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Vorwürfe gegen Baerbock
Trittin (Grüne): Das strukturkonservative Lager mobilisiert "alles, was es hat"

Bei den Vorwürfen gegen die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, gehe es gar nicht um den Fehler, sagte der Grünen-Politiker Jürgen Trittin. Dahinter stehe eine politische Grundsatzfrage. Allerdings werde Baerbock auch mit anderen Maßstäben gemessen als ihr konservativer Kontrahent Armin Laschet (CDU).

Jürgen Trittin im Gespräch mit Thielko Grieß |
Jürgen Trittin, Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen, spricht bei seiner Rede auf der digitalen Landesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen in Niedersachsen.
Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen) sieht eine "Schmutzkampagne" der "Bild"-Zeitung gegen die Kanzlerkandidatin seiner Partei, Annalena Baerbock (dpa | Mohssen Assanimoghaddam)
Nach der Publikation des Buchs "Jetzt. Wie wir unser Land erneuern" steht die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock in der Kritik: Ihr werden Urheberrechtsverletzungen vorgeworfen. Jürgen Trittin (Grüne) betonte im Deutschlandfunk, dass der Ullstein Verlag, bei dem das Buch erschienen ist, keine Urheberrechtsverletzung erkennen könne. Er sei von der Kontroverse aber nicht überrascht. Wenn sich der Wahlkampf auf die Frage zuspitze: Schwarz oder Grün, dann mobilisiere das strukturkonservative Lager "alles, was es hat".
Annalena Baerbock, Kanzlerkandidatin und Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, sitzt zu Beginn der Vorstellung ihres Buches «Jetzt. Wie wir unser Land erneuern» mit einem Exemplar in der Hand auf der Bühne.
Was hinter den Plagiatsvorwürfen steckt
Annalena Baerbock soll für ihr Buch "Jetzt: Wie wir unser Land erneuern" Urheberrechtsverletzungen begangen haben. Das behauptet zumindest der Medienwissenschaftler Stefan Weber. Sind die Vorwürfe gegen die Spitzenkandidatin der Grünen berechtigt oder schon Teil des Wahlkampfs? Ein Überblick.
Die Berichte der "Bild"-Zeitung über die Kanzlerkandidatin der Grünen bezeichnete Trittin als "Schmutzkampagne" – als solche sei sie von der Pressefreiheit auch gedeckt. Er wies damit Vorwürfe zurück, die Grünen hätten Probleme mit der Pressefreiheit. Die Reaktion von "Bild"-Chef Julian Reichelt auf den Vorwurf, eine "Schmutzkampagne" gegen Grün zu betreiben, nannte Trittin "weinerlich".
Die Grünen würden sich in diesem Wahlkampf nicht an Schmutzkampagnen beteiligen, sondern weiter über Inhalte reden. Es gehe um die Grundfrage, ob man – so wie beim Konzept Laschet - angesichts disruptiver Krisen wie der Corona-Pandemie und der Klimakrise "bräsig weitermachen wolle wie bisher" oder Veränderungen wirklich angehen, sagte Trittin. Dabei seien Fehler unausweichlich.

Das Interview im Wortlaut:
Thielko Grieß: Hätte Annalena Baerbock dieses Buch besser nicht veröffentlicht?
Jürgen Trittin: Ach, Bücher in politischen Wahlkämpfen, da hat, glaube ich, Marco Buschmann recht, und ich trete damit niemandem zu nahe, das sind halt Werbeschriften, und entscheidend ist, was sozusagen die Aussage ist, und die Aussage ist: Wir müssen jetzt verändern. Das ist die Kernaussage, die aus ihrer Biografie begründet dort wird, und vielleicht würde es sich ja mal lohnen, über den Inhalt zu reden …
Annalena Baerbock (r), Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, und Robert Habeck, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen
Was im Wahlprogramm der Grünen steht
Mehr Klimaschutz, ein schnellerer Kohleausstieg, mehr Investitionen, aber auch höhere Schulden. Die Grünen haben ihr Programm zur Bundestagswahl mit 98 Prozent Zustimmung beschlossen. Die wichtigsten Inhalte – und Knackpunkte.
Grieß: Machen wir gleich.
Trittin: … und nicht so zu tun …
Grieß: Machen wir gleich, aber Herr Trittin, trotzdem, es ist ja keine Werbeschrift, das ist ja kein Flyer, der bei mir im Briefkasten lag, das ist ein Buch mit mehr als hundert Seiten, mit Einband und Verlag – Ullstein-Verlag, renommierter Verlag. Kann man da einfach Textstellen kopieren?
Trittin: Gut, der Verlag hat gesagt, er hätte das ausführlich geprüft, sorgfältig lektoriert, und er kann keine Urheberrechtsverletzung erkennen. Insofern, ja, was soll’s? Wenn jetzt jemand ankommt, der von sich selber sagt, er organisiere eine Kampagne gegen Annalena Baerbock, der schon vergeblich versucht hat, sie in ihrem Hochschulabschluss zu kritisieren und ähnliche Dinge …
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"Strukturkonservatives Lager mobilisiert alles, was es hat"

