Archiv

VW-Dieselskandal  
Hoffnung auf Klarheit vor Gericht

2015 wurde bekannt, dass Volkswagen in Diesel-Modellen illegale Abschalteinrichtungen installiert hatte. Der Wolfsburger Konzern musste daraufhin weltweit mehr als elf Millionen Autos zurückrufen. Vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe beginnt jetzt die juristische Aufarbeitung des Dieselskandals.

Von Dietrich Mohaupt |
VW-Logo steht auf dem Verwaltungshochhaus vom Volkswagen Werk
Der VW-Dieselskandal - der wohl größte Industrieskandal der bundesdeutschen Geschichte (picture alliance/Sina Schuldt/dpa)
Der 20. September 2015 gilt als ein Wendepunkt in der Historie des Volkswagen-Konzerns. In einem sehr nüchtern und sachlich gehaltenen Video-Statement wandte sich der Vorstandsvorsitzende Martin Winterkorn an die Öffentlichkeit. Darin ging es um die kurz zuvor bekanntgewordenen Manipulations- und Betrugsvorwürfe gegen VW – im Klartext: um den Dieselskandal. Weltweit waren rund elf Millionen Fahrzeuge betroffen, allein in Deutschland knapp 2,5 Millionen – darunter neben diversen Volkswagen-Modellen auch Fahrzeuge der VW-Marken Audi, Skoda, Seat und Porsche.

"Die Unregelmäßigkeiten bei Dieselmotoren unseres Konzerns widersprechen allem, für was Volkswagen steht. Auch ich habe zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht die Antworten auf alle Fragen, aber wir sind dabei, die Hintergründe schonungslos aufzuklären. Diese schnelle und umfassende Aufklärung hat höchste Priorität. Um es klar zu sagen: Manipulieren und Volkswagen … das darf nie wieder vorkommen," sagte Winterkorn in dem Video.

Kern der Manipulationen war eine spezielle Software der Motorsteuerung. Sie sorgte dafür, dass die betroffenen Motoren vom Typ EA189 auf Prüfständen die Abgasnormen einhielten. Im Alltagsverkehr auf der Straße dagegen wurde ein Großteil der Abgasreinigung abgeschaltet. Diese Dieselmotoren stießen deshalb im täglichen Verkehr bis zu sieben Mal mehr gesundheitsschädliche Stickoxide aus, als bei den Tests der Zulassungsbehörden. Die EU hatte solche Abschalteinrichtungen schon im Januar 2013 verboten.

Das Statement des damaligen VW-Konzernchefs ist so etwas wie eine Rarität. Martin Winterkorn spricht hier von einem Schaden, der den VW-Kunden durch den Einsatz der Manipulationssoftware bei den Dieselmotoren vom Typ EA189 entstanden sei: "Wir klären das auf! Und wir werden alles tun, um Schaden von unseren Kunden und Mitarbeitern abzuwenden."
Das Volkswagen-Logo blitzt in der australischen Sonne.
VW verschickt Angebote an Betroffene
VW schickt 250.000 Briefe Briefe an geschädigte Dieselkunden, die sich an einer Musterfeststellungsklage auf Schadenersatz beteiligt haben. Die Angebote gehen nun raus. Doch sie unterscheiden sich.
Später wird kein VW-Verantwortlicher jemals wieder von einem Schaden für die Kunden durch diesen Betrug sprechen. Bereits drei Tage später war die Ära Winterkorn bei VW vorbei – der damalige geschäftsführende Aufsichtsratsvorsitzende Berthold Huber teilte nach einer Sitzung des Kontrollgremiums am 23. September 2015 mit:

"Wir waren uns in unserer heutigen Sitzung einig, dass die Vorgänge mit aller Entschiedenheit aufgeklärt werden und dafür Sorge getragen wird, dass Verfehlungen geahndet werden. Zugleich sind wir entschlossen, einen glaubwürdigen Neuanfang mit aller Entschiedenheit anzupacken. Zu diesem Neuanfang, meine Damen und Herren, gehört auch die Nachricht, dass Herr Prof. Dr. Martin Winterkorn angeboten hat, von seinem Amt als Vorstandsvorsitzender zurückzutreten."

Der ehemalige Konzernchef zog sich in der Folgezeit vollständig aus der Öffentlichkeit zurück. Nur von Zeit zu Zeit geisterte sein Name noch durch die Medien – zum Beispiel als die Staatsanwaltschaft in Braunschweig Anklage gegen ihn und vier weitere Beschuldigte unter anderem wegen schweren Betrugs und Manipulation der Kapitalmärkte erhob. Dabei spielt die Frage, seit wann Winterkorn was über die Manipulationen wusste, eine entscheidende Rolle.
Herber Schlag für VW-Kunden
Von einem Schaden, geschweige denn von Schadensersatz für VW-Dieselkunden, ist schon in dem Statement zum Rücktritt Winterkorns keine Rede mehr. Offiziell heißt es aus dem Konzern seit den ersten Tagen immer wieder: Die Autos mit den manipulierten Motoren waren immer und sind grundsätzlich verkehrstüchtig, sicher und uneingeschränkt nutzbar. Mit einem Software-Update lasse sich die Manipulation der Motorsteuerung rückgängig machen – also kein Schaden für die Kunden und damit auch keine Rechtsgrundlage für Entschädigungsforderungen.

Bis heute ist das die gebetsmühlenartig immer wieder vorgetragene Rechtsauffassung aller Verantwortlichen in den Führungsetagen des Wolfsburger Konzerns. Tausende von VW-Kunden sahen das allerdings von Anfang an etwas anders – so wie dieser bekennende VW-Fan und überzeugte Dieselfahrer aus Süddeutschland, der im Radio lieber anonym bleiben möchte:

"Gekauft habe ich meinen VW Tiguan im September 2013. Ich bin, muss ich sagen, schon seit Jahren VW-Fan. Für mich war Diesel schon immer umweltschonend, natürlich auch noch nebenbei man braucht weniger Sprit! Das war auch einer der Gründe, also die Wirtschaftlichkeit war für mich mit entscheidend gewesen für den Kauf."
Als die Betrugsmasche der Wolfsburger Autobauer aufflog, war das ein echter Tiefschlag.

"Also … aus meiner Sicht, muss ich sagen, bin ich mir wirklich betrogen vorgekommen. Ich hatte damals für mein Auto 35.000 Euro ungefähr bezahlt. Das war eine Menge Geld, das hat man nicht einfach mal so in der Schublade liegen – und als damals diese Sache medienpublik wurde und man das dann eben schön mitverfolgen konnte, hatte ich wirklich Bauchschmerzen gehabt."
Frustriert habe er die Versuche von VW, sich aus der Verantwortung zu ziehen, zur Kenntnis genommen. Anfangs habe er noch auf das angekündigte Software-Update gesetzt – sich dabei aber immer Sorgen gemacht, ob das dem Motor nicht langfristig schade. Außerdem seien als Folge des Skandals die Preise für gebrauchte Dieselfahrzeuge in den Keller gerauscht – deshalb habe er sich schließlich der Musterfeststellungsklage des Verbraucherzentrale Bundesverbands – kurz vzbv – und des ADAC gegen VW angeschlossen.
Neufahrzeuge von Volkswagen stehen im März 2020 auf einem Parkplatz im Volkswagenwerk in Zwickau.
Autobranche in Coronazeiten - Zum Umbruch kommt die Krise
Die Corona-Pandemie hat die Automobilindustrie schwer getroffen. Die Produktion stand wochenlang still, Lieferketten sind zusammengebrochen – und wer will mitten in der Krise schon ein Auto kaufen?
Diese für die deutsche Justiz neuartige Sonderform der Sammelklage war eigens geschaffen worden, um die Verbraucherrechte in Rechtsstreitigkeiten mit großen Konzernen besser zu schützen. Hinter der im November 2018 beim Oberlandesgericht in Braunschweig eingereichten Klage standen am Ende mehr als 400.000 Einzelkläger. Bei einem für sie positivem Ausgang dieses Musterverfahrens hätten sie alle noch individuell eine konkrete Entschädigungssumme gegen VW vor Gericht erstreiten müssen. Bis zu einer endgültigen Entscheidung wären dann vermutlich noch einmal mehrere Jahre vergangen.

