Seit dem Brexit-Referendum und der Entscheidung der Briten, die EU zu verlassen, sind ja nun bereits einige Tage vergangen. Aber so ganz durchgesickert ist es bei mir noch nicht, dass das Vereinigte Königreich in Zukunft nicht mehr in Europa mitspielen will. Also um das klarzustellen: Im sportlichen Wettbewerb wollen sie natürlich bleiben. Nur eben nicht mehr in der EU, über Hintergründe und Folgen urteilen andere fundierter. Trotzdem: Die Nachricht hat mich als Teil einer Generation, für die Erasmus-Aufenthalte zum Erwachsenwerden und Reifen gehören, betroffen gemacht. Und das ist noch untertrieben.
Wie eine verflossene Freundschaft
Deshalb kann ich mir das heutige Achtelfinale von England gegen Island nicht gelassen anschauen. Stattdessen wird es für mich ein bisschen so sein wie zufällig im Internet auf jemanden zu stoßen, mit dem man vor Jahren eng befreundet war, den man dann aber aus irgendwelchen Gründen aus den Augen verloren hat. Und dann wird man damit konfrontiert, dass er jetzt ein ganz anderes, erfolgreiches Leben führt - ohne dass man noch dazugehört. Es lässt sich nicht vermeiden, nicht ungeschehen machen, man muss einfach durch. Klar könnte ich den Fernseher auslassen, aber ich will ja nicht als schwach gelten.
Die schönste Mischung aus Fußball und Reaktionen auf den Brexit finden sich auf dem Twitteraccount vom englischen WM-Rekordtorschützen Gary Lineker.
Nach einem typisch englischen Kraftausdruck fasste er seine Emotionen so zusammen: "Ich schäme mich für meine Generation. Wir haben unsere Kinder und deren Kinder im Stich gelassen." In Anspielung darauf, dass die Älteren mehrheitlich für und die Jüngeren gegen den Brexit gestimmt haben.
Die Kinder, die gerade in Frankreich bei der EM sind, äußern sich allerdings nicht zum politischen Beben daheim. Stürmerstar Wayne Rooney wollte nicht einmal sagen, ob er abgestimmt hat - und auch kein anderer positionierte sich. In der gestrigen Pressekonferenz zum Spiel sagte Englands Nationalcoach, dass die Abstimmung für den Brexit "keinen halben Penny" Einfluss auf sein Team habe - aber selbst wenn das Gegenteil der Fall wäre, hätte er das sicher nicht gesagt. Danach wurden alle weiteren Fragen zum Thema abgewiesen.
Es gibt eine Alternative zum Schweigen
Dieses Schweigen wundert mich nicht, aber es ärgert mich. Vor allem, weil es eine Alternative dazu gibt, wie der Torwart Petr Cech beweist. Der ist zwar kein Brite, spielt aber seit vielen Jahren auf der Insel. Er schrieb: "Es sieht so aus, als ob die wichtigste Entscheidung in der Geschichte dieses Landes auf der Grundlage einer Schwindel-Kampagne und Lügen getroffen wurde."
Natürlich ist es eigentlich überhaupt nicht an mir, etwas zu verurteilen, was ein Volk als Souverän entschieden hat. Aber als EU-Bürgerin nehme ich es mir zumindest heraus, betroffen zu sein.
Ein unschmeichelhaftes Gefühl
Die Isländer bauen für das Spiel heute Abend weiter darauf, als Underdog Erfolg zu haben, sticheln gegen die Engländer wegen deren schlechter Chancenverwertung und haben schon angekündigt, im Fall der Fälle alle Elfmeter zu versenken.
Dann würde sich in mir möglicherweise der Hauch eines niederträchtigen Gefühl breitmachen, für das die Briten gar kein eigenes Wort haben. Sie benutzen unser deutsches: Schadenfreude.