Eigentlich sollte diese Kolumne davon handeln, dass die Fußball-EM 2016 mit dem Sieg der Franzosen wenigstens ein versöhnliches Ende gefunden hat. Aber daraus wurde bekanntlich nichts, Eder bescherte den Portugiesen in der Verlängerung den Sieg. Und da sich ja viele Menschen, insbesondere Funktionäre, die Fußballwelt schönreden, rede ich mir jetzt auch den portugiesischen Sieg schön. Drei Punkte, die bei der Aussöhnung mit dem Sieg der Portugiesen helfen.
1. Ronaldo
Es wurde viel geweint gestern Abend. Nicht nur die Franzosen vergossen Tränen nach der Niederlage - am bittersten weinte der portugiesische Stürmerstar Cristiano Ronaldo, als er sich in einem harten Zweikampf mit Dimitri Payet am Knie verletzte. Dann weinte er, als er behandelt werden musste, und wieder, als er schließlich ausgewechselt wurde. Abgesehen von den physischen Schmerzen das Gefühl zu haben, dass man nichts mehr dazu beitragen kann, um den eigenen sehnlichsten Wunsch nach einem Titel zu erfüllen – und dass die Mannschaft deutlich geschwächt ist, wenn man selbst nicht dabei ist: Es muss bitter gewesen sein.
Umso schöner, dass Ronaldos Mannschaft sich selbst und ihren Kapitän belohnte – und ihn wieder zum Weinen brachte – diesmal vor Rührung, indem sie den Titel entgegen aller Wahrscheinlichkeiten doch noch holte. Und manche sprechen von Karma – denn das harte Einsteigen des Franzosen Payet hätte nicht sein müssen.
2. Man kann den Turniermodus nun uneingeschränkt verfluchen
Nicht die Mannschaft, die den besten Fußball gespielt hat, hat das Turnier gewonnen. Manche sprechen gar davon, dass Portugal das neue Griechenland ist, also mit einer Spielweise das Turnier gewonnen hat, die wenig innovativ ist, in der Defensive auf (Zer-) Stören ausgerichtet ist und nach vorne über weite Teile wenig Akzente setzt. Portugal ist mit nur einem Sieg in der regulären Spielzeit Europameister geworden, im Halbfinale gegen Wales. In der Gruppenphase gegen Österreich, Island und Ungarn hat es jeweils nur zum Unentschieden gereicht.
Währenddessen besiegte Italien in Zaubermanier Spanien, Deutschland besiegte dann Italien, Frankreich besiegte Deutschland... Fühlt sich irgendwie ungerecht an.
Dass ein Weiterkommen wie das der Portugiesen überhaupt möglich ist, verdanken wir der UEFA und ihrem langjährigen Chef Platini, der das Turnier auf 24 Mannschaften erweiterte, ein Achtelfinale einführte, in das Portugal als Gruppendritter einziehen konnte.
"Für alles" dankte man Platini auch noch offiziell im Stadion.
Ich würde eher sagen: Danke für nichts, Michel. Aber das Lob dafür, dass eine Mannschaft, die sich über weite Teile des Turniers durchgewurschtelt hat - und nicht Frankreich - am Ende oben steht, hätte er sich wohl gar nicht persönlich abholen wollen – selbst wenn er das Stadion hätte betreten dürfen.
3. Keine Romantisierung des Events durch den Heimsieg
Hätte Frankreich das Turnier gewonnen – die EM wäre versöhnlich geendet. Dem Gastgeber, der nach den Terroranschlägen vom November noch immer im Ausnahmezustand lebt, hätte ich den Sieg gegönnt, nicht nur wegen der unbestrittenen spielerischen Klasse der Franzosen. Gestern, als die Marseillaise vor dem Spiel erklang, kribbelte es dann doch – es waren Erinnerungen an die vergangenen Monate, als die Marseillaise als Zeichen des Trotzes gegen den Terror erklang und es war Vorfreude auf die Freude der Franzosen. Die war verfrüht.
Immerhin werde ich die EM dadurch als das in Erinnerung behalten, was sie war: ein langes, zähes Turnier mit vielen öden Partien, währenddessen es die meiste Zeit geregnet hat und bei dem nie so richtige Stimmung aufkam. Da ist es vielleicht doch ganz folgerichtig, dass Portugal am Ende gewonnen hat.
Die "Voyage surprise" (deutsch: "Fahrt ins Blaue") endet nun. Alle Beiträge finden Sie hier.