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VW-Skandal
"Bundesregierung ist der absolute Bremsklotz"

Der Grünen-Politiker Michael Cramer sieht in dem VW-Skandal eine Mitverantwortