Dudenhöffer sagte, er verstehe nicht, warum ein großer Automobilhersteller bei einem Standardteil wie dem Getriebegehäuse auf einen einzigen kleinen Zulieferer in der Prevent-Gruppe setze, anstatt den Auftrag wie andere Konzerne auch an mehrere Unternehmen zu vergeben. Es sei völlig unverständlich, warum der VW-Konzern im Einkauf so amateurhaft agiere, meinte der Automobilexperte.
Gleichzeitig sei es überraschend, dass Volkswagen angesichts des Lieferstopps den juristischen Weg gehe. "Gerichte können solche Konflikte nicht lösen", betonte Dudenhöffer. "Der wirtschaftliche Schaden von sowas ist unermesslich." Stattdessen hätte VW seines Erachtens auf die Forderungen der Prevent-Gruppe eingehen und parallel rasch weitere Zulieferer aufbauen sollen.
Durch die Kurzarbeit müsse nun auch der Bund einspringen. "Das heißt: Der Steuerzahler wird zur Rechenschaft gezogen dafür, dass VW im Einkauf schlecht gearbeitet hat."
Im Wolfsburger Stammwerk des Autobauers Volkswagen gilt ab heute ein Produktionsstopp bei der Fertigung des Modells Golf. Die Fertigung soll wegen des Streits mit der Zulieferer-Gruppe, von der VW Getriebeteile und Sitzbezüge erhält, mindestes eine Woche ausgesetzt werden. Wegen der fehlenden Bauteile wird der Konzern voraussichtlich 20.000 Mitarbeiter in fünf Werken in Kurzarbeit schicken müssen.
Das Interview in voller Länge:
Sarah Zerback: Volkswagen – der Riesenkonzern ist mal wieder in den Negativschlagzeilen, doch hat es diesmal nichts mit Dieselgate zu tun. Ein Streit zwischen dem Autokonzern und zwei Zulieferern ist zum Wochenende eskaliert, zum Ende der Woche, denn die weigern sich, VW weiter zu beliefern und bringen damit die Produktion gleich in mehreren Werken ins Stocken. Ab heute früh stehen einige Bänder auch in Wolfsburg still. VW droht bereits mit dem Äußersten. Darüber möchte ich jetzt sprechen mit Ferdinand Dudenhöffer, Professor für Automobilwirtschaft an der Uni Duisburg-Essen. Guten Tag, Herr Dudenhöffer!
Ferdinand Dudenhöffer: Schönen guten Tag!
Zerback: Die beiden sächsischen Firmen, um die es da geht – wir haben es gerade gehört –, die sind eher klein, mittelständisch. Wie kann es denn jetzt sein, dass sie das schaffen, einen Weltkonzern derart auszubremsen?
Dudenhöffer: Also diese beiden kleinen Gesellschaften, die gehören zu einem Konzern, zu einer Gruppe, die nennt sich Prevent-Gruppe, das ist ein Finanzinvestor, und die sind in vielen Dingen im Automobilbereich unterwegs. So wie es aussieht, haben die an VW Forderungen, und VW hat sich geweigert, diese Forderungen zu erfüllen, und jetzt haben sie zum Lieferstopp gegriffen. Das ist überraschend, das ist aber auch gleichzeitig ein schlechtes Zeichen für den Einkauf von VW, denn diese Gruppe Prevent ist bekannt. Solche Dinge gab es angeblich in der Vergangenheit auch schon, dass man mit solchen Dingen gedroht hat. Von daher ist es völlig unverständlich, warum der große Automobilhersteller in seinem Einkauf auf ein kleines Zulieferunternehmen, das in so einer Gruppe ist, ausschließlich einen Teil vergeben hat in der Produktion und warum dann nicht das macht, was alle Autobauer machen, dass man mehrere Hersteller, mehrere Zulieferer zur Produktion eines Teils nimmt. Dann kann man sich nicht erpressen lassen. Also völlig unverständlich, warum der VW-Konzern mit seinem Einkauf so unprofessionell agiert.
