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VW nach dem Diesel-Skandal
"Man wird möglichst vermeiden, Hardware nachzurüsten"

Milliarden-Gewinne bei Volkswagen - trotz Diesel-Betrug und der beharrlichen Weigerung, Kunden zu entschädigen. Der Skandal habe zumindest einen Kulturwandel eingeleitet, sagte Autoexperte Stefan Bratzel im Dlf, doch Forderungen nach Nachrüstung werde der Konzern versuchen auszusitzen.

Stefan Bratzel im Gespräch mit Jörg Münchenberg |
    Autoturm im Hauptgeschäftssitz von Volkswagen in Wolfsburg
    " Wenn man sich die Absatzzahlen von Volkswagen anschaut, dann fällt ja auf, dass überall ein recht großes Wachstum ist, aber in Deutschland ist man unterdurchschnittlich zum Markt unterwegs", sagt Stefan Bratzel (AFP / Odd Andersen)
    Jörg Münchenberg: Die vielen Affären sind scheinbar an Volkswagen fast spurlos vorbeigegangen. Darüber habe ich vor der Sendung mit dem Autoexperten Stefan Bratzel vom Automotive-Forschungsinstitut in Bergisch-Gladbach gesprochen und ihn zunächst gefragt, ob sich die VW-Manager eigentlich alles gegenüber ihren Kunden leisten könnten?
    Stefan Bratzel: Ich glaube, ganz so ist es nicht. Aber man hat trotz der richtig großen strategischen Fehler der Vergangenheit auch einiges richtig gemacht in den letzten Jahren, und das hat tatsächlich dafür gesorgt, dass man in einem sehr guten, muss man sagen, globalen konjunkturellen Umfeld auch sehr viel verdient.
    "In Deutschland tat der Skandal am meisten weh"
    Münchenberg: Sie sagen, Volkswagen hat einiges richtig gemacht. Auf der anderen Seite: Es gibt einen Sex-Skandal auf Betriebskosten sozusagen. Das war 2005 bis 2007. Dann der Betrug mit der Diesel-Software, die umstrittenen Tierversuche mit Affen, zusammen mit anderen Autokonzernen. Das alles interessiert die Kunden nicht?
    Bratzel: Das interessiert die Kunden schon und ich würde sagen, die interessiert das insbesondere in Deutschland. Wenn man sich die Absatzzahlen von Volkswagen anschaut, dann fällt ja auf, dass überall ein recht großes Wachstum ist, aber in Deutschland ist man unterdurchschnittlich zum Markt unterwegs. Man kann schon sagen, in Deutschland tat der Skandal rund um Affen und Abgase am meisten weh.
    "Diesel-Skandal in China keine großen Auswirkungen"
    Münchenberg: Würden Sie dann doch sagen, die deutschen Autofahrer verzeihen vielleicht doch nicht so schnell oder sind doch nicht so vergesslich wie andere, zum Beispiel in China?
    Bratzel: Man kann das tatsächlich so sagen. Die sind nicht ganz so vergesslich wie in Amerika oder in China. Wobei man natürlich auch sagen muss: Der Diesel-Skandal hat in China keine großen Auswirkungen, weil dort praktisch keine Diesel verkauft werden. Insofern spielt China, die ja eine ganz gewichtige Rolle für den Erfolg von Volkswagen im Moment spielen, hier beim Diesel-Skandal keine Rolle.
    Skandale fallen "hinter gutem Preis-Leistungs-Verhältnis zurück"
    Münchenberg: Sie haben gerade gesagt und wir haben das auch in dem Beitrag gehört, der deutsche Markt ist ein bisschen schwieriger als die anderen Märkte, wo Volkswagen überall glänzt. Würden Sie trotzdem sagen, insgesamt ist das Verhältnis zwischen Volkswagen, der Autoindustrie und dem Autoland Deutschland weiterhin in Takt?
