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Vorweihnachtsgeschäft
Paketboten im Dauereinsatz

Der Konzern Deutsche Post DHL findet es unverständlich, dass heute in fast allen der 33 Brief- und Paketverteilzentren Betriebsversammlungen der Gewerkschaft ver.di stattfinden. Die Gewerkschaft stört, dass 10.000 Menschen nur befristete Verträge erhalten, damit das Weihnachtsgeschäft reibungslos klappt.

Von Henning Hübert | 05.12.2014
    "Rauskommen, so, Gas geben. Mein Name ist Ramiz Sherifoski. Bin 47 Jahre alt, ich wohne in Neuwied. Ich arbeite bei Hermez, bin ein Kurierfahrer. Mit meinem Fahrzeug, mit meinem Sprit. Und heute haben wir 162 Pakete, 142 Stopps. Im Dezember wird es mehr, doppelt mehr."
    Der Sprinter des Paketboten Ramiz Sherifoski hat schon 190 Tausend Kilometer auf dem Tacho. Auf dem Armaturenbrett liegen zehn kleinere Päckchen. Der Kofferraum ist bis zu den Kopfstützen voll gestapelt mit Pappkartons und weißen Folienhüllen. Meist ist da Kleidung drin, von den Kunden schnell mit ein paar Clicks im Internet geordert. In den schweren Pappkartons: Fernseher, Drucker und jede Menge Weinflaschen.
    Klingeln, Warten, Treppensteigen
    Ausgeliefert wird nur gegen Unterschrift des Empfängers. Deshalb heißt es alle paar Meter: Klingeln, Warten, Treppensteigen oder Nachbarn bitten, zu quittieren. Seine Tour startet in Rheinbreitbach südlich von Bonn. Selbst eingescannt und eingeladen hat er die 162 Pakete am frühen Morgen im Auslieferungslager in Bad Hönningen. Am späten Nachmittag wird er dort noch einmal vollladen, für andere Orte. Bezahlt wird seine Arbeitszeit – pro Stunde bekommt er 10 Euro:
    "Jetzt muss man für diese zehn Euro brutto ungefähr zwischen 15 und 25 Pakete pro Stunde abgeben. Wenn Auto etwas schadet, dann wir sind Pleite."
    Amazon: Mehr als 53 Bestellungen pro Sekunde
    Viele selbstständige Subunternehmer halten in den Job nur so lange durch, wie ihr Auto mitmacht. Aber Rücklagen für Reparaturen zu bilden, gelingt bei den Preisen in der Branche nicht. Auf etwa jedem zweiten Paket steht das Logo des Online-Händlers Amazon. Fragt man im bundesweit größten Logistikzentrum in Werne nach der Bestell-Welle, die Weihnachten jetzt auslöst, dann herrscht da so etwas wie gebannte Vorfreude. Standortleiter Lars Krause über den Tag mit den allermeisten Bestellungen:
    "Im letzten Jahr war das am 15. Dezember. Mehr als 53 Bestellungen pro Sekunde haben wir da da bekommen. Wir erwarten, dass auch in diesem Weihnachtsgeschäft sehr viele Kunden bei uns bestellen. 4,6 Millionen Artikel wurden an dem Tag bestellt über die deutsche Website."
    In Werne bewältigen diesen Konsumberg 800 zusätzliche saisonale Mitarbeiter. Sie bekommen den Einstiegslohn der eintausend fest angestellten Kollegen in den beiden riesigen Lagerhallen: 10 Euro 31 brutto pro Stunde. Auch in Werne gab es in diesem Herbst Streiks von Gewerkschaftern, die für eine tarifliche Zuordnung zum Einzelhandel fordern. Das bis auf Sonntag durchlaufende Verteil-Geschäft irgendwie beeinflusst haben die Streik-Aktionen nicht, sagt der Logistik-Chef.
    Befristet bis Ende Dezember und überhaupt nicht in Streik-Laune ist der gelernte Buchhalter Jefferson Figueroa. Der Spanier ist wegen der Wirtschaftskrise nach Deutschland gekommen und jetzt bei Amazon ein so genanter Picker. Seine Aufgabe: Die bestellte Ware aus den endlos langen Regalen holen, einscannen, und auf einem Wagen zur Verpackungs-Station ziehen. Jede Schicht wandert er so weite Strecken auf Asphalt, die Route gibt ihm sein Scanner vor:
    "Ja, mein Fuß tut weh. Ich denke 15 Kilometer oder 10, ungefähr. Ich will nur ins Bett gehen und sofort schlafen."
    Schlechtbezahlter Knochenjob
    Während die Armada der LKW-Fahrer die Papp-Pakete mit Ware zu den Verteilzentren der Paketdienste fährt. Auf der letzten Meile puffern keine Saisonkräfte den Stress mit den Weihnachtspaketen ab. Ramiz Sherifoski bekommt keinen zweiten Fahrer für seine Ortschaften, sondern muss einfach mehr ausliefern - bis spät in den Abend hinein. Endlich die gesprungene Windschutzscheibe austauschen lassen? Oder Mittagessen an der Frittenbude? Dafür hat er keine Zeit. Aber Arbeit ohne Ende:
    "Hoffen wir. Aber bei dieser Branche darf man nur überleben."
    Am Ende der Tour tippt der Hermesbote auf den Deckel des Aschenbechers. Das ist seine Spardose, in die er das Trinkgeld der Kunden liegt. Langsam geht der Deckel nach oben. Die Summe der lieben Kundschaft von gestern und heute: genau 1 Euro.