Ein heute 40-jähriger gebürtiger Litauer stand für den Neuanfang in der Ukraine: Aivaras Abromaticius nahm Ende 2014 die ukrainische Staatsbürgerschaft an und wurde Wirtschafts- und Entwicklungsminister in Kiew. Für ihn sprach: Er leitete zuvor das Kiewer Büro einer schwedischen Investmentgesellschaft. Er hatte sein Geld also nicht im Gewebe von korrupter Politik und undurchsichtigen Konzerne verdient. Er war unabhängig von den berüchtigten Oligarchen, die das Land mal mehr, mal weniger offensichtlich steuern.
Doch nutzen konnte Abromavicius das nicht, jedenfalls nicht so, wie er sich das vorgestellt hatte. Nach seinem Rücktritt erklärte er: "Es geht hier nicht nur um einen Mangel an Unterstützung oder an gutem Willen. Unsere Reformbemühungen werden aktiv gelähmt. Es fängt damit an, dass ich und meine Familie plötzlich keinen Personenschutz mehr bekommen. Und es hört damit auf, dass ich zweifelhafte Persönlichkeiten in mein Team aufnehmen und an Schlüsselpositionen in Staatsunternehmen setzen soll. Aber ich und mein Team werden nicht als Feigenblatt dienen dafür, dass alte Schemata wieder installiert und neue aufgebaut werden, die einzelnen Politikern und Geschäftsleuten nutzen."
Schallende Ohrfeige
Damit verabreichte Abromavicius den führenden Politikern des Landes eine schallende Ohrfeige. Sie wollten offenbar wieder die Geldströme vor allem im Gashandel und im Verteidigungshaushalt kontrollieren, so sein Vorwurf. Den er vor allem an das Lager von Präsident Petro Poroschenko richtete: Der stellvertretende Vorsitzende von dessen Fraktion im Parlament wolle seinen Vertrauten im Ministerium installieren, so Abromavicius. Ein Anrufer direkt aus der Präsidentenkanzlei soll das noch unterstrichen haben.
Poroschenko nahm zu dem Vorwurf nicht Stellung. Die Anti-Korruptionsbehörde solle sich damit auseinandersetzen, erklärte der Präsident. Und er sicherte Abromavicius seine volle Unterstützung zu.
"Der einzige Ausweg ist eine komplette Regierungsumbildung."
Doch diese Reaktion sei viel zu wenig, meinen auch Abgeordnete aus Porschenkos Parlamentsfraktion, so der ehemalige Journalist Serhij Leschtschenko.
"Der einzige Ausweg, den ich sehe, ist eine komplette Regierungsumbildung. Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk sollte gehen, auch Innenminister Arsenij Awakow und andere. Sonst gerät die Ukraine unter eine Lawine, die uns alle begräbt. Und alles endet wie im Jahr 2005."
Orangefarbenen Revolution
2005 - das Jahr nach den ersten Massendemonstrationen in Kiew, der sogenannten orangefarbenen Revolution. Damals blieben die Reformbemühungen im Ansatz stecken, nachdem die ehemalige Opposition an die Macht gekommen war. Die verschiedenen Oligarchengruppen konnten sich neu sortieren und ihre Macht sichern. Auch damals war der heutige Präsident Poroschenko maßgeblich mitverantwortlich - auf ihn hörte der damalige Präsident Viktor Juschtschenko.
Doch heute ist die Ukraine in einer viel ernsteren Situation. Sie hängt am Tropf des Internationalen Währungsfonds, sonst wäre sie pleite. Die Vorsitzende des Währungsfonds, Christine Lagarde, zeigte sich besorgt, offenbar griffen die Anti-Korruptionsmaßnahmen der Regierung nicht, sagte sie. Andere ausländische Beobachter beschwichtigten, so der kanadische Botschafter in Kiew Roman Waschuk:
"Die Sache ist dem neuen Anti-Korruptions-Büro übertragen worden. Das wird ein Testfall für diese neue Institution, die gerade ihre Arbeit aufgenommen hat. Westliche Partner haben es unterstützt, dass dieses Büro entsteht, ebenso die spezielle Staatsanwaltschaft, die sich nur mit Korruption befasst. Diese Einrichtungen sollten jetzt ihren Job machen, ohne dass westliche Länder sich einmischen."
So könnte der Rücktritt von Abromavicius zur Stunde der Wahrheit für die Ukraine werden, meinen manche: Sie müsse nun zeigen, ob der begonnene Reformweg das Land vielleicht langsam, aber doch immerhin nachhaltig verändert.