"VW hat damit sein Risiko deutlich erhöht"
Zerback: Da hat man sich also sehr abhängig gemacht, indem man da wirklich auf diese eine Quelle gesetzt hat. Gleichzeitig war das Ganze ja auch, die Genese in den letzten, in den vergangenen Tagen sehr geheimniskrämerisch. Sie haben jetzt den einen oder anderen Hintergrund genannt, der dahinterstecken könnte, aber von den Beteiligten hat sich zu den genauen Ursachen des Streits ja keiner wirklich geäußert, also warum das so eskalieren konnte. Was, vermuten Sie denn, steckt dahinter?
Dudenhöffer: Also es sieht so aus, dass es um Preisgespräche und um Konditionsgespräche geht, und diese Konditionsgespräche, die hat wohl VW mehrfach abgelehnt, und dann hat man bei dieser Gruppe oder bei diesen einzelnen Zulieferern zu dem harten Instrument des Lieferstopps gegriffen. Das ist ein sehr hartes Instrument. Wenn man das durchführt in der Branche, gilt man als verbrannt. Da ist nicht viel Hoffnung, von anderen Autobauern dann anschließend Aufträge zu kriegen. Also das ist schon eine sehr harte Linie, die man da verfolgt. Gleichzeitig ist es überraschend, dass VW diese harte Linie so akzeptiert und jetzt juristische Wege geht, über Gerichte geht, statt parallel dazu schnell neue Zulieferer, die diese Standardteile – das ist nichts Besonderes, diese Gehäuse – diese Getriebegehäuse aufbauen, sodass man zwei oder drei Lieferanten an der Hand hat und dann einmalig, wenn es wirklich eine Kondition ist, die schlecht ist, aber die erfüllt, bevor man alle Bänder stehenlässt, also das ist das Zweite, was eigentlich sehr unverständlich ist, wie VW da reagiert. Das ist nach meiner Meinung recht unprofessionell, denn Gerichte, die können diese Dinge nicht lösen. Da kriegen sie rechtlich eine Entscheidung, und die ist möglicherweise positiv für sie, aber der wirtschaftliche Schaden für sie, der ist unermesslich. Also auch das ist naiv, und zum Dritten nimmt man dann …
Zerback: Und man fragt sich auch, wenn ich da mal kurz einhaken darf, man fragt sich ja auch wirklich, was das überhaupt bringen kann, weil wenn die Unternehmen sagen, sie können gar nicht liefern, wie will man dann da zwangsweise beschlagnahmen? Was ist da überhaupt zu holen?
Dudenhöffer: Ja, absolut. Man stellt sich das Bild vor, dass jetzt der Gerichtsvollzieher am Band steht und die einzelnen Teile verpackt. Das kann nicht funktionieren, das wird auch nicht funktionieren. Von daher war diese juristische Vorgehensweise von VW nach meiner Einschätzung nicht akzeptabel, und VW hat damit sein Risiko deutlich erhöht. Also das war nicht so wie man im Management Dinge löst, sondern das war eher, so rechthaberisch Dinge zu lösen, und es fällt einem dann extrem auf die Fuße, denn der Schaden, der jetzt erzeugt wird, der geht in zweistellige Millionenbeträge.
Zerback: Das kann man jetzt schon absehen?
"Bruch in der Produktionslinie bedeutet hohe Verluste"
Dudenhöffer: Das kann man jetzt schon absehen, weil die Bänder stehen still zum Teil, die Bänder werden länger still stehen. VW ist auf diese Forderungen da nicht eingegangen, wie sie auch aussehen mögen, und hat einen juristischen Weg eingeschlagen, und das ist das Schlechteste, was man machen kann. Also man hätte den ersten Fehler, den man gemacht hat, dass man im Einkauf amateurhaft unterwegs ist, den hätte man korrigieren können in der Weise, dass man dann auf diese Dinge eingegangen wäre und parallel neu aufgebaut hätte mit Zulieferern und sich dann von diesem Unternehmen verabschiedet, dann wäre kein Bruch in der Produktion zustande gekommen. Bruch in der Produktionslinie bedeutet hohe Verluste, die eingefahren werden.
