäre, die unbegrenzte konomische und politische Macht über das amerikanische Volk haben … Wenn uns die Änderungen nicht gelingen, die nötig sind, um die himmelhohe Einkommensungleichheit zu reduzieren, wird dieses Land sich in eine Oligarchie verwandeln."
Sanders wettert gegen die Macht der Ölkonzerne und der großen Banken. Er fordert Steuererhöhungen für die Reichen. Barack Obamas Gesundheitsreform geht ihm nicht weit genug. Und er möchte das kostenlose Universitätsstudium in den USA wieder einführen. Finanzieren will er diese Bildungsreform durch eine sogenannte "Tobin-Steuer" auf alle Börsenumsätze. Es sei nicht hinnehmbar, dass Uni-Absolventen ihr Berufsleben mit hohen Schulden wegen der Studienkredite beginnen.
"1965 betrug die Studiengebühr für ein vierjähriges Studium im Schnitt 243 Dollar - und viele der besten Colleges verlangten gar keine. Diese Investition in höhere Bildung funktionierte. Die USA lagen weltweit an der Spitze beim Prozentsatz der Bürger mit College-Abschluss. Heute liegen wir traurigerweise auf Platz 12. Es ist Zeit für einen grundlegenden Wandel."
In der Debatte um Klimawandel und Umweltschutz vertritt Sanders ebenfalls progressive Ansichten. Den Bau der geplanten großen Pipeline von Kanada nach Texas lehnt er ab:
Sanders Schwachstellen bleiben unbeleuchtet
"Unsere Kinder und Enkel werden sich in einigen Jahrzehnten den Kopf kratzen: Was für Leute waren diese Abgeordneten, die 2015 für den Bau der Keystone-Pipeline stimmten? Wie konnte es geschehen, dass sie nicht auf die überwältigende Mehrheit der Wissenschaftler hörten, die sagen, dass wir die Treibhausgase reduzieren müssen und nicht vermehren? Unsere Kinder und Enkel werden fragen: Warum habt ihr uns das angetan?"
So führt Tasini den Leser mit Sanders-Zitaten durch 20 Politik-Gebiete von Wirtschaft und Bildung über Arbeitsbedingungen und Familienwerte bis Außenpolitik und Einwanderung. Sein Ansatz hat zwei Nachteile. Erstens hat Sanders nicht zu allen diesen Einzelfragen aktuelle Reden gehalten. Zum Teil sind die Zitate mehrere Jahre alt.
Zweitens bleiben so Sanders Schwachstellen unbeleuchtet. Unscharf bleiben seine Positionen gerade bei den Wahlkampfthemen, bei denen Sanders von den eigenen Anhängern kritisiert wird, darunter seine liberale Haltung zum Waffenrecht. Nach den jüngsten Schießereien musste er sich vorhalten lassen, dass er zu viel Verständnis für Waffenbesitzer zeige. Er lebt in Vermont, einem Staat, wo die Jagd und Gewehre im eigenen Haus zum Alltag gehören:
"Ich kann verstehen, wenn manche Demokraten und Republikaner, die in Innenstädten wohnen, kein Zielschießen üben und nicht viel mit Waffen zu tun haben. Aber in meinem Staat gehen die Menschen auf die Jagd und in Übungsschießstände. Es ist wichtig, dass wir über die kulturellen Unterschiede in diesem Land sprechen. Das städtische Amerika muss verstehen, dass Familien mit ihren Kindern jagen gehen … Und dass man diesen Lifestyle nicht verdammen darf."
Er ist ein typisch amerikanischer Linker
Solche Passagen sind gerade für europäische Leser spannend. Sie zeigen: Auch wenn Sanders in den USA als "Sozialist" gilt, macht ihn das nicht zu einem Linken im europäischen Sinn. Er ist ein typisch amerikanischer Linker. Und deshalb, zum Beispiel, nicht automatisch ein Verbündeter in der Debatte um das atlantische Freihandelsabkommen TTIP. Sanders lehnt Freihandelsabkommen mit Billig-Lohn-Ländern wie Mexiko, Südkorea, Vietnam oder China ab, auch wegen seines Bündnisses mit den Gewerkschaften:
"Wie sollen amerikanische Arbeiter in der Lage sein, mit verzweifelten Menschen zu konkurrieren, die nur 23 Cent die Stunde verdienen? … Es ist so viel billiger für US-Konzern, Fabriken in China zu bauen und ihnen 75 Cent die Stunde zu zahlen … als amerikanischen Arbeitern 15 oder 20 Dollar die Stunde, dazu die Krankenversicherung, und auch noch mit Gewerkschaften zu tun zu haben."
Wie Sanders hingegen zum Freihandel mit Europa und mit Kanada steht, wo die Billiglohn-Einwände nicht greifen, wird nicht klar.
Tasinis Zitate-Buch schließt mit einem kurzen Lebenslauf von Bernie Sanders. Die zwei Seiten lassen ahnen, welch spannende Lektüre eine ausführliche Biografie aus der Feder eines kritischen Begleiters wäre: Wie es den Sohn polnischer Einwanderer aus Brooklyn nach Vermont verschlug und er nach Zwischenstationen als Filmemacher und Schreiner zum einzigen sozialistischen Senator wurde. Bis eine solche Biografie erscheint, bleibt Tasinis Buch ein nützlicher Notbehelf.
Jonathan Tasini: "The Essential Bernie Sanders and his Vision for America"