Ja, es sind viele, und sie alle teilen das Schicksal, nach dem Ausbruch des isländischen Vulkans in einer Abflughalle zu sitzen und nicht mehr weg zu kommen. Dazu wurde der Münchner Marstall aufwendig in ein unpersönliches Flughafen-Gebäude aus weißem Sperrholz verwandelt, mit VIP-Lounge und Wartesälen, mit Stewardessen und Security-Personal, auch das Publikum zählt natürlich - und das hat wirklich Charme - zu den Gestrandeten.
Viele Neben-Schauplätze und noch mehr "Fluggäste" kommen in vorab gedrehten Videos vor, die kleine Geschichten erzählen, von neuen Bekannt- und alten Feindschaften, von Enttäuschungen und Enthüllungen, von furchtbaren Schicksalen, von stoischen, aggressiven, geheimnisvollen Menschen.
Natürlich kippt bald die Stimmung:
"Das Ende des Flugverbots ist leider nicht absehbar. Das Gebäude darf nicht verlassen werden. Wegen knapper Ressourcen müssen die noch vorhandenen Lebensmittel, Medikamente und elektronischen Geräte mit Akkus erfasst werden. Unsere Mitarbeiter werden jetzt systematisch Ihr Handgepäck inventarisieren. Wir bitten Sie dringend, diese Maßnahme zu unterstützen!"
Das Flugpersonal fällt übereinander her oder zerstört anarchisch die Büros. Ein Mann wird blutüberströmt und nackt auf eine Matte gebettet. Fantasien und Beichten sind jetzt zu hören, auch Philosophisches von selbst ernannten Predigern. Dann ist der kurze Abend einfach vorbei, der in die Reihe jener jüngeren Stücke gehört, mit denen man dem Publikum zu neuen Erfahrungen verhelfen will. Im Gegensatz zu den Installationen der dänischen Performance-Truppe SIGNA steht in München der technische Aufwand allerdings in keinem Verhältnis zum ästhetischen Ertrag, der sich tatsächlich intensiver beim Nach-Sehen im Internet einstellt.
Auch im neuen Stück von Neil LaBute geht es um eine Ausnahmesituation: Ein Mann hat als einziger den Amoklauf eines Büro-Kollegen überlebt und glaubt seitdem fest, die Hand Gottes habe ihn gerettet und er sei dazu auserwählt, das "Evangelium der Güte" zu verbreiten. Natürlich glaubt ihm das sonst keiner, nicht seine Ex-Frau, nicht sein Anwalt, nicht der Inspektor. Diese Art Wunder gibt es nicht.
In New York wurde das Stück zum Bühnendebüt von Dave Duchovny, bekannt aus "Akte X" und "Californication". Im Residenztheater ist Norman Hacker John Smith, der als bekehrter Normalo um seine neue Missionars-Rolle kämpft mit stoischer Gewissheit einerseits und sündenstolzem Opfergestus andererseits, weshalb die genervte Ex-Frau auch sagen kann: "Ich sehe den gleichen Kerl wie immer!"
Neil LaBute ist ein versierter Schreiber mit Blick für fernsehgerechte Schnitte, aber sein Glaubens-Stück kommt an die wesentlichen Fragen nie heran, sondern kratzt höchstens an deren Oberfläche. Schlimmer: Neil LaBute instrumentalisiert seine Figuren für einen Diskurs, den er dann nicht führen will. Egal, ob John sich selbst mit einer Nutte auf die Probe stellt oder in einer Fernseh-Show Zeugnis vor der TV-Gemeinde ablegt - jede Szene ist jammervoll redundant und mündet einzig in die Entblößung ihres Protagonisten.
"Bitte, Sie müssen mir hier helfen. Ich möchte Ihnen doch glauben. Nichts lieber als das. Aber das ist schwer, heute, wenn einer glaubt und das hat dann auch noch mit Gott zu tun. Wir sind doch heute alle so skeptisch."
Regisseur Wilfried Minks macht aus der Not eine Tugend und inszeniert das Stück vor Video-Großaufnahmen von Bürokomplexen oder Landschaften, die wirken, als hätte Wim Wenders dabei mitgemacht. Die so hergestellte amerikanische Künstlichkeit, mit gleißendem Licht als Szenen-Trenner, hilft auch über so manchen sinnfreien Dialog hinweg, der vermutlich der Übersetzung geschuldet ist.
Immerhin endet John als Prediger und landet nicht in der Psychiatrie, wie Jörg Ratjen alias Franz Josef Strauß. In "Halali" spielt Albert Ostermaier an auf die Jagdleidenschaft des Politikers, bläst aber nicht zur Hetzjagd auf den meistbewunderten und bestgehassten ungekrönten König von Bayern. Das Stück ist eine musikalisch überbordende Farce voller biografischer Versatzstücke und voller Anspielungen auf Strauß' Geschäfte mit den Schurkenstaaten von damals, vom Fuchspanzer bis zur Colonia Dignidad.
Vor allem aber ist es ein intelligentes Vexierspiel über Rollenmuster. Sibylle Canonica, die Ärztin, heißt "Elektra" und tischt uns ihre private Familiengeschichte nach Art der Orestie auf. Ein Journalist, der sich zu Recherchezwecken als irre nur ausgibt, und der unglückliche Strauß-Sohn Max hadern depressiv mit ihren Rollen, Strauß selbst spielt auch gern Richard III.
Auch ästhetisch herrscht Größenwahn: Man spielt in einer Pappmaché-Version der plüschig-goldenen Cuvillié-Theater-Logen; die Zwangsjacken sind dicke Brathendl-Kostüme und am Schluss erscheint ein bühnenhohes Strauß-Porträt mit Strahlenkranz im Hintergrund. Formal changiert das Stück zwischen ironischem Figurenpuzzle, Therapiesitzung und biografischer Recherche. Eine kleine Blaskapelle serviert ein Potpourri aus Bierzeltmusik und ironisiertem Tatort-Motiv und Albert Ostermaier selbst kalauert in bester Jelinek-Manier:
"Bayern war ein Stamm-Tisch, aus einem Stamm geschnitzt. Ich habe den Stamm-Tisch in eine Festplatte verwandelt. Ich habe die Kühe erst an den Strom angeschlossen. Die Sonne kommt ja nicht aus der Steckdose. Ich bin der Sonnenkönig Bayerns, ich bin der Märchenkönig."
Das ist textlich schon viel mehr als höherer Blödsinn, wird aber von Regisseur Stephan Rottkamp als quietschbunte Irrenhaus-Gaudi so schmerzfrei inszeniert, dass es am Ende niemandem mehr weh tut.
Das "neue" Residenztheater, es dampft aus allen Rohren, mit neuen Texten und bewährten Namen. Trotzdem hat es nach der Schnitzler-Premiere viel heiße Luft produziert und viel vertheatert. Nicht nur zum Guten.
Viele Neben-Schauplätze und noch mehr "Fluggäste" kommen in vorab gedrehten Videos vor, die kleine Geschichten erzählen, von neuen Bekannt- und alten Feindschaften, von Enttäuschungen und Enthüllungen, von furchtbaren Schicksalen, von stoischen, aggressiven, geheimnisvollen Menschen.
Natürlich kippt bald die Stimmung:
"Das Ende des Flugverbots ist leider nicht absehbar. Das Gebäude darf nicht verlassen werden. Wegen knapper Ressourcen müssen die noch vorhandenen Lebensmittel, Medikamente und elektronischen Geräte mit Akkus erfasst werden. Unsere Mitarbeiter werden jetzt systematisch Ihr Handgepäck inventarisieren. Wir bitten Sie dringend, diese Maßnahme zu unterstützen!"
Das Flugpersonal fällt übereinander her oder zerstört anarchisch die Büros. Ein Mann wird blutüberströmt und nackt auf eine Matte gebettet. Fantasien und Beichten sind jetzt zu hören, auch Philosophisches von selbst ernannten Predigern. Dann ist der kurze Abend einfach vorbei, der in die Reihe jener jüngeren Stücke gehört, mit denen man dem Publikum zu neuen Erfahrungen verhelfen will. Im Gegensatz zu den Installationen der dänischen Performance-Truppe SIGNA steht in München der technische Aufwand allerdings in keinem Verhältnis zum ästhetischen Ertrag, der sich tatsächlich intensiver beim Nach-Sehen im Internet einstellt.
Auch im neuen Stück von Neil LaBute geht es um eine Ausnahmesituation: Ein Mann hat als einziger den Amoklauf eines Büro-Kollegen überlebt und glaubt seitdem fest, die Hand Gottes habe ihn gerettet und er sei dazu auserwählt, das "Evangelium der Güte" zu verbreiten. Natürlich glaubt ihm das sonst keiner, nicht seine Ex-Frau, nicht sein Anwalt, nicht der Inspektor. Diese Art Wunder gibt es nicht.
In New York wurde das Stück zum Bühnendebüt von Dave Duchovny, bekannt aus "Akte X" und "Californication". Im Residenztheater ist Norman Hacker John Smith, der als bekehrter Normalo um seine neue Missionars-Rolle kämpft mit stoischer Gewissheit einerseits und sündenstolzem Opfergestus andererseits, weshalb die genervte Ex-Frau auch sagen kann: "Ich sehe den gleichen Kerl wie immer!"
Neil LaBute ist ein versierter Schreiber mit Blick für fernsehgerechte Schnitte, aber sein Glaubens-Stück kommt an die wesentlichen Fragen nie heran, sondern kratzt höchstens an deren Oberfläche. Schlimmer: Neil LaBute instrumentalisiert seine Figuren für einen Diskurs, den er dann nicht führen will. Egal, ob John sich selbst mit einer Nutte auf die Probe stellt oder in einer Fernseh-Show Zeugnis vor der TV-Gemeinde ablegt - jede Szene ist jammervoll redundant und mündet einzig in die Entblößung ihres Protagonisten.
"Bitte, Sie müssen mir hier helfen. Ich möchte Ihnen doch glauben. Nichts lieber als das. Aber das ist schwer, heute, wenn einer glaubt und das hat dann auch noch mit Gott zu tun. Wir sind doch heute alle so skeptisch."
Regisseur Wilfried Minks macht aus der Not eine Tugend und inszeniert das Stück vor Video-Großaufnahmen von Bürokomplexen oder Landschaften, die wirken, als hätte Wim Wenders dabei mitgemacht. Die so hergestellte amerikanische Künstlichkeit, mit gleißendem Licht als Szenen-Trenner, hilft auch über so manchen sinnfreien Dialog hinweg, der vermutlich der Übersetzung geschuldet ist.
Immerhin endet John als Prediger und landet nicht in der Psychiatrie, wie Jörg Ratjen alias Franz Josef Strauß. In "Halali" spielt Albert Ostermaier an auf die Jagdleidenschaft des Politikers, bläst aber nicht zur Hetzjagd auf den meistbewunderten und bestgehassten ungekrönten König von Bayern. Das Stück ist eine musikalisch überbordende Farce voller biografischer Versatzstücke und voller Anspielungen auf Strauß' Geschäfte mit den Schurkenstaaten von damals, vom Fuchspanzer bis zur Colonia Dignidad.
Vor allem aber ist es ein intelligentes Vexierspiel über Rollenmuster. Sibylle Canonica, die Ärztin, heißt "Elektra" und tischt uns ihre private Familiengeschichte nach Art der Orestie auf. Ein Journalist, der sich zu Recherchezwecken als irre nur ausgibt, und der unglückliche Strauß-Sohn Max hadern depressiv mit ihren Rollen, Strauß selbst spielt auch gern Richard III.
Auch ästhetisch herrscht Größenwahn: Man spielt in einer Pappmaché-Version der plüschig-goldenen Cuvillié-Theater-Logen; die Zwangsjacken sind dicke Brathendl-Kostüme und am Schluss erscheint ein bühnenhohes Strauß-Porträt mit Strahlenkranz im Hintergrund. Formal changiert das Stück zwischen ironischem Figurenpuzzle, Therapiesitzung und biografischer Recherche. Eine kleine Blaskapelle serviert ein Potpourri aus Bierzeltmusik und ironisiertem Tatort-Motiv und Albert Ostermaier selbst kalauert in bester Jelinek-Manier:
"Bayern war ein Stamm-Tisch, aus einem Stamm geschnitzt. Ich habe den Stamm-Tisch in eine Festplatte verwandelt. Ich habe die Kühe erst an den Strom angeschlossen. Die Sonne kommt ja nicht aus der Steckdose. Ich bin der Sonnenkönig Bayerns, ich bin der Märchenkönig."
Das ist textlich schon viel mehr als höherer Blödsinn, wird aber von Regisseur Stephan Rottkamp als quietschbunte Irrenhaus-Gaudi so schmerzfrei inszeniert, dass es am Ende niemandem mehr weh tut.
Das "neue" Residenztheater, es dampft aus allen Rohren, mit neuen Texten und bewährten Namen. Trotzdem hat es nach der Schnitzler-Premiere viel heiße Luft produziert und viel vertheatert. Nicht nur zum Guten.