Sandra Schulz: Wir haben es gerade noch mal gehört. Dieser Wechsel an der Spitze bei VW, der kommt jetzt ziemlich überraschend. Warum musste Matthias Müller gehen?
Christian Strenger: Ja, man hat wohl beschlossen, dass das Tempo der Veränderung nicht groß genug war und dass man mit Herrn Diess einen kernigeren Umsetzer der erforderlichen technischen Veränderungen gefunden hat. Nun ist Herr Diess zwar sehr spät erst zu VW gestoßen, hat aber auch in der Dieselgate-Affäre in den letzten Monaten mitgearbeitet und war der designierte Verhandlungspartner der US-Behörden. Insofern ist in Wolfsburg vielleicht grauer Rauch aufgestiegen, aber von einem weißen Rauch nach der Aufsichtsratssitzung kann man eigentlich nicht sprechen. Denn es geht weiter mit allen Dingen, die die Dieselgate-Affäre und jetzt die Bestätigung durch die Affentests nun ausgelöst haben und die noch immer nicht bewältigt sind, weil die Kultur sich nicht ändert.
"Affentest-Aufarbeitung steht noch aus"
Schulz: Das heißt, Sie gehen davon aus, dass Herbert Diess möglicherweise in der Dieselgate-Affäre belastet ist - und den Rückschritt müssen wir noch machen; über Matthias Müller haben wir jetzt ja noch gar nicht gesprochen -, ob das vielleicht auch der Grund sein könnte, dass er jetzt so überraschend gehen musste?
Strenger: Dazu gibt es keine belastbaren Erkenntnisse. Aber die Untersuchungen auch der Behörden haben ja erst in letzter Zeit Fahrt aufgenommen. Das war eine ganze Weile doch recht langsam. Da ist man wohl auch durch die amerikanischen Bemühungen, Licht in diese ganzen Affären zu bringen, dann etwas angestachelt worden, doch etwas mehr Gas zu geben und dahinter zu kommen. - Diese Affäre und auch der Affentest, das muss einfach ganz anders offen bewältigt werden, und das steht immer noch aus.
"Diess hatte Kenntnis von Dieselgate"
Schulz: Aber erklären Sie das noch genauer. Sie waren jetzt, wenn ich es richtig verstanden habe, bei Matthias Müller. Was ist mit Herbert Diess? Inwiefern könnte er verstrickt gewesen sein?
Strenger: Nicht verstrickt, aber er hat nach seinem Amtsantritt im Juli 2015 teilgenommen an den Besprechungen zu dem Diesel-Skandal, und VW hat das in einer Klageerwiderung vor kurzem auf 700 Seiten ausgebreitet und da ist sehr detailliert zu lesen, dass auch Herr Diess dort Kenntnis hatte von Dieselgate. Da geht es darum: Wurde der Kapitalmarkt und wurden die Aktionäre rechtzeitig informiert? Das hat bis zum 18. September dann nicht geklappt. Dann haben die amerikanischen Behörden das öffentlich gemacht und dann kam VW am 22. September, obwohl man im Juli 2015 doch endgültig wissen musste, dass dort die Hütte brennt.
Schulz: Ihre Hoffnungen, um das noch mal zusammenzufassen, auf einen Kulturwandel, die halten sich in ganz engen Grenzen?
Strenger: Ja. Solange die Familien Porsche-Piëch Herrn Pötsch als Aufsichtsratsvorsitzenden behalten, kann ich nicht erkennen, wie ein ernsthafter Wille zur Veränderung da ist. Das wird immer wieder propagiert. Wir haben vieles gehört mit schonungsloser Aufklärung und Ähnlichem. Aber die entscheidenden Untersuchungsergebnisse der Kanzleien Jones Day und anderer, die sind uns ja bisher vorenthalten, und das soll wohl dauerhaft auch so bleiben. Das wird vielleicht durch die Sonderprüfung, die nun endlich durchgesetzt worden ist, etwas besser werden, aber auch das wird noch dauern.
Umdenken für die Außenwahrnehmung und die Mitarbeiter
Schulz: Aber braucht ein Unternehmen, das so erfolgreich ist wie Volkswagen zuletzt war mit dem Rekordergebnis aus dem letzten Jahr und mit diesem jetzt zahlenmäßig ja großartigen Start ins Jahr 2018, braucht so ein Unternehmen überhaupt einen Kulturwandel?
Strenger: Ja, ich glaube schon, auch in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit. Und dass der Aufsichtsrat unter Mitwirkung von Ministerpräsident Weil und Minister Althusmann immer noch nicht erreicht hat, mit den Kapiteln Dieselgate und auch Affentests endlich reinen Tisch zu machen, das ist bemerkenswert und das ist schade, weil es geht ja hier um hunderttausende von Mitarbeitern. Und auch für das Bild Deutschlands in der Öffentlichkeit und auch international muss einfach nun eine Umkehr stattfinden. Ich fände es richtig, dass man endlich sich dazu bekennen würde, dass es eben alle waren und nicht nur Untergebene. Das finde ich eine wenig überzeugende Art, glauben zu machen, dass nur Untergebene für Diesel-Skandal und Affentests verantwortlich waren.
Schulz: Aber, Herr Strenger, wenn wir uns diese Entwicklung im Geschäft anschauen, könnte es dann sein, dass dieses Image-Problem, über das wir ja diskutieren in Deutschland seit mehr als zwei Jahren, dass das, wenn wir aufs weltweite Geschäft schauen, einfach ein Randproblem ist?
Strenger: Ich glaube, dass VW das gerne dahin stilisieren möchte. Aber das bleibt in den Köpfen und natürlich in Deutschland ganz besonders. Man muss das trennen von den Autos, die sehr gut ankommen und zurecht. Gerade deswegen und auch, weil wieder so hohe Beträge - 14 Milliarden in 2017 - verdient wurden, ist doch die Möglichkeit, auch dieses belastende Rufthema nun zu erledigen und damit einen Schlussstrich zu ziehen, um befreit nach vorne zu schauen.
"Diess hat wohl seinen Frieden mit dem allmächtigen Betriebsrat gemacht"
Schulz: Was sagen Sie zu den Umstrukturierungen, die ja auch gleichzeitig beschlossen sind, die Herbert Diess im Konzern auch gleichzeitig noch mal mächtiger machen sollen, als es Matthias Müller vorher war?
Strenger: Ich glaube, dass das dann im Detail zu verfolgen ist, wie sie wirken. Interessant ist natürlich, dass Herr Diess wohl seinen Frieden mit dem allmächtigen Betriebsrat gemacht hat, und dadurch, dass Herr Osterloh seinen Mitarbeiter nun auch in den Vorstand gehievt hat, hat sich eigentlich auch an der Gesamtaufstellung des Konzerns wenig geändert. Man kann Herrn Diess nur wünschen, dass sein Durchsetzungsvermögen im Konzern auch wirklich dann nachhaltig gegeben ist. Das hatte man Herrn Müller eigentlich auch versprochen, aber womöglich hat er das, auch da er so kurzfristig in die Rolle des Chefs befördert wurde, nicht ausreichend erkannt, oder nicht ausreichend durchsetzen und schaffen können.
Schulz: Christian Strenger, Direktor des Corporate Governance Centers der Handelshochschule in Leipzig, heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk mit Einschätzungen zu VW.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.