Ralf Krauter: Wie erklären Sie sich, dass man sich in der EU erst jetzt durchringen konnte, künftig Real-Drive-Emissionstests vorzuschreiben, bei denen der Stickoxidausstoß von Autos nicht mehr nur auf dem Prüfstand gemessen wird, sondern im realen Betrieb auf der Straße?
Reinhard Kolke: Man muss schon sagen, auf der technischen Seite ist tatsächlich viel geleistet worden, um die Messtechnik so zu miniaturisieren, dass ich sie auch beim PKW einsetzen kann. Die Messtechnik war natürlich deutlich größer beim LKW schon früher verfügbar. Darüber hinaus muss man aber schon sagen: Jetzt zum gegenwärtigen Zeitpunkt, da die Messtechnik verfügbar ist und viele Institutionen auch diese Technik einsetzen werden, jetzt könnte man eigentlich ein bisschen mehr Gas geben, denn die Automobilhersteller wussten natürlich, was auf sie zukommt, wissen das auch aus dem Nutzfahrzeug-Bereich, und damit wären eigentlich alle bereit, entsprechend niedrige Emissionen auch zu realisieren.
Krauter: Wie groß sind denn die Überschreitungen, die man bei PKW im Mittel gemessen hat? Der ADAC, Ihre Leute haben ja viele Autos jedes Jahr auf den Prüfstand gestellt. Sie haben gerade gesagt, bei LKW messen wir eine Überschreitung um 50 Prozent im realen Betrieb. Was kam Ihnen bei PKW so alles unter, bei Dieselfahrzeugen speziell?
Kolke: Speziell bei den Dieselfahrzeugen und speziell bei den modernsten Dieselfahrzeugen Euro VI, die seit 2014/15 erst Stand der Technik sind, bei diesen modernsten Dieselfahrzeugen muss man sagen, ein Drittel hat Abweichungen im dynamischen Fahrzyklus, sobald ich diesen gesetzlichen Fahrzyklus verlasse, Abweichungen um den Faktor zwei bis hin zu Faktor 15 höher, als dass der Grenzwert vorgesehen ist. Darüber hinaus: Ein Drittel liegt so etwa bei Abweichungen im Bereich von eins bis zwei und ein Drittel unterschreitet den Grenzwert einerseits. Andererseits sehen wir aber: In der Realität liegen all diese Fahrzeuge, auch die besonders guten Fahrzeuge durchaus noch so um den Faktor drei bis vier über dem Grenzwert, und die Realität ist ja das, was uns interessiert, das was die Sorge bereitet in den Innenstädten, aus Gründen des Gesundheitsschutzes mit hohen NO2-Lasten zu kämpfen, die entsprechend zu reduzieren sind.
Krauter: Aber wenn ich es richtig verstanden habe, gibt es doch schon ein paar Dieselfahrzeuge, die letztlich auch die NOX-Grenzwerte im realen Betrieb auf der Straße einhalten, oder?
Kolke: Ja, das ist das Erstaunliche, denn es gibt tatsächlich Fahrzeuge, denn die Technik ist ja verfügbar, die sogenannte Abgasrückführung, solche Speicherkatalysatoren oder die AdBlue-Technik mit dem SCR ist ja Stand der Technik.
Krauter: Mit dem Harnstoff.
Kolke: Mit dem Harnstoff, ganz genau. Die ist ja an der Stelle auch verfügbar und insofern wundert es uns. Es sind Fahrzeuge besonders sauber im Markt einsatzfähig, verfügbar und bekannt und deswegen verstehen wir nicht, dass da nicht alle Hersteller nachziehen und sich jetzt ganz bewusst für den sauberen Diesel, der ja immer so schön als Clean Diesel angekündigt wurde, entschieden haben.
"Man konnte sich darauf einrichten"
Krauter: Scheitert es letztlich am Geld, an den Kosten? Wieviel müsste man hinblättern, um einen Dieselmotor wirklich sauber zu machen?
Kolke: Es gibt natürlich unterschiedliche Kostenschätzungen. Die gehen so im Bereich von 170 Euro bis auf 500 Euro hoch, was die Kosten anbetrifft. Sagen wir mal, es sind etwa 300 Euro Mehrkosten, die ein Euro-VI-Fahrzeug ausmacht im Vergleich zu einem Euro-IV-Fahrzeug. Da muss man schon sagen, 300 Euro sind eigentlich für den Endverbraucher als Endpreis gar nicht so viel. Trotzdem: Multipliziert mit Millionen von Fahrzeugen, die man verkaufen kann als Hersteller, sind das natürlich dann Kosten, die offensichtlich Hersteller noch einsparen möchten, oder dann noch mal multipliziert um den Faktor drei, vier oder fünf an den Endverbraucher weitergeben. Wir sind der Meinung, das muss eigentlich nicht sein, denn alle wussten, auf Euro VI konnte man sich einrichten, und jetzt wird es Zeit, dass etwas für Umwelt- und Gesundheitsschutz getan wird.
Krauter: Könnte es sein, dass eine der Erkenntnisse aus dem VW-Diesel-Gate lauten wird, ein kleines Stadtauto mit sauberem Dieselmotor, das wäre am Ende so teuer, dass es keiner kaufen will?
Kolke: Tatsächlich wird es so sein, dass die Abgasnachbehandlung für einen Diesel - wenn ich jetzt aufzählen würde, könnte ich lange aufzählen, was alles notwendig ist, vom Rußfilter bis hin zum Harnstoff - aufwendig sein wird. Aus dem Grunde wird es zunehmend attraktiv werden, auch Benzinfahrzeuge einzusetzen, und insbesondere bei Stadtfahrzeugen und auch heute schon bei Fahrzeugen mit niedriger Laufleistung ist das Benzinauto extrem sauber. Es reduziert die Schadstoffemissionen um 90 bis 95 Prozent allein durch den Drei-Wege-Katalysator und zwei Lambdasonden. Das heißt, da ist die Technik wesentlich unkomplexer, wesentlich einfacher zu applizieren.
Krauter: Aber das Attraktive an Dieselautos war ja der geringere Spritverbrauch. Den hat man dann so natürlich beim Benziner nicht ohne Weiteres.
Kolke: Natürlich stecken auch noch größere Potenziale im Benziner, um auch diesen noch weitergehend effizienter zu gestalten. Auf der anderen Seite werden gerade diejenigen, die viel unterwegs sind, auf lange Strecke unterwegs sind und dann in der Mittelklasse oder oberen Mittelklasse unterwegs sind, die werden mit Sicherheit auch in Zukunft mit ihrem Diesel unterwegs sein, der dann entsprechend sauber sein sollte.
Krauter: Kommen wir noch mal zurück auf die Real-Drive-Emission-Tests. Wie sinnvoll wäre es denn, mit denen auch den CO2-Ausstoß beim Fahren auf der Straße zu ermitteln? Auch da gibt es ja bekanntlich große Diskrepanzen zwischen dem, was man auf dem Prüfstand ermittelt, und dem angeblichen Spritverbrauch auf 100 Kilometern. Diese Diskrepanzen kennt jeder Autofahrer aus der praktischen Erfahrung. Also CO2-Messung künftig auch im realen Betrieb auf der Straße?
"Es gibt kein praktikables Verfahren"
Kolke: Sie sprechen eigentlich die große Achillesferse an, das Ärgernis eines jeden Autofahrers, einer jeden Autofahrerin. Der Kraftstoffverbrauch hat gar nichts mit den Herstellerangaben zu tun. Die Hersteller argumentieren, dass Kraftstoffverbrauch und die korrelierende CO2-Emission ja nur zu Vergleichszwecken mit diesem uralten Zyklus aus dem Jahr 1968 ermittelt werden und dass der Endverbraucher maßgeblich seinen Kraftstoffverbrauch persönlich beeinflussen kann. Wir sehen hier Abweichungen selbst bei moderater Fahrweise im ADAC-EcoTest von 10 bis 15 Prozent im Mittel allein.
Es wäre natürlich wünschenswert, dass man auch entsprechende Untersuchungen auf der Straße durchführt und ein solcher Wert auch durch die Hersteller anzugeben wäre. Konkret ist es aber so, dass es da tatsächlich noch kein praktikables Verfahren gibt. Wir werden als ADAC jetzt ab November dann auch erste Messungen durchführen und schauen uns da ganz konkret auch an, welche Potenziale stecken denn hinter dieser neuen Messtechnik, die ich direkt ins Auto einsetze, um tatsächlich auch den Verbrauchswert und die CO2-Emission zu ermitteln, und ich glaube, da werden uns noch einige interessante Diskussionen bevorstehen.
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