Das Gericht drängte angesichts dieses Zeitrahmens schon früh auf einen Vergleich. Der kam Ende Februar zustande – nach zähen Verhandlungen. VW verpflichtete sich darin, allen Anspruchsberechtigten ein individuelles Angebot zu machen.

"Jetzt ist mir am 19.03. von VW dieses Vergleichsangebot ins Haus gekommen … ja, man muss sagen: auf ganzer Linie enttäuschend. Für mein Auto wären das knapp über 3.000 Euro gewesen, was VW hier angeboten hat. Und mal ehrlich – aus meiner Sicht, aus Verbrauchersicht ein absoluter Witz."
Juristische Aufarbeitung beginnt
Nicht einmal zehn Prozent des ursprünglichen Kaufpreises – wieder eine schwere Enttäuschung für den langjährigen VW-Kunden, der daraufhin beschloss, das Angebot abzulehnen und zu versuchen, eben doch noch als Einzelkläger zu seinem Recht zu kommen.

Damit gehört er allerdings zu einer kleinen Minderheit. Von den ursprünglich gut 400.000 Klägern der Musterklage sind gemäß der Vereinbarung zwischen VW und vzbv rund 260.000 wirklich vergleichsberechtigt – davon haben nach VW-Angaben gut 90 Prozent das individuelle Vergleichsangebot angenommen.

Für VW-Rechtsvorständin Hiltrud Werner sind diese Zahlen gute Zahlen – alles richtig gemacht, so lautet ihr Fazit: "Wir sind der Meinung, dass wir mit dem Vergleichsangebot ein transparentes und faires Angebot an unsere Kunden gemacht haben – und dass wir damit natürlich auch einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet haben, dass die deutschen Gerichte entlastet werden."

Etwa 750 Millionen Euro können also schon in Kürze an VW-Kunden als Schadensersatz für den Wertverlust ihrer Fahrzeuge ausgezahlt werden. Auch für VW keine Kleinigkeit, betont Hiltrud Werner – aber eine lohnende Investition, vor allem unter dem Aspekt, verlorenes Vertrauen wiederzugewinnen. Der Vergleich also als Meilenstein auf dem seit Beginn des Dieselskandals immer wieder beschworenen Weg zur mehr Transparenz, zu einer neuen Unternehmenskultur?

"Es ist ein wichtiger Schritt. Ob es ein Meilenstein ist – da möchte ich mich jetzt nicht festlegen, es ist ein großer Schritt, vor allen Dingen deshalb, weil eben mehr als 90 Prozent der anspruchsberechtigten VW-Kunden sich dem Vergleich angeschlossen haben. Und … ja – ich denke, dieses große Interesse hat eben auch gezeigt ist, dass es wert war, diesen Weg zu gehen."

Grundsätzlich kann der Bundesverband der Verbraucherzentralen diesem Gedankengang folgen. Die von VW angebotenen Vergleichssummen seien fair und nachvollziehbar, sie orientieren sich offenbar an den in solchen Vergleichen üblichen Größenordnungen, so Verbandschef Klaus Müller.

Erste Zahlungen an VW-Kunden sollen bereits von Dienstag dieser Woche an fließen – trotzdem sieht er VW damit noch lange nicht aus dem Schneider. Ebenfalls am Dienstag beginnt nämlich auch der Bundesgerichtshof in Karlsruhe mit der juristischen Aufarbeitung des Dieselskandals.
Zehntausende individuelle Verfahren
Erstmals befasst sich der BGH mit einem Rechtsstreit über mögliche Entschädigungen für manipulierte Dieselfahrzeuge. Es geht dabei um einen Kläger aus Rheinland-Pfalz, der seinen 2014 gekauften Gebrauchtwagen an Volkswagen zurückgeben und dafür den vollen Kaufpreis von rund 31.500 Euro erstattet haben will.

