Etwa 120 Studenten sitzen in einem Hörsaal im obersten Stock der University of Management and Economics, einer privaten Hochschule in Sihanoukville, rund 250 km von Kambodschas Hauptstadt Phnom Penh. Sie sitzen auf Plastikstühlen an Zweiertischen, die in vier langen Reihen stehen. Die männlichen Studenten tragen schwarze Hosen und weiße oder blaue Hemden, die Studentinnen weiße Blusen und schwarze Röcke. Ventilatoren rühren die monsunschwüle Luft durch den Raum. Draußen geht gerade mit großer Wucht ein weiterer schwerer Regenschauer nieder.
Vorne im Raum steht Neth Pheaktra. Der 32-Jährige ist für die Öffentlichkeitsarbeit am Rote Khmer-Tribunal zuständig. Jede Woche reisen Mitarbeiter des Gerichts durch das Land. Sie fahren in Dörfer und an Schulen und Universitäten und berichten über die Arbeit des Tribunals. So sollen die Menschen mehr über das Gericht erfahren, vor dem derzeit gegen die drei ranghöchsten noch lebenden ehemaligen Anführer der Roten Khmer verhandelt wird. Neth Phektra beginnt mit seiner Präsentation.
Er erzählt den Studenten, dass das Gericht 2003 durch ein Abkommen zwischen der kambodschanischen Regierung und den Vereinten Nationen entstanden ist. 2006 hat es seine Arbeit als halb-internationaler Gerichtshof aufgenommen: Die Teams von Richtern, Ermittlungsrichtern, Anklägern und Anwälten setzten sich aus kambodschanischen und internationalen Mitarbeiter zusammen. Dann erklärt Neth Pheaktra, was die Aufgabe des Gerichts ist: Die Hauptverantwortlichen für den Tod von geschätzt 1,7 Millionen Menschen sollen zur Rechenschaft gezogen werden.
Die Menschen in Kambodscha beobachten die Verfahren vor dem Tribunal sehr genau. Für viele Kambodschaner ist es enorm wichtig, dass derzeit die ranghöchsten Entscheidungsträger der Roten Khmer vor Gericht stehen. Die Verfahren haben jedoch noch eine andere Funktion: Für viele Menschen hat erst jetzt - nach über drei Jahrzehnten - eine Aufarbeitung der Verbrechen von damals begonnen.
Ou Virak von der Organisation "Cambodian Center for Human Rights” erklärt, warum das so ist:
"Das Tribunal hat viel Staub aufgewirbelt und viele Leute dazu gebracht, zurückzuschauen, was in den 1970ern passiert ist. Viele der Opfer, Folteropfer, Menschen, die gelitten haben und die Familienmitglieder verloren haben, haben das Geschehene lange verdrängt und wollten sich nicht darüber austauschen.Jetzt sind die Menschen aber generell ein wenig offener."
Doch seit einiger Zeit belastet ein Verdacht die Arbeit des Gerichts: Sollen neue Ermittlungen zu weiteren Verbrechen aus der Roten-Khmer-Zeit bewusst verzögert oder gar verhindert werden? Der Schweizer Laurent Kasper-Ansermet vermutet eine entsprechende Vorgabe seitens der Regierung und hat vor einem halben Jahr seine Arbeit als Ermittlungsrichter am Tribunal unter Protest niedergelegt.
Obwohl das Gericht bislang fast 200 Millionen US-Dollar gekostet hat, wird derzeit gerade einmal das zweite Verfahren verhandelt. Im vergangenen Jahr hat das Tribunal Kaing Guek Eav, den ehemaligen Lagerleiter des Foltergefängnisses S-21, zu lebenslanger Haft verurteilt. Derzeit wird den drei noch lebenden ranghöchsten Anführern der Roten Khmer der Prozess gemacht.
Ginge es nach Kambodschas Premier Hun Sen, würde es bei diesen zwei Verfahren bleiben. Hun Sen hat mehrfach öffentlich erklärt, dass er keine weiteren Anklagen sehen möchte. Der Menschenrechtsaktivist Ou Virak:
"Viele führende Funktionäre in der derzeitigen Regierung hatten selbst Kontakte zu den Roten Khmer. Sie möchten nicht, dass ihre eigene Vergangenheit ans Tageslicht kommt. Während die Regierung ein Interesse daran hat, vor der internationalen Gemeinschaft gut dazustehen, möchte sie gleichzeitig den Menschen in Kambodscha vermitteln, dass sie die Gerichte kontrolliert."