    Bratzel: Ich glaube schon, dass wir ganz klar sagen müssen – und das gilt nicht nur für Volkswagen -, dass die Automobilindustrie schon einer großen Glaubwürdigkeitskrise ist, insbesondere in Deutschland, aber auch gegenüber der EU. Das gilt sowohl bei politischen Institutionen, aber auch gegenüber der Bevölkerung. Man hat schon eine große Glaubwürdigkeitskrise. Aber klar ist auch – und das zeigen ja die Zahlen: Die Glaubwürdigkeitskrise führt nicht unbedingt dazu, dass die Menschen reihenweise Abstand nehmen von den Produkten von Volkswagen. Man könnte vielleicht formulieren, dass diese Fragen hinter einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis zurückfallen.
    "Relativ große Gewinne trotz Diesel-Skandal"
    Münchenberg: Das ist das, was Sie vorhin erwähnten, was Volkswagen richtig gemacht hat im Vergleich auch zur Konkurrenz?
    Bratzel: Das ist sicherlich ein ganz wichtiger Punkt. Ich meine, auch wenn es vielleicht im Moment unpopulär erscheint, aber die letzten Jahre hat Volkswagen sicherlich einige richtige, einige gute Entscheidungen getroffen, mit denen man richtig gut Geld verdient. Das ist eine breite Produktpalette. Man hat technologisch auf Technologie-Baukästen, den sogenannten modularen Querbaukasten beispielsweise gesetzt, auf den man jetzt relativ viele Modelle in unterschiedlichen Marken entwickeln kann und die entsprechenden Modelle darauf aufsetzen kann. Das hat enorm Kosten gespart. Hinzu kommt, dass der VW-Chef Diess eingestellt wurde, um Kosten zu sparen bei der Marke Volkswagen. Auch das ist gelungen und das führt zusammen genommen schon zu relativ großen Gewinnen, trotz Diesel-Skandal.
    Ohne Skandal "nicht so viel Bewegung"
    Münchenberg: Nun ist trotzdem das Image für Autobauer extrem wichtig. Jeder Konzern pflegt ein bestimmtes Image. Nun hat Volkswagen, wie wir schon besprochen haben, erhebliche Probleme gehabt, diverse Skandale gehabt. Ist das Image von Volkswagen, würden Sie sagen, trotzdem nicht beschädigt worden?
    Bratzel: Ich glaube schon, dass das Image beschädigt ist. Die Skandale haben schwer zugesetzt. Volkswagen musste, was nicht ganz so stark in der Vergangenheit war, jetzt deutlich auch mehr Verkaufsunterstützung, Rabatte gewähren, um überhaupt dieses Verkaufsniveau in Deutschland halten zu können. Man ist sehr stark dabei, Fahrzeuge umzurüsten. Das Ganze hat doch image-technisch sehr schwer seine Spuren hinterlassen. Aber man kann vielleicht auch positiv formulieren: Ohne den Skandal wäre bei Volkswagen nicht so viel Bewegung auch in diese richtige Richtung, Richtung Elektromobilität, Richtung autonomes Fahren möglich gewesen, auch wenn man die Ergebnisse dieses Wandels, der im Moment im Volkswagen-Konzern stattfindet, noch nicht auf der Straße sieht und noch nicht alles kaufen kann davon. Aber der Skandal hat im Konzern zumindest einen Kulturwandel eingeleitet.
    "Der wichtigste Markt von Volkswagen ist China"
    Bratzel: Kann denn Volkswagen vielleicht auch die leise Kritik, die es in Deutschland eventuell gibt an diesen Skandalen, ganz gut verschmerzen, denn die Boom-Märkte liegen ja woanders? Von den rund elf Millionen Autos hat Volkswagen über vier Millionen in China verkauft. Ist der deutsche Markt vielleicht auch gar nicht mehr so wichtig?