Bundesweit gehen noch zehntausende VW-Kunden in individuellen Verfahren gegen den Konzern vor – deshalb habe der Termin vor dem BGH trotz des Vergleichs in der Musterfeststellungsklage eine enorme Bedeutung, betont vzbv-Chef Klaus Müller, denn … "Für viele Menschen ging es eben nicht nur um die finanzielle Entschädigung, sondern auch darum, ob Volkswagen verurteilt wird – oder nicht! Das ist ja in dem Vergleich ja leider gar nicht geklärt worden, weil es nicht in einen Vergleich hineingehört."
18.09.2019, Niedersachsen, Braunschweig: Ein VW steht vor der Stadthalle. Am 30. September startet am Oberlandesgericht Braunschweig ein Verfahren zur Musterfeststellungsklage gegen Volkswagen. Rund 430 000 Autokäufer schlossen sich der Klage an. Foto: Sina Schuldt/dpa | Verwendung weltweit
Diese Zahlungen bietet VW geschädigten Kunden jetzt an
Die Verhandlung zwischen dem Verbraucherzentrale Bundesverband und Volkswagen sind gescheitert. Doch Volkswagen bietet geschädigten Kunden nun im Alleingang Entschädigungen an. Doch der VZBV rät zur Vorsicht.
Jetzt sei es aber eben Zeit für ein Grundsatzurteil – und genau das erwarte er auch von den Karlsruher Richtern. Vermutlich noch nicht am Dienstag, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt, aber … "Wir gehen davon aus, dass der Bundesgerichtshof ein Urteil sprechen wird und auch will! Weil natürlich die Auseinandersetzung über diesen größten deutschen Industrieskandal sich schon sehr lange hinzieht, weil Volkswagen es ja verstanden hat, mehrfach Urteile – zum Beispiel auch eines vor dem Bundesgerichtshof – in letzter Minute zu verhindern."

In zahlreichen Prozessen hatten die Richter bisher sehr unterschiedlich geurteilt – mal sprachen sie den Klägern Ansprüche wegen eines Wertverlusts ihrer Fahrzeuge durch die höheren Schadstoffemissionen zu, in anderen Fällen gaben sie VW Recht. Dabei gelang es dem Konzern immer wieder, drohende Grundsatzurteile zu verhindern – regelmäßig zückte der Wolfsburger Autobauer die große Geldbörse und einigte sich mit den Klägern außergerichtlich auf individuelle Vergleiche. So war zum Beispiel im vergangenen Jahr sogar ein Termin am Bundesgerichtshof erst in buchstäblich letzter Minute durch einen solchen Vergleich geplatzt. Immerhin, so Klaus Müller weiter, habe der BGH anschließend einen sogenannten Hinweisbeschluss verkündet.

"Aus dem kann man schon ein bisschen herauslesen, wie der BGH wohl denken wird – nämlich: es war ein vorsätzlicher Betrug von Volkswagen. Ich gehe fest davon aus, auch die Richter möchten gerne Recht sprechen, und ich glaube, auch für den Rechtsfrieden ist es von zentraler Bedeutung, dass festgestellt wird: Hat Volkswagen betrogen oder nicht! Davon unabhängig ist noch einmal die Frage: Wie konsequent muss dann eine Entschädigung gezahlt werden?"
Erwartungen sind hoch
Die Erwartungen mit Blick auf den Termin am Dienstag am BGH könnten also größer gar nicht sein. Erstmals hat ein VW-Kunde durch die Instanzen wirklich alle Vergleichsangebote abgelehnt, weil er ganz einfach ein für alle Mal geklärt haben möchte, ob Volkswagen sich mit der Manipulation der Abgaswerte sittenwidrig verhalten hat. Kein Mandant wie viele andere, die mit ihren Klagen jeweils eine für sie ganz individuell wirtschaftlich tragfähige Lösung anstreben, betont Rechtsanwalt Claus Goldenstein. Seine Kanzlei vertritt den Kläger, der es als Erster mit seinem Fall zu einem mündlichen Termin nach Karlsruhe geschafft hat:

"Der Mann hat dieses Auto abgemeldet, hat es in die Garage gestellt und hat gesagt: Das bleibt hier so lange stehen, bis ich Gerechtigkeit habe! Also da sieht man natürlich schon, welches Potenzial er da entwickelt hat, um diesen Kampf zu führen – den er auch so empfindet."
Das Bild zeigt das Logo des Autokonzerns VW.
So einigten sich VW und Verbraucherverbände
Nach harten Verhandlungen haben VW und der Bundesverband der Verbraucherzentralen ein gemeinsam Entschädigungspaket vorgestellt. Aber mancher Kunde geht auch leer aus.
Sollte der 6. Zivilsenat des BGH zu der Auffassung gelangen, dass Volkswagen tatsächlich sittenwidrig gehandelt hat, dann werde das alle übrigen noch anhängigen Verfahren in dieser Sache entscheidend beeinflussen, meint Rechtsanwalt Alexander Voigt. Er trägt den Fall in der mündlichen Verhandlung vor:

"Diese Sittenwidrigkeit ist Anspruchsvoraussetzung für alle Fälle, die im Abgasskandal – ob das jetzt ein Fall ist, der 2019 eingereicht wurde, oder ob das ein Neu- oder Gebrauchtwagen ist – für alle eine Rolle spielt. Das hat Strahlkraft darauf und wird auch die Maßstäbe dafür setzen. Und das ist dem BGH auch ganz genau bewusst und dort wollen die ein Grundsatzurteil treffen."

Und ebenso grundsätzlich werde sich das Gericht auch dazu äußern, wie die fällige Entschädigung auszusehen habe, hofft Alexander Voigt. Bisher ist auch dazu die Rechtsprechung an deutschen Amts-, Landes- und Oberlandesgerichten eher uneinheitlich. In zahlreichen Verfahren wurde mal auf der Basis der Kilometerleistung des Autos ein Betrag errechnet, der von der Entschädigungssumme abgezogen wurde. Andere Gerichte hielten diesen sogenannten Nutzungsersatz generell für nicht rechtens.
In einzelnen Fällen sprachen die Richter den Klägern sogar neben dem vollen Kaufpreis auch noch Verzugszinsen auf die Entschädigungssumme zu. Zu all diesen Details erwarten Juristen und Verbraucherschützer klärende und vor allem für viele weitere Verfahren dann bindende Äußerungen des Bundesgerichtshofs. Zwei weitere Verfahren zum Dieselskandal am BGH sind bereits für Ende Juli terminiert.
"VW hat sich einen schlanken Fuß gemacht"
Dass es überhaupt zu diesen Prozessen vor dem Bundesgerichtshof kommen muss – das ist für viele Verbraucherschützer und viele Kunden von Volkswagen der eigentliche Skandal. Klaus Müller, Vorsitzender des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen, bringt es auf den Punkt:

Man habe zwar nach Abschluss des Vergleichs die Musterfeststellungsklage gegen VW zurückgezogen, aber "ich habe nicht das Gefühl, dass Volkswagen – vor allem auf den höchsten Ebenen – wirklich verstanden hat, dass sie die Verantwortlichen sind für den größten Industrieskandal in Deutschland.

Ich kann nicht erkennen, dass es hier eine entsprechende Demut gab, klare Worte der Entschuldigung und vor allem der tatkräftigen Reue – das heißt der Entschädigungszahlung. Es ist ja eigentlich ein Unding, dass tausende von Verbrauchern individuell und wir für über 200.000 Menschen eine solche Sammelklage anstreben mussten."

Ganz ähnlich sieht das Herbert Behrens. Für die Partei Die Linke war er in den Jahren 2016 und 2017 als Vorsitzender des Abgas-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestags tätig. Der Vergleich in der Musterfeststellungsklage, vor allem die Art seines Zustandekommens, sei ein Glücksfall für VW – und ein klares Indiz für mangelndes Unrechtsbewusstsein.

"VW hat sich einen schlanken Fuß gemacht an der Stelle, und hat mit seiner Marktmacht auch gegenüber der Verbraucherzentrale und den Anwaltsbüros dann auch klargemacht: Wenn es da zu einem Vergleich kommt, dann will man den auch entsprechend ausstatten – und dann, bitteschön, möge man doch Ruhe geben. Wir haben es aber objektiv mit einem Betrug zu tun! Das wird jetzt versucht ein bisschen unter den Teppich zu kehren dadurch, dass man eben sagt, wir einigen uns mit einer stattlichen Zahl von Leuten, die sich geschädigt fühlen."

Wieder habe VW damit eine Verurteilung verhindern können – das sei jetzt Sache des BGH, der endlich einmal für Rechtssicherheit sorgen müsse. Gelernt habe Volkswagen aus dem Skandal offensichtlich nicht allzu viel:

"Fahrzeuge aus dem VW-Konzern, nämlich Audi-Fahrzeuge, werden im November 2019 noch mit einer illegalen Abschalteinrichtung erwischt. Das deutet für mich darauf hin, dass dort in den Strukturen offenbar nicht grundlegend etwas verändert worden ist – was dazu führt, dass es zu neuen Betrügereien kommen kann."

Das wiederum will Hiltrud Werner, als Vorstandsmitglied im Konzern genau für diese Fragen von Recht, Integrität und Compliance verantwortlich, so nicht stehen lassen. Seit ihrem Einstieg in den Konzern im Januar 2016 habe sich auf allen Ebenen bereits viel verändert, betont sie. Volkswagen stelle sich der juristischen Aufarbeitung des Dieselskandals.
"Dieselskandal auf immer Teil unserer Unternehmensgeschichte"
Dabei hat es VW aktuell noch mit vielen offenen Baustellen zu tun. So drohen zum Beispiel Strafverfahren unter anderem wegen besonders schweren Betrugs und Verschleierung gegen ehemalige und amtierende Vorstände – darunter eben auch Martin Winterkorn und weitere Führungskräfte des Konzerns. Vermutlich werde das den Konzern noch über Jahre beschäftigen:

"Selbst danach wird der Dieselskandal auf immer Teil unserer Unternehmensgeschichte bleiben. Wir werden immer wieder daran arbeiten müssen zu analysieren, wie haben wir diesen großen Reputationsschaden verarbeitet, wie stehen wir jetzt als Unternehmen da, sind die Programme wirksam, die wir danach ergriffen haben? Also da ist schon noch einiges für uns zu tun."

Genau an solchen Aussagen muss VW sich künftig messen lassen. Und auch das Verhalten des Konzerns in der Verhandlung am Dienstag vor dem 6. Zivilsenat in Karlsruhe wird Einfluss darauf haben, ob Volkswagen den Imageschaden durch den Dieselskandal in Grenzen halten kann. Mit Sicherheit werden zahlreiche VW-Kunden, die sich noch immer mit dem Konzern über Entschädigungen für ihre manipulierten Dieselfahrzeuge streiten, die Verhandlung ganz genau beobachten – und sich anschließend so ihre Gedanken machen. So wie der bekennende VW-Fan aus Süddeutschland.

"Also ich jetzt, wenn ich es auf meine Person herunterbreche, warte mal das Urteil ab. Und da ich ja mittlerweile privat gegen VW klage, mache ich eventuell einen Kauf eines VW’s – egal welches Modell – in Zukunft wirklich davon abhängig, wie VW eben reagiert. Wenn sich VW hier aus meiner Sicht quer stellt, dann muss ich klar sagen wäre für mich diese Marke definitiv erledigt!"