Für besonders großen Wirbel hat in den vergangenen Wochen das Verteidigerteam von Nuon Chea gesorgt, der ehemaligen Nummer Zwei der Roten Khmer. Seine Anwälte haben mehrfach versucht, vor Gericht zu erklären, dass führende Mitglieder der jetzigen Regierung in die Verbrechen von damals verwickelt sein könnten. Mehrfach hat sie der Vorsitzende Richter dabei unterbrochen. Der Niederländer Jasper Pauw, einer der Anwälte von Nuon Chea, erklärt, was es damit auf sich hat.
"Wenn wir als Verteidiger versuchen, gewisse Fakten und gewisse Verbrechen zu untersuchen, dann stoppen uns die Richter und der kambodschanische Vorsitzende Richter des Tribunals. Sie möchten nichts über die Verbrechen hören, die Funktionäre der derzeitigen Regierung begangen haben. Es gibt Indizien dafür, dass die Nummer Zwei und Nummer Drei des derzeitigen Regimes für Morde verantwortlich sind, die in den 1970er-Jahren begangen worden sind. Aber jedes Mal, wenn ich das vor Gericht anspreche, wird mir das Mikrofon abgestellt. Das Problem ist, dass es hier keine unabhängige Justiz gibt. Alle Richter hören direkt auf Premierminister Hun Sen."
Viele Beobachter warten nun ab, was in den kommenden Tagen geschehen wird. Dann soll der Amerikaner Mark Harmon seine Arbeit als neuer internationaler Ermittlungsrichter am Tribunal aufnehmen. Harmon war 17 Jahre lang Ankläger am Jugoslawien-Kriegsverbrecher-Tribunal in Den Haag und gilt als sehr integer. Viele seiner Kollegen erwarten von ihm, dass er die festgefahrenen Ermittlungen vorantreibt.
Der Australier William Smith, stellvertretender Ankläger am Tribunal, hofft, dass Harmons Ernennung den entscheidenden Schub bringen wird.
"Ich bin definitiv der Ansicht, dass die kambodschanische Regierung und die UN eine Vereinbarung unterschrieben haben, die besagt: Alle Funktionsträger, ob Ermittlungsrichter oder Ankläger, sollen weder Anweisungen von der Regierung entgegen nehmen, noch soll die Regierung die Entscheidungen beeinflussen.
Jetzt hoffe ich, dass die Ernennung von Mark Harmon ein positives Zeichen ist sowohl von der UN als auch der kambodschanischen Regierung, dass diese festgefahrenen Fälle nun ohne Unterbrechungen und ohne Druck fortgeführt werden können."
Einige Prozessbeobachter äußern sich hierzu noch deutlicher. Sie sehen in der Ernennung des neuen Ermittlungsrichters die letzte Chance für das Tribunal, die Verfahren gegen die Verbrechen der Roten Khmer zu einem guten Abschluss zu bringen.
Vorne im Raum steht Neth Pheaktra. Der 32-Jährige ist für die Öffentlichkeitsarbeit am Rote Khmer-Tribunal zuständig. Jede Woche reisen Mitarbeiter des Gerichts durch das Land. Sie fahren in Dörfer und an Schulen und Universitäten und berichten über die Arbeit des Tribunals. So sollen die Menschen mehr über das Gericht erfahren, vor dem derzeit gegen die drei ranghöchsten noch lebenden ehemaligen Anführer der Roten Khmer verhandelt wird. Neth Phektra beginnt mit seiner Präsentation.
Er erzählt den Studenten, dass das Gericht 2003 durch ein Abkommen zwischen der kambodschanischen Regierung und den Vereinten Nationen entstanden ist. 2006 hat es seine Arbeit als halb-internationaler Gerichtshof aufgenommen: Die Teams von Richtern, Ermittlungsrichtern, Anklägern und Anwälten setzten sich aus kambodschanischen und internationalen Mitarbeiter zusammen. Dann erklärt Neth Pheaktra, was die Aufgabe des Gerichts ist: Die Hauptverantwortlichen für den Tod von geschätzt 1,7 Millionen Menschen sollen zur Rechenschaft gezogen werden.
Die Menschen in Kambodscha beobachten die Verfahren vor dem Tribunal sehr genau. Für viele Kambodschaner ist es enorm wichtig, dass derzeit die ranghöchsten Entscheidungsträger der Roten Khmer vor Gericht stehen. Die Verfahren haben jedoch noch eine andere Funktion: Für viele Menschen hat erst jetzt - nach über drei Jahrzehnten - eine Aufarbeitung der Verbrechen von damals begonnen.
Ou Virak von der Organisation "Cambodian Center for Human Rights” erklärt, warum das so ist:
"Das Tribunal hat viel Staub aufgewirbelt und viele Leute dazu gebracht, zurückzuschauen, was in den 1970ern passiert ist. Viele der Opfer, Folteropfer, Menschen, die gelitten haben und die Familienmitglieder verloren haben, haben das Geschehene lange verdrängt und wollten sich nicht darüber austauschen.Jetzt sind die Menschen aber generell ein wenig offener."
Doch seit einiger Zeit belastet ein Verdacht die Arbeit des Gerichts: Sollen neue Ermittlungen zu weiteren Verbrechen aus der Roten-Khmer-Zeit bewusst verzögert oder gar verhindert werden? Der Schweizer Laurent Kasper-Ansermet vermutet eine entsprechende Vorgabe seitens der Regierung und hat vor einem halben Jahr seine Arbeit als Ermittlungsrichter am Tribunal unter Protest niedergelegt.
Obwohl das Gericht bislang fast 200 Millionen US-Dollar gekostet hat, wird derzeit gerade einmal das zweite Verfahren verhandelt. Im vergangenen Jahr hat das Tribunal Kaing Guek Eav, den ehemaligen Lagerleiter des Foltergefängnisses S-21, zu lebenslanger Haft verurteilt. Derzeit wird den drei noch lebenden ranghöchsten Anführern der Roten Khmer der Prozess gemacht.
Ginge es nach Kambodschas Premier Hun Sen, würde es bei diesen zwei Verfahren bleiben. Hun Sen hat mehrfach öffentlich erklärt, dass er keine weiteren Anklagen sehen möchte. Der Menschenrechtsaktivist Ou Virak:
"Viele führende Funktionäre in der derzeitigen Regierung hatten selbst Kontakte zu den Roten Khmer. Sie möchten nicht, dass ihre eigene Vergangenheit ans Tageslicht kommt. Während die Regierung ein Interesse daran hat, vor der internationalen Gemeinschaft gut dazustehen, möchte sie gleichzeitig den Menschen in Kambodscha vermitteln, dass sie die Gerichte kontrolliert."
Für besonders großen Wirbel hat in den vergangenen Wochen das Verteidigerteam von Nuon Chea gesorgt, der ehemaligen Nummer Zwei der Roten Khmer. Seine Anwälte haben mehrfach versucht, vor Gericht zu erklären, dass führende Mitglieder der jetzigen Regierung in die Verbrechen von damals verwickelt sein könnten. Mehrfach hat sie der Vorsitzende Richter dabei unterbrochen. Der Niederländer Jasper Pauw, einer der Anwälte von Nuon Chea, erklärt, was es damit auf sich hat.
"Wenn wir als Verteidiger versuchen, gewisse Fakten und gewisse Verbrechen zu untersuchen, dann stoppen uns die Richter und der kambodschanische Vorsitzende Richter des Tribunals. Sie möchten nichts über die Verbrechen hören, die Funktionäre der derzeitigen Regierung begangen haben. Es gibt Indizien dafür, dass die Nummer Zwei und Nummer Drei des derzeitigen Regimes für Morde verantwortlich sind, die in den 1970er-Jahren begangen worden sind. Aber jedes Mal, wenn ich das vor Gericht anspreche, wird mir das Mikrofon abgestellt. Das Problem ist, dass es hier keine unabhängige Justiz gibt. Alle Richter hören direkt auf Premierminister Hun Sen."
Viele Beobachter warten nun ab, was in den kommenden Tagen geschehen wird. Dann soll der Amerikaner Mark Harmon seine Arbeit als neuer internationaler Ermittlungsrichter am Tribunal aufnehmen. Harmon war 17 Jahre lang Ankläger am Jugoslawien-Kriegsverbrecher-Tribunal in Den Haag und gilt als sehr integer. Viele seiner Kollegen erwarten von ihm, dass er die festgefahrenen Ermittlungen vorantreibt.
Der Australier William Smith, stellvertretender Ankläger am Tribunal, hofft, dass Harmons Ernennung den entscheidenden Schub bringen wird.
"Ich bin definitiv der Ansicht, dass die kambodschanische Regierung und die UN eine Vereinbarung unterschrieben haben, die besagt: Alle Funktionsträger, ob Ermittlungsrichter oder Ankläger, sollen weder Anweisungen von der Regierung entgegen nehmen, noch soll die Regierung die Entscheidungen beeinflussen.
Jetzt hoffe ich, dass die Ernennung von Mark Harmon ein positives Zeichen ist sowohl von der UN als auch der kambodschanischen Regierung, dass diese festgefahrenen Fälle nun ohne Unterbrechungen und ohne Druck fortgeführt werden können."
Einige Prozessbeobachter äußern sich hierzu noch deutlicher. Sie sehen in der Ernennung des neuen Ermittlungsrichters die letzte Chance für das Tribunal, die Verfahren gegen die Verbrechen der Roten Khmer zu einem guten Abschluss zu bringen.