Grieß: Sie meinen den Österreicher, der …
Trittin: … dann ist das so, und dann muss man das so zur Kenntnis nehmen.
Grieß: … der diese Textstellen untersucht hat.
Trittin: Das entspricht dann so ein bisschen dem Rezept, was ich mal in den USA von Steve Bannon gehört habe, "flood the zone with shit", sodass sozusagen über Inhalte nicht mehr geredet wird. Es wird nicht mehr darüber geredet …
Grieß: Können Sie das übersetzen?
Trittin: Ja, das heißt, flute den Raum mit Schmutz, um das nicht ganz wörtlich zu übersetzen, weil wir ja beim Deutschlandfunk sind. Das ist das Rezept, wo man versucht, politische Diskussionen zu erschlagen und stattdessen ad personam argumentiert, und genau das erleben wir ja gerade. Das ist der Ausdruck einer Auseinandersetzung, die ich … Ich bin nicht überrascht, weil es war klar, wenn sich dieser Wahlkampf zuspitzt auf die Frage Schwarz oder Grün, dann mobilisiert sozusagen das strukturkonservative Lager an dieser Gesellschaft alles, was es hat.

"Sie werden immer einen Fehler finden"

Grieß: Warum bietet Ihre Partei, Herr Trittin, so einfache, so simple Angriffsflächen?
Trittin: Ach, wissen Sie, das gehört auch zu dieser Strategie hinzu. Selbstverständlich hat jede …
Grieß: Das gehört zur Grünen-Strategie, Angriffsflächen?
Trittin: Nein, zu dieser "flood the zone with shit"-Strategie. Sie werden immer irgendetwas finden, wo Sie einen kleinen oder größeren Fehler gemacht haben, und wenn man sich dann gegen die Kampagne wehrt, dann wird man gefragt, ja, sagen Sie mal, haben Sie nicht selber auch dazu beigetragen. Und so beschäftigt man sich damit. Das haben wir gar nicht vor, sondern wir haben eher vor, darüber zu reden, wie jemand als Kanzlerkandidat antreten kann, der bei einem Streitgespräch – immerhin im Rahmen einer Veranstaltung der Münchner Sicherheitskonferenz – nicht mal weiß, dass Deutschland in Mali zwei Missionen hat und das wenige Tage, nachdem in dieser Mission zwölf Soldaten, einige davon sehr schwer, verletzt worden sind.
Grieß: Das war Scholz oder Laschet?
Trittin: Das war Armin Laschet.

"Wir haben kein schlechtes Verhältnis zur Pressefreiheit"

Grieß: Werden die Grünen zurückfluten?
Trittin: Nein, wir werden das tun, was wir uns für diesen Wahlkampf vorgenommen haben, wir reden über Inhalte. Wir reden darüber, dass man nicht auf der einen Seite in Nordrhein-Westfalen den Ausbau der Windenergie zum Stillstand bringen kann, dass man Klagerechte von Bürgerinitiativen beschneiden, also solche Klagen wie die erfolgreiche Klage vom Bundesverfassungsgericht unterbinden will, und dann gleichzeitig sagen, ich bin ganz überrascht, dass Klimaschutz plötzlich ein Thema ist, während in Kanada wir Temperaturen von fast 50 Grad haben – wohlgemerkt, in Kanada, nicht in der Karibik. Darüber werden wir reden und uns nicht an solchen Methoden beteiligen.
Grieß: Ihre Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock ist ja bekannt für ihr Streben nach Perfektion, das Lernen gehört für sie dazu, das Lernen aus Fehlern. Sie will Dinge besser machen, will besser werden. Was glauben Sie, wie sehr muss sie sich jetzt über diese, ich nenne es noch mal, simplen Angriffsflächen und simplen Fehler ärgern?
Trittin: Sicherlich ärgern wir uns darüber, aber ich glaube, wir haben alle inzwischen verstanden, worum es geht. Es geht gar nicht um den Fehler, es geht darum, die politische Diskussion über die Frage, soll in diesem Lande angesichts einer, nicht einer, mehrerer disruptiver globaler Krisen, von der Pandemie bis zur Klimakrise, soll man in diesem Lande einfach bräsig so weitermachen wie bisher – das ist das Konzept Laschet, das ist schwarz –, oder müssen wir in diesem Lande wirklich zu tiefgreifenden, und das heißt auch schwierigen Veränderungen kommen. Und wie bei jeder Veränderung sehen Sie, wer nichts macht, macht auch keine Fehler, aber natürlich macht man auch in einem solchen Prozess Fehler. Das ist die Grundfrage.
Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende der Grünen
Fraktionsvorsitzende: "Baerbock liefert und die Grünen werden liefern"
Zum Start des Bundesparteitages der Grünen hat Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt ihrer Parteikollegin Annalena Baerbock den Rücken gestärkt. Baerbock habe ihre Fehler eingeräumt und sei eine glaubwürdige Kanzlerkandidatin, sagte sie im Dlf.
Grieß: Wissen Sie, was mich gerade wundert? Wir sprechen ja schon ein paar Minuten miteinander, und Sie haben noch nicht einmal auf die "Bild"-Zeitung geschimpft.
Trittin: Ich bin da ja befangen. Die "Bild"-Zeitung hat heute behauptet, die Grünen hätten ein schwieriges Verhältnis zur Pressefreiheit. Nun, die "Bild"-Zeitung hat über mich mal eine vorsätzlich gefälschte Fotomontage veröffentlicht …
Grieß: Das war der Bolzenschneider vor 20 Jahren.
Trittin: Genau, das war nicht das einzige Mal. Ich weiß, dass die "Bild"-Zeitung in dieser Situation massiv eine Kampagne gegen uns fährt, aber damit haben wir noch kein schlechtes Verhältnis zur Pressefreiheit. Es ist von der Pressefreiheit gedeckt, Kampagnen zu fahren, es ist von der Pressefreiheit gedeckt, auch Schmutzkampagnen zu fahren, man darf dann nur nicht so weinerlich wie Julian Reichelt sein, wenn man dann benannt wird – das ist eine Kampagne, das ist eine Schmutzkampagne –, und dann sagen, das ist aber mit der Pressefreiheit nicht zu vereinbaren. Dieses Mimimi passt nicht zu einer selbstbewussten Haltung.

Unterschiedliche Maßstäbe

Grieß: Dennoch, wenn Annalena Baerbock etwas weniger häufig die Tastenkombination Steuerung-C und Steuerung-V gedrückt hätte, kopieren und einfügen, dann hätte die "Bild"-Zeitung auch weniger Material.
Trittin: Noch mal, es macht keinen Sinn, sich über so etwas lange aufzuhalten. Das Buch ist eine klare Botschaft, wir müssen jetzt dieses Land verändern, darüber streiten wir, und wir sind in einer Situation, in der massiv und gut finanzierte Lobbygruppen – ich erinnere an die Anzeigenkampagne der Initiative "Neue soziale Marktwirtschaft" – versuchen, alles zu tun, die Grünen durch Diffamierung, durch Verleumdung, durch Aufgreifen von kleinen Fehlern und Ähnliches in die Ecke zu stellen. Und dann erleben wir auf der anderen Seite eine CDU unter Herrn Laschet, die versucht, das alte Rezept von Frau Merkel zu kopieren, nämlich asymmetrische Mobilisierung oder Demobilisierung im Wahlkampf zu machen und einfach so zu tun, als gebe es ihn gar nicht.
Grieß: Allerdings ist es auch so, dass Herr Laschet nicht aufgefallen ist in den vergangenen Wochen. Erst durch das Vergessen von Zahlungen beim Bundestag, das ist bei Annalena Baerbock der Fall gewesen, dann durch Auffälligkeiten im Lebenslauf, und ein so, na ja, simpel formuliertes Buch vielleicht an manchen Stellen hat er auch nicht vorgelegt.
Trittin: Das hat ja auch etwas mit der Person zu tun. Armin Laschet ist halt schon vom Ruf her ein Schlunzi, und der Umstand, dass er Klausuren von Studierenden bewertet, die in seinem Kurs überhaupt nicht gewesen sind, aus dem einfachen Grund, weil er die Klausuren vorher verbaselt hatte, das fällt bei Herrn Laschet nicht weiter auf. Wir finden auch nicht, dass das ein politisches Argument ist, aber da sehen Sie mal, mit welch unterschiedlichen Maßstäben Menschen in diesem Lande gemessen werden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.