So manch ein Experte sieht schon eine regelrechte Klage-Industrie nach US-amerikanischem Vorbild auch in Deutschland aufmarschieren - Sammel- beziehungsweise Musterklagen als neues Geschäftsmodell für Rechtsdienstleister und große Anwaltskanzleien. Davon könne bei der heute am Landgericht Braunschweig eingereichten Klage keine Rede sein, betont MyRight-Mitbegründer Jan Eike Andresen. Man vertrete zwar eine große Zahl von Klägern - konkrete Zahlen wollte er nicht nennen -, es gehe aber nicht um ein Geschäftsmodell, sondern um die Rechte einzelner.
"Ich weiß jetzt ehrlich gesagt nicht, was das mit einer Klage-Industrie zu tun haben soll, wenn man sich für Gerechtigkeit einsetzt und sich dafür einsetzt, dass 2,6 Millionen Leute ihr Recht - was das deutsche Recht vorsieht - nicht nur auf dem Papier haben, sondern auf einmal einfordern können."
Hausfeld-Anwältin: Übereinstimmungsbescheinigungen sind ungültig
Mithilfe der US-Anwaltskanzlei Hausfeld, die VW schon in den USA zu Schadensersatzzahlungen in Milliardenhöhe gezwungen hat, will MyRight den Konzern jetzt auch in Deutschland in die Knie zwingen - und setzt dabei auf einen besonderen juristischen Dreh. Für rund 2,6 Millionen Fahrzeuge allein in Deutschland habe VW eine sogenannte Übereinstimmungserklärung ausgestellt, in der bescheinigt ist, dass die Autos den europäischen Abgasbestimmungen und der ursprünglichen EG-Typgenehmigung entsprechen - und das sei schlicht falsch, betont die Hausfeld-Anwältin Lene Kohl.
"Denn darin wurde bescheinigt, dass die Fahrzeuge mit dem genehmigten Typ übereinstimmen. Dieser genehmigte Typ enthält keine unzulässige Abschalteinrichtung – die Fahrzeuge, die betroffen sind, enthalten aber unzulässige Abschalteinrichtungen."
... und hätten deshalb eigentlich gar nicht verkauft werden dürfen - die Kunden hätten also fraglos das Recht auf Rückgabe des Wagens gegen Erstattung des Neupreises. Dabei müssen sie - nach Meinung der Hausfeld-Anwälte - auch keine Abzüge für den Zeitraum der Nutzung akzeptieren. Der namentlich nicht genannte Kunde zum Beispiel, der hinter der heute eingereichten Klage steht, habe somit vollen Anspruch auf die 41.000 Euro, die er 2010 für seinen neuen VW Eos bezahlt habe.
Kanzlei hofft auf Signalwirkung für Europa
Die Kanzlei Hausfeld erhofft sich von der Klage eine Signalwirkung für ganz Europa - denn, so die Anwältin Lene Kohl, es sei sehr wahrscheinlich, dass entweder schon das Landgericht, spätestens aber in zweiter Instanz das Oberlandesgericht vorab eine Einschätzung des europäischen Gerichtshofs einholen werde. Das gebe dann zusätzlich Rechtssicherheit.
"Das heißt, was der EuGH sagt, ist für alle Gerichte in den Mitgliedsstaaten bindend und auch für die Behörden bindend. Wenn es also dazu kommen sollte, dass hier die Fragen, auf die es ankommt nach europäischem Recht, dem EuGH vorgelegt würden, dann müsste der eine Aussage dazu treffen, und diese Aussage wäre dann für alle bindend."
Bis zu einer solchen Entscheidung des EuGH können allerdings noch Jahre vergehen - die Frage ist, ob wirklich viele VW-Kunden bereit sind, so lange zu warten. Erfahrungen aus dutzenden Klagen gegen Händler und den VW-Konzern selbst legen die Vermutung nahe, dass das nicht der Fall sein wird. Zahlreiche Kunden haben sich inzwischen auf außergerichtliche Vergleiche eingelassen. Von der Volkswagen AG war heute noch keine Stellungnahme zu erhalten - man habe die Ankündigung der Klage zur Kenntnis genommen, könne sich zum Inhalt aber nicht äußern, da sie noch nicht zugestellt worden sei, sagte ein VW-Sprecher.