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Vorwürfe gegen Pharmakonzern Novartis
Medikamententests an Obdachlosen

Dem Schweizer Pharmakonzern Novartis wird vorgeworfen, bewusst ethische Standards missachtet zu haben. 2007 wurde in Polen ein Impfstoff gegen Vogelgrippe an Obdachlosen getestet, ohne deren Wissen und ohne ausreichende Betreuung. Ein Opfer fordert jetzt finanzielle Entschädigung.

Von Dietrich Karl Mäurer |
    Spritze
    Spritze mit Injektionslösung (imago/Jochen Tack)
    Mit Hochdruck suchten 2007 Pharmaunternehmen nach einem wirksamen Schutz vor dem Vogelgrippe-Virus. In einer polnischen Klinik ließen sich seinerzeit auch Obdachlose gegen einen kleinen Obolus Spritzen verabreichen. Damit nahmen sie an einem großangelegten Medikamentenversuch für einen Impfstoff des Pharmakonzerns Novartis teil – ohne es zu wissen und ohne ausreichende medizinische Betreuung. Während der Klinikleiter und sieben seiner Mitarbeiter inzwischen verurteilt wurden, blieb Novartis außen vor. Das sei nicht zu verstehen, findet der Züricher Anwalt Philip Stolkin, denn es handele sich dabei um ein immer gleiches Vorgehen:
    "Man sucht sich also arme Länder aus, um dann zu billigen Versuchen schnell zu kommen. Die werden immer unter großem Zeitdruck gemacht. Und Folge des Zeitdrucks ist, dass dann eben die good clinical practice nicht gewahrt wird. Die Menschenwürde wird meines Erachtens verletzt."
    Im Auftrag der globalisierungskritischen Organisation "Public Eye" fordert Philip Stolkin nun für einen der damals betroffenen Obdachlosen von Novartis eine finanzielle Entschädigung und Gewinnbeteiligung. Es geht um umgerechnet rund 92.000 Euro.
    "Er wusste nichts davon, dass Novartis diese Testungen gemacht hat, bis er von ´Public Eye` darauf angesprochen wurde. Er war äußerst überrascht und selbstverständlich fühlt er sich als Versuchskaninchen."
    Novartis war Auftraggeber und Sponsor
    Für Anwalt Philip Stolkin ist der Fall klar: Novartis war Auftraggeber und Sponsor des klinischen Versuchs. Das Unternehmen sieht sich jedoch nicht in der Verantwortung. Schriftlich teilte Novartis mit:
    "Wir möchten an dieser Stelle ausdrücklich hervorheben, dass gegen Novartis in Verbindung mit diesem Fall niemals ermittelt wurde... Novartis hat sich verpflichtet, stets die höchsten Standards einzuhalten und erwartet dies auch von ihren externen Geschäftspartnern."
    Mit Blick auf das Verfahren in Polen heißt es von Novartis: Man sei erleichtert, dass diejenigen, die sich wegen betrügerischer Machenschaften schuldig gemacht haben, zur Rechenschaft gezogen worden sind. Zur aktuellen Entschädigungsforderung gibt man sich zugeknöpft:
    "Im Fall der von Ihnen angesprochenen anderen Klage bitten wir Sie um Verständnis, dass sich Novartis zu grundsätzlich zu laufenden Verhandlungen nicht näher äußert."
    Bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
    Anfang Juli kommt es zunächst zu einer Schlichtungsverhandlung. Sollte die nicht erfolgreich verlaufen, will Anwalt Philip Stolkin den Fall bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte tragen:
    "Dann wird es in erster Instanz sicher abgelehnt. In zweiter Instanz sicher auch abgelehnt und dann werden wir zum Schluss in Straßburg landen."
    Vor Gericht dürfte vor allem darüber gestritten werden, wem die direkte Verantwortung nachgewiesen werden kann: der Schweizer Novartis Zentrale, der für die Impfstoffentwicklung zuständigen deutschen Novartis-Tochter in Marburg oder der polnischen Klinik, die die Tests damals durchgeführt hat. Unabhängig davon sieht Anwalt Philip Stolkin eine moralische Dimension:
    "Es geht auch bisschen darum, dass man mindestens hier in der Schweiz mal sagen kann, ein Konzern, der Menschen gefährdet durch seine Handlung, hat auch dafür einzustehen."