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Voth: Sie hat bei der Geldpolitik übertrieben

Die verstorbene britische Premierministerin Margaret Thatcher habe sich "enorm um die britische Volkswirtschaft verdient gemacht", sagt der Wirtschaftshistoriker Hans-Joachim Voth. Dennoch, ergänzt er, hat sie auch Wurzeln für die enorme Spekulationsblase in England und anderswo gelegt.

Hans-Joachim Voth im Gespräch mit Birgid Becker |
    Birgid Becker: Margaret Thatcher im Abwehrgefecht gegenüber dem früheren EU-Kommissionspräsidenten Jacques Delors.
    Margaret Thatcher starb heute im Alter von 87 Jahren. Als britische Premierministerin hat sie in den 1980er-Jahren die Weltpolitik geprägt in Teilen, die Europapolitik im Wesentlichen und die Innenpolitik ihres Landes zur Gänze. Würdigen wir die "Eiserne Lady, und damit einen guten Tag an den Wirtschaftshistoriker Hans-Joachim Voth.

    Hans-Joachim Voth: Guten Tag, Frau Becker!

    Becker: Margaret Thatchers harter Kurs gegen die britischen Gewerkschaften, ihre Kürzungen im Sozialbereich, ihre Privatisierungswelle, das alles hat sie zur überaus umstrittenen politischen Person gemacht. Professor Voth, was wiegt heute mehr in der Erinnerung an Margaret Thatcher, die wunden, die sie geschlagen hat, oder auch der Verdienst um ihr Land?

    Voth: Ich glaube, es gibt keinen Zweifel daran, dass Maggie Thatcher sich enorm um die britische Volkswirtschaft verdient gemacht hat und den jahrzehntelangen Abstieg Englands nicht nur gestoppt, sondern zu einem guten Teil wieder rückgängig gemacht hat. Die Frage gibt es eigentlich nicht, und das hat viel damit zu tun, wenn man die Gewerkschaften unter ihrer Premierministerschaft erfolgreich tatsächlich auf ein vernünftiges Maß zurückgestutzt hat. Sie hat aber auch gleichzeitig - und das muss man sagen - zum Beispiel die Wurzeln gelegt für die enormen Spekulationsblasen in Hausmärkten in England und anderswo und auch in den Finanzmärkten durch die Deregulierung, die in der Londoner City unter ihrer Ägide passiert ist.

    Becker: An welchen Stellen war der Kurs dann doch übertrieben, wo ging sie in die Irre?

    Voth: Sie hat, glaube ich, zum Beispiel beim Thema Geldpolitik enorm übertrieben und die damalige Ideologie des Monetarismus in einer Art und Weise umgesetzt, die in England dazu führte, dass nicht nur die Inflationsrate nicht runterging, sondern gleichzeitig es zu enorm hohen Schwankungen innerhalb der Wachstumsraten in England kam damals, und sie hat enorm übertrieben bei der Umsetzung der Steuerpolitik, vor allem beim Thema Kopfsteuer, die bis dahin, bis zu ihrer Premierministerschaft eigentlich nur in afrikanischen Kolonien in der Form umgesetzt wurde.

    Becker: Wir haben zu Beginn der Sendung so ein europapolitisches Nein der "Eisernen Lady" gehört, und was Europa und die Briten angeht, da scheint sich doch an der grundsätzlichen Linie aus London gar nicht so viel geändert zu haben. Da ist die "Eiserne Lady" ja fast eine ewige Lady geworden.

    Voth: Das ist richtig. Der Gedanke, dass Europa nicht nur eine große Familie ist, in der wir uns alle ganz wahnsinnig lieb haben und alle füreinander einstehen, sondern dass Länder immer noch Interessen haben und man darüber nachdenken muss, was Europa wirklich bietet und was es nicht bietet, das ist ein Gedanke, den Maggie Thatcher dazu beigetragen hat, und England passt immer noch zum restlichen Teil Europas in der Hinsicht wie der wunde Finger.

    Becker: Nun war Margaret Thatcher überaus umstritten. So kompromisslos, wie sie war, muss es doch im Nachhinein sehr erstaunen, dass sie es auf drei Amtszeiten bringen konnte, oder nicht?

    Voth: Das stimmt! Sie war eine enorm erfolgreiche Premierministerin und hat die englische politische Landschaft in einer Art und Weise überformt, wie man das nur in ganz wenigen Zeitpunkten überhaupt beobachten kann, und letzten Endes muss man sagen, das war auch ein Triumph für die Frauen, für den Feminismus. So wie Golda Meir und Indira Gandhi ist mit Margaret Thatcher eine ganz große Politikerin heute von uns gegangen.

    Becker: Danke! - Eine Würdigung der verstorbenen britischen Regierungschefin Margaret Thatcher war das vom Wirtschaftshistoriker Hans-Joachim Voth.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.