Archiv

VW in Brasilien
Williger Komplize der Militärdiktatur

Die brasilianische VW-Tochter Volkswagen do Brasil hat Mitarbeiter ausgespäht und sie aufgrund ihrer politischen Gesinnung der brasilianischen Militärdiktatur, die von 1964 bis 1985 herrschte, übergeben. Das ist das Ergebnis von Recherchen. Den Opfern drohte Folter - VW hat sich bis heute dafür nicht entschuldigt.

Von Stefanie Dodt |
    Ein gelb-grün gespritzter VW Käfer parkt am 23.10.2015 in Berlin.
    Volkswagen do Brasil - eine Erfolgsgeschichte? Lange war es das gewinnbringendste Werk des Wolfsburger Konzern und der größte Autohersteller des Landes. (dpa/Sören Stache)
    Es war der Beginn einer Erfolgsgeschichte: Die Globalisierung des Wolfsburger Autokonzerns. 1959 wurde das Werk in der Nähe von Sao Paulo eröffnet, fünfzehn Jahre später konnte auch der NDR nur Erfolgsmeldungen senden.
    "VW do Brasil, zurzeit das gewinnbringendste Werk des Wolfsburger Konzern, ist der größte Autohersteller des Landes. Täglich laufen 1.750 Fahrzeuge vom Band. Von Absatzkrise keine Spur." (NDR Nordschau Magazin, 18.3.1975)
    Enorme Nachfrage nach VW-Bus und Käfer
    Die Nachfrage nach deutschen Autos in Südamerika war riesig, ganz vorne: der Käfer und der VW-Bus. Volkswagen wurde zum größten Privatunternehmen des Kontinents. Carl Hahn, heute 91, war in den Sechzigern Aufsichtsrat bei VW Brasilien und ab 1982 Konzernchef in Wolfsburg.
    "Deutschland hatte einen sehr guten Ruf in der ganzen Welt. Da brauchte man keine Werbekampagnen. Wir hatten das richtige Produkt, das hatte eben seine Persönlichkeit, um genau in die dortigen Verhältnisse zu passen."
    Auch Lúcio Bellentani erinnert sich noch an seine Zeit bei Volkswagen. Doch er hat das Unternehmen anders in Erinnerung als der Manager Carl Hahn.
    Folterhaft und Elektroschocks
    "Hier war ich drin. Zelle Nummer 2."
    Acht Monate Folterhaft. Elektroschocks, er war aufgehängt an einer Stange. Unvorstellbare Schmerzen.
    "Um die Schmerzen noch zu verstärken, haben sie Wasser über mich geschüttet. Elektroschocks, Schläge auf den Kopf, ins Gesicht, Fußtritte, alles gleichzeitig."
    Aktive Beteiligung an der Verfolgung von Regimegegnern
    Bellentani hatte Flugblätter verteilt - für die Kommunistische Partei. Auf dem Werksgelände von Volkswagen nahe Sao Paulo. Dort sei er auch festgenommen worden, sagt er.
    "Das hier ist das Foto von dem Tag, an dem ich verhaftet wurde. Es wurde im Folterzentrum aufgenommen. Das hier ist meine VW-Arbeitskleidung."
    Passiert ist das vor vier Jahrzehnten, im Jahr 1972. Gefoltert wurde Bellentani von der berüchtigten Politischen Polizei des brasilianischen Militärregimes. Doch den Folterern ausgeliefert habe ihn VW, sein damaliger Arbeitgeber. Der Weltkonzern aus Wolfsburg.
    "Indirekt war VW verantwortlich für zahlreiche Fälle von Folter und Verfolgung."
    Einjährige Recherchen von NDR, SWR und Süddeutscher Zeitung bestätigen das, was Bellentani erzählt. Zeugenaussagen, vertrauliche Unternehmensakten und Geheimdokumente des Militärregimes ergeben ein deutliches Bild: Volkswagen war offenbar aktiv beteiligt an politischer Verfolgung und Unterdrückung von Regimegegnern in Brasilien. Guaracy Mingardi bringt es auf den Punkt. Er ist Gutachter der Bundesstaatsanwaltschaft in Sao Paulo, die wegen Menschenrechtsverletzungen gegen VW ermittelt.
    "VW war ein verlängerter Arm der Politischen Repression in Brasilien."
    Werkschutz: firmeneigener Geheimdienst
    Die brasilianische VW-Tochter Volkswagen do Brasil hat den Recherchen der drei Medien zufolge die eigenen Mitarbeiter und ihre politische Gesinnung ausgespäht. Der Werksschutz des Unternehmens diente dabei als firmeneigener Geheimdienst, bestätigt ein ehemaliger Arbeiter.
    "Das System des Werkschutzes war es, die Leute abzuholen und für ein, zwei Wochen dort einzubuchten. Wie eine Art Privatgefängnis war das, mitten im VW-Werk."
    Keine Einzelfälle, sondern anscheinend ein System, das bis zum Ende der Militärdiktatur Mitte der Achtzigerjahre funktionierte. Davon habe er nichts mitbekommen, sagt der frühere VW-Chef Carl Hahn.
    VW hat eigenes Gutachten veranlasst
    "Wir haben versucht, Automobile zu bauen und unabhängig von der Regierung, die in einem Lande herrscht. Das überlassen wir den Eingeborenen, den Menschen dieser Länder."
    Der Volkswagen-Konzern will sich derzeit nicht zu den Vorgängen in Brasilien äußern. Man habe selbst ein Gutachten dazu in Auftrag gegeben, so ein Sprecher, und warte auf dessen Ergebnisse. Doch der von VW damit beauftragte Bielefelder Wirtschaftshistoriker Christopher Kopper äußerte sich bereits im ARD-Interview. Er bestätigt vieles, was die Recherchen erbrachten.
    "Also ich bin zum Einen sehr sicher, dass der Werkschutz von VW auch das Ziel der Militärdiktatur, vor allem Kommunisten mit allen Mitteln zu verfolgen, auch teilte."
    Dass die brasilianische Demokratie Mitte der Sechzigerjahre durch eine Militärdiktatur ersetzt wurde, sei für ihn jedenfalls kein Problem gewesen, sagt Carl Hahn, damals Aufsichtsrat bei VW Brasilien.
    Entschuldigung durch VW wäre fällig
    "Mich hat das nicht beunruhigt damals. Ich erinnere nicht, dass wir nun mit Tränen den Weggang und die Wegspülung der Demokratie etwa beweint hätten."
    Doch der von VW beauftragte Historiker kommt zu klaren Aussagen.
    "Ich denke dass Volkswagen damals eine Verantwortung trug für die Verletzung von Arbeitnehmerrechten, mit erheblichen Auswirkungen auf das Leben dieser Beschäftigten. Dafür, denke ich mal, könnte sich VW entschuldigen."
    Eine Entschuldigung, die fordert auch Folteropfer Lúcio Bellentani. Denn: Von VW kam seit Jahrzehnten nur eines: Schweigen.