Zerback: Und eine Rückendeckung für diese harte Linie, wie Sie sagen, die gab es ja für VW auch unter anderem von Stephan Weil, dem Ministerpräsident Niedersachsens, der auch selber im VW-Aufsichtsrat sitzt, und umgekehrt ist der Schlagabtausch aber auch von den Zulieferern heftig. Die werfen VW ja wiederum vor, ihre Marktmacht da zu missbrauchen. Haben die recht?
Dudenhöffer: Es ist so, dass in der Automobil- und Zulieferindustrie man ja schon immer in diesem Preiskampf drin ist, weil gut 70 Prozent des Wertes eines Autos, das kommt von den Zulieferern, und wenn ich da schlecht verhandle und schlechte Kosten habe, dann kann ich auch nicht mit vernünftigen Preisen mit meinen Fahrzeugen im Markt sein. Also das ist ein ewiges Hin und Her bei den Preisverhandlungen. Natürlich ist da Preisdruck drin. Alles andere würde Autos stark verteuern, aber mit diesem Preisdruck kann man umgehen – das zeigen guter Zulieferer –, und man kann mit dem Preisdruck umgehen, wenn es vernünftig gemacht wird von der Herstellerseite. Also es gehört die Einkaufsabteilung und der Zulieferer, die gehören zusammengebracht. Das ist üblicherweise der Fall, aber man muss dann professionell reagieren. Ein Wort zum Ministerpräsidenten: Also nur Appelle zu richten, ist zwar schön, aber hilft wenig. Warum setzt sich Herr Weil nicht an den Tisch und holt die Parteien zusammen und versucht dann als Mediator zu klären. Das wäre wirklich vorbildlich, aber einfach jetzt ein paar Statements abzugeben, das ist, finde ich, dürftig.
Zerback: Der Schaden ist jetzt da, wie Sie sagen, für VW, das ist auch ein Schaden, den die Mitarbeiter tragen müssen. Das hat für die Mitarbeiter enorme Konsequenzen. Insgesamt wird Volkswagen da ja voraussichtlich Zehntausende Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken und für 7.500 ist das ja bereits Realität, die sind schon im Zwangsurlaub in Emden. Was heißt das denn für die Mitarbeiter jetzt genau?
Dudenhöffer: Das heißt jetzt für die Mitarbeiter, dass man versucht, Urlaubskonten abzubauen, dass man in Kurzarbeit geht, dass sie auf einen Teil von ihrem Gehalt oder Lohn verzichten müssen, und übrigens nicht nur die Mitarbeiter, sondern bei Kurzarbeit springt natürlich auch der Bund ein.
"Es kommt jetzt ganz drauf an, wie schnell VW andere Zulieferer aufbaut"
Zerback: Der Steuerzahler auch.
Dudenhöffer: Der Steuerzahler. Also der Steuerzahler wird jetzt auch noch zur Rechenschaft gezogen dafür, dass man, nach meiner Einschätzung, im Einkauf bei VW schlecht gearbeitet hat, Probleme aufgebaut hat, die der Vorstand des Einkaufs, Herr Sanz, so nicht hätte machen, laufen lassen dürfen.
Zerback: Jetzt aufgeschreckt noch mal zuletzt sind ja auch die Kunden von Volkswagen, da machen sich viele Sorgen um den Liefertermin ihres neuen Wagens. VW selbst hat sich geäußert und rechnet da mit einer relativ schnellen Entspannung der Lage. Womit rechnen Sie?
Dudenhöffer: Es kommt jetzt ganz drauf an, wie schnell VW andere Zulieferer aufgebaut haben, die dieses Getriebegehäuse da bauen. Nach heutiger Sicht sieht man nicht, dass schnell da Lösungen vorhanden sind. Das kann sich also auch auf Wochen noch hinziehen, denn eine völlig neue Produktionslinie bei einem anderen Zulieferer mit neuen Werkzeugen aufzubauen, das kann bis zu einem halben Jahr dauern. Man ist da mit Sicherheit dran, aber das wird nicht morgen früh gelöst sein das Problem.
Zerback: Nach Dieselgate ist das für VW jetzt der nächste Schlag, und das waren Einschätzungen von dem Autoexperten Ferdinand Dudenhöffer. Besten Dank für das Gespräch!
Dudenhöffer: Ich bedanke mich!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.