    Bratzel: Der deutsche Markt ist sicherlich nicht mehr der wichtige. Man schaut auf die Weltregionen. Das ist natürlich noch Europa. Da hat man einen hohen Marktanteil grundsätzlich. Aber der wichtigste Markt von Volkswagen ist China und wenn man sich dort strategisch gut aufstellt – und das hat Volkswagen in vielen Jahren Vorarbeit gemacht -, dann kann man gut Geld verdienen. In Amerika, da muss man ja noch ein Fragezeichen hinsetzen. Der Skandal dort hat schon seinen Einfluss gehabt und hat auch viel Geld gekostet. Aber auch da ist der Schleier des Vergessens, den die Konsumenten über die Marken legen, relativ groß und dicht. Da geht es jetzt auch aufwärts.
    Hardware-Nachrüstungen betreffen auch Frankreich, Italien
    Münchenberg: Herr Bratzel, der Konzern hat einen Netto-Gewinn von über elf Milliarden Euro im letzten Jahr verbucht. Trotzdem weigert sich Volkswagen ja beharrlich, die Hardware-Nachrüstung von geschädigten Diesel-Besitzern zu übernehmen. Warum gibt es hier keinen Aufschrei der Empörung, wenn man solche doch sehr beeindruckenden Zahlen hört?
    Bratzel: Ja, ich glaube schon, dass der eine oder andere vor dem Hintergrund dieser Zahlen nicht richtig einsehen wird, warum man nicht möglicherweise etwas mehr tut für die deutschen, für die europäischen Konsumenten, die ja auch darunter leiden, dass die Restwerte jetzt von Diesel-Fahrzeugen sehr viel niedriger sind. Und Sie haben es angesprochen, aber das ist im Moment eine Regelung der ganzen deutschen Hersteller: Auch kann man darüber diskutieren, ob nicht Hardware-Nachrüstungen, Pakete von Hardware-Nachrüstungen die bessere Lösung wären, vielleicht auch die bessere Lösung für die Automobilindustrie, um die Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Geld ist da. Allerdings wir dürfen nicht vergessen: Wir sprechen dann nicht nur bei solchen Hardware-Nachrüstungen über Deutschland; dann werden sicherlich auch Rufe aus dem Diesel-Land Frankreich, aus Italien kommen, eben solche Hardware-Nachrüstungen zu installieren.
    "Politik muss emanzipiert genug sein, um Recht durchzusetzen"
    Münchenberg: Halten Sie es denn für wahrscheinlich, dass VW vielleicht doch noch einknicken könnte, oder vertraut man letztlich wie die anderen Hersteller auch auf die Politik, die ja bislang den Druck noch nicht so groß erhöht hat?
    Bratzel: Ja, man vertraut sicherlich nach wie vor auf die Politik, wobei der Frust ist natürlich auf der politischen Seite sicherlich auch groß. Und ich weiß nicht, ob die Politik sich einen wirklich großen Gefallen tut. Es gab ja so etwas wie eine Kultur des Wegschauens rund um Diesel-Skandal, um sehr hohe CO2-Werte in der Realität. Ich denke, dass die Politik natürlich weiterhin mit der Autoindustrie intensiv sprechen muss. Sie ist und bleibt eine wichtige Industrie mit vielen sehr gut bezahlten Arbeitsplätzen in Deutschland. Aber die Politik muss souverän und emanzipiert genug sein, um Recht auch vernünftig durchzusetzen, und das ist in der Vergangenheit zu wenig passiert. Und ich glaube, das war auch längerfristig im Nachteil der Autoindustrie in Deutschland.
    "Nicht mit Technologien der Vergangenheit beschäftigen"
    Münchenberg: Aber noch eine letzte Frage. Glauben Sie, dass letztlich die Autokonzerne und damit auch Volkswagen die Hardware-Lösung aussitzen wird und man nichts tun wird?
    Bratzel: Ich glaube, das wird man versuchen. Man wird es versuchen auszusitzen, wird versuchen, durch andere Maßnahmen es möglichst zu vermeiden, diese Hardware nachzurüsten, die ja – das muss man auch sagen – einige Jahre dauern wird, bis die dann auf der Straße spürbar sein wird. Man will sich nicht mit Technologien der Vergangenheit und deren Nachrüstung intensiv beschäftigen. Das ist sicherlich die Vorgabe und die wird man versuchen umzusetzen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.