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Vorwürfe gegen NGOs im Mittelmeer
"Das ist gelogen"

Arbeiten private Rettungsschiffe im Mittelmeer Hand in Hand mit den Schleppern? Den Vorwurf macht unter anderem Innenminister Thomas de Maizière (CDU). Hans-Peter Buschheuer von der Organisation "Sea Eye" weist das zurück. Rettungsorgsanisationen für die Flüchtlingskrise verantwortlich zu machen, sei eine Umkehrung der Verhältnisse, sagte er im Dlf.

Hans-Peter Buschheuer im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker |
    Ein Rettungsboot der privaten Hilfsinitiative "Sea Eye", an der unter anderem der deutsche Journalist Hans-Peter Buschheuer beteiligt ist. "Sea Eye" versucht, das Elend der Flüchtlinge auf maroden Booten durch Erstversorgung zu lindern.
    "Wir machen einen Job, den eigentlich die Staaten machen sollten. Erst waren die Flüchtlinge da - dann die Retter", sagte Hans-Peter Buschheuer, Mitorganisator der Privatinitiative "Sea Eye e.V." im Dlf. (Sea Eye e.V.)
    Der Vorwurf gegen die NGOs lautet, sie würden sich nahe an der libyschen Küste positionieren und den Schleppern Lichtzeichen geben - die würden daraufhin die Flüchtlingsboote losschicken. Damit begünstigten die Organisationen das Geschäft der Schlepper, sagte etwa der CSU-Politiker Michael Frieser im Deutschlandfunk.
    "Das ist weit hergeholt", entgegnete Buschheuer - und sei technisch unmöglich: Die Erdkrümmung verhindere, dass Lichtzeichen auf so eine lange Distanz überhaupt sichtbar seien. Zudem habe "Sea Eye" auf seinen Booten keine solche Vorrichtungen. "Außerdem finden die meisten Rettungen tagsüber statt", so Buschheuer. Auch dringe seine Organisation nicht in die Zwölf-Meilen-Zone vor der libyschen Küste vor, die für private Boote gesperrt ist. Das westliche Mittelmeer sei eines der am besten überwachten Seegebiete - Regelverstöße würden bemerkt werden.
    Die Schlepper kalkulierten natürlich damit, dass Retter vor Ort seien. Das hätten sie aber auch schon gemacht, als es noch die Rettungsmission "Mare Nostrum" gab. "Als die eingestellt wurde, starben tausende von Menschen", sagte Buschheuer. "Das ist der Anlass, warum es uns gibt. Wir machen einen Job, den eigentlich die Staaten machen sollten. Erst waren die Flüchtlinge da - dann die Retter". Die Menschen würden auch fliehen, wenn es die Retter auf dem Meer nicht gäbe. "Die Not treibt die Menschen aufs Meer und nicht die Tatsache, dass es uns gibt."

    Das Interview in voller Länge:
    Ann-Kathrin Büüsker: Seit Beginn des Jahres sind mehr als 110.000 Menschen über das Mittelmeer nach Europa gekommen. Die meisten von ihnen landen in Italien an. Das Land kommt deshalb an seine Grenzen. Die EU-Innenminister haben in den letzten Wochen mehrfach beraten, wie sie damit nun umgehen sollen, und dabei auch immer wieder Kritik an privaten Rettungsorganisationen geäußert. Zwölf Schiffe von neun Organisationen sind im Mittelmeer unterwegs, um Menschen vor dem Ertrinken zu retten.
    Der Vorwurf zahlreicher Politiker, unter anderem auch von Innenminister Thomas de Maizière: Die Organisationen würden dabei zu Handlangern der Schlepper. Der Verein "Sea Eye e.V." ist eine der Organisationen, die im Mittelmeer unterwegs sind. Hans-Peter Buschheuer ist Mitorganisator und Sprecher der Initiative. Guten Morgen!
    Hans-Peter Buschheuer: Schönen guten Morgen.
    Büüsker: Herr Buschheuer, der CSU-Abgeordnete Michael Frieser, der hat gestern hier im Deutschlandfunk gesagt, dass die NGOs mit Schleusern kooperieren würden. Es gäbe Beweise dafür, dass die privaten Schiffe den Schleusern Lichtsignale geben, um zu zeigen, dass sie da sind, damit die Schlepper die Flüchtlinge losschicken können. Stimmt das?
    Buschheuer: Das ist natürlich weit hergeholt und eigentlich ist es gelogen und es sind Vorwürfe, die seit einem halben Jahr schon vor allen Dingen in rechtsradikalen Kreisen gegen uns erhoben werden. Es ist technisch schon mal unmöglich, weil die Erdkrümmung verhindert, dass auf so lange Entfernungen überhaupt Lichtzeichen erkannt werden könnten am Strand. Zum anderen ist es so, dass die allermeisten Rettungen tagsüber stattfinden. Lichtzeichen machen überhaupt keinen Sinn. Abgesehen davon kann sich jeder in Malta auf unseren Schiffen davon überzeugen, dass wir solche Einrichtungen gar nicht auf unserem Schiff haben.
    "Können nachweisen, wie unsere Routen verlaufen"
    Büüsker: Es gibt außerdem den Vorwurf, dass die Rettungsschiffe immer wieder in den Korridor eindringen würden, in den sie gar nicht rein dürfen, die zwölf Seemeilen vor der libyschen Küste, die die Schiffe nicht befahren dürfen. Der Vorwurf lautet, das tun sie trotzdem. Wie steht es damit?
    Buschheuer: Es passiert in der Tat gelegentlich, dass Schiffe von uns in die Zwölf-Meilen-Zone einfahren, um Schiffbrüchige oder notleidende Schiffe zu retten. Das geschieht aber nur auf Anweisung des MRCC in Rom. Das ist eine Koordinierungsstelle, die dem italienischen Verteidigungsministerium untersteht und die die Rettungshoheit im westlichen Mittelmeer hat. Wir selber fahren nicht in die Zwölf-Meilen-Zone. Wir operieren in der 24-Meilen-Zone, nachts 36 Meilen vor der libyschen Küste.
    Büüsker: Ich habe es eben angesprochen, es gibt zwölf Schiffe von neun Organisationen. Würden Sie für all die die Hand ins Feuer legen, dass die sich alle an die Regeln halten?
    Buschheuer: Wir sprechen nur für uns und wir können klipp und klar nachweisen, wie unsere Routen verlaufen, wie unsere Rettungen verlaufen. Das ist dokumentiert in jedem einzelnen Fall. Im Übrigen muss man sagen, es gibt kaum ein Seegebiet auf der Welt, das mehr überwacht wird, auch militärisch überwacht wird, wie das westliche Mittelmeer. Wenn Beweise gegen uns vorliegen würden, das Militär hätte sie schon längst vorgelegt. Das ist aber nicht der Fall. Wir sind vor zwei italienischen Ausschüssen, Parlamentsausschüssen eindeutig "freigesprochen" worden - freigesprochen worden insofern, dass diese Vorwürfe gegen uns völlig gegenstandslos sind. Dennoch werden sie erhoben, unter anderem von Thomas de Maizière. Das finden wir völlig unverständlich und eigentlich nur dem Wahlkampf geschuldet.
    Büüsker: Die "Zeit"-Journalistin Mariam Lau, die war im Juni mit Ihrer Organisation unterwegs und hat Anfang Juli einen Bericht darüber veröffentlicht. Ich möchte gerne eine Passage daraus zitieren. Sie beschreibt einen Tag, an dem das Wetter ruhig ist, sonnig, eigentlich ideal, um Flüchtlingsboote loszuschicken, sage ich mal. Die "Sea Eye" war zu diesem Zeitpunkt das einzige Boot weit und breit.
    Und sie schreibt dann, jetzt zitiere ich: "Die Schlepper wissen inzwischen genau, welche Hilfsorganisation wie viele Kapazitäten hat, und die der "Sea Eye" sind klein. Die Schlepper verfolgen, ob die "Sea Watch" in der Nähe ist, oder die "Golfo Azzurro", oder die "Iuventa", das Schiff der Organisation "Jugend rettet". Alle drei sind größer als die "Sea Eye". Sobald sie auftauchen, wie das ein paar Tage später der Fall ist, starten plötzlich 20 oder 30 Flüchtlingsboote gleichzeitig." Wie ist das aus Ihrer Sicht? Kalkulieren die Schlepper tatsächlich mit der Kapazität der Rettungsboote?
    Buschheuer: Na ja. Sie kalkulieren damit, dass überhaupt Retter vor Ort sind. Sie kalkulieren ja auch mit Militär, mit Küstenwache und mit jedem Schiff, das kommt, und sie versprechen natürlich ihren Leuten, dass sie gerettet werden. Anders würde dieses wirklich schweinische Geschäftsmodell auch nicht funktionieren.
    Sie können natürlich genauso wie jeder andere im Vesseltracker und in anderen Internetseiten nachgucken, wo befinden sich die Schiffe? Die Schiffe senden ja Signale aus, das ist internationale Vorschrift, AIS-Signale, und da können die natürlich ungefähr sehen, wo welche Schiffe sind. Aber die Beobachtung von Frau Lau ist einfach falsch in diesem Zusammenhang. Die Schiffe fahren raus, wenn das Wetter entsprechend ist. Das beschreibt sie ja auch.
    Meistens oder häufig herrscht sogenannter auflandiger Wind. Das heißt, die Wetterverhältnisse sind so, dass diese Schlauchboote überhaupt nicht rausfahren können. Ändert sich das Wetter, schlägt es um, dann kommen alle gleichzeitig. Das ist das Phänomen, das Frau Lau da beobachtet hat, aber falsch eingeschätzt hat.
    "Erst waren die Flüchtlinge da, dann die Retter"
    Büüsker: Herr Buschheuer, Sie haben aber gerade erläutert, dass die Schlepper tatsächlich damit rechnen, dass die Rettungsboote da sind und die Flüchtlinge in Empfang nehmen. Heißt das dann nicht für Ihre Arbeit, dass Sie doch in gewisser Weise Hand in Hand in diesem System mit den Schleusern arbeiten?
    Buschheuer: Nein, das heißt es nicht, weil 2014 gab es ja die von der EU finanzierte und von der italienischen Küstenwache organisierte Aktion Mare Nostrum. Die haben in einem Jahr 150.000 Menschen gerettet. Das wurde dann eingestellt, auf Druck übrigens von Thomas de Maizière, der damals Verteidigungsminister war. Dann starben tausende und abertausende von Menschen, die ertrunken sind, die mit der gleichen Hoffnung, gerettet zu werden, rausgefahren oder rausgeschickt worden sind.
    Und das ist der eigentliche Anlass dafür gewesen, warum es Organisationen wie uns gibt, die einen Job machen, den eigentlich die Staaten machen sollten, die viel besser dafür ausgerüstet und ausgebildet sind. Erst waren die Flüchtlinge da, dann die Retter, und so wird es auch jetzt laufen. Wenn man uns daran hindert zu retten, wenn man uns militärisch daran hindern sollte zu retten, werden die Menschen trotzdem flüchten. Das war immer schon so und das war in der Vergangenheit so und das wird auch in Zukunft so sein, denn die Not treibt die Menschen aufs Meer und nicht die Tatsache, dass wir vor Ort sind.
    Büüsker: Die Politik sucht jetzt ja nach Lösungskonzepten. Die EU-Innenminister wollen jetzt die Ausfuhrbestimmungen für Schlauchboote und Außenbordmotoren ändern. Für mich klingt das, ehrlich gesagt, so, als sei die Politik insgesamt ein bisschen hilflos in dieser Hinsicht. Wie beurteilen Sie das?
    Buschheuer: Ob das was bringt, ist die Frage. Ob man auf die Art und Weise alle Kanäle schließen kann, weiß ich nicht. Da kann ich nichts dazu sagen. Aber was die Beobachtung der Hilflosigkeit betrifft, muss ich Ihnen recht geben. Hilflos ist es ja auch schon, wenn man die NGOs, die Lebensretter, im Grunde genommen für die Flüchtlingskrise verantwortlich macht. Das kehrt ja die Verhältnisse um. Da haben Sie absolut recht mit der Hilflosigkeit.
    "Aktion Mare Nostrum wieder einsetzen"
    Büüsker: Was ist dann Ihr Vorschlag, um die Flucht über das Mittelmeer zu stoppen?
    Buschheuer: Die Flucht zu stoppen, ist nicht der Grund, warum es uns gibt. Wir sind keine Fluchthelfer und wir sind auch nicht für mehr Flucht, sondern wir sind nur für die humanitäre Ersthilfe am Ort zuständig oder fühlen uns zuständig. Wir transportieren ja auch keine Migranten, sondern wir statten sie nur mit lebensrettenden Mitteln aus. Die Flüchtlingspolitik muss von der Politik gemacht werden, von den europäischen Staaten.
    Was wir fordern ist, dass die Aktion Mare Nostrum wieder eingesetzt wird, dass Frontex wieder sich aktiv an der Rettung beteiligt. Alles andere, Fluchtverhinderung, muss dort stattfinden, wo die Flucht beginnt, nämlich in den Staaten, wo die Menschen vertrieben werden.
    Büüsker: Dass die Aktion Mare Nostrum wieder gestartet wird, ist ja derzeit politisch vollkommen utopisch. Im Gegenteil: Italien blockiert gerade sogar eine Fortführung der Mission Sophia, ein Einsatz im Mittelmeer, um Schleuser zu stoppen, nicht explizit eine Rettungsmission. Was bedeutet es jetzt für Ihre Arbeit, wenn Sophia nicht fortgesetzt wird?
    Buschheuer: Das wird unsere Arbeit erschweren, weil wir und die Lebensrettung insgesamt darauf angewiesen ist, dass die Menschen, die gerettet werden, auch evakuiert werden. Man kann die Operation Sophia stoppen, aber man kann nicht die internationalen Gesetze außer Kraft setzen, die sagen, wenn Menschen in Seenot geraten, müssen sie gerettet werden, und jeder muss sie retten, der auf dem Meer ist, egal ob es ein militärisches oder ein privates Schiff ist. Das heißt, diese Verantwortung fällt dann auf die EU und auf die Militärs zurück, und wir befürchten natürlich tausende von Toten. Wir haben davon gesprochen, dass es für viele ein Todesurteil bedeutet.
    Büüsker: … sagt Hans-Peter Buschheuer. Er ist Mitorganisator und Sprecher der Initiative "Sea Eye e.V.". Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen hier im Deutschlandfunk.
    Buschheuer: Danke schön! Guten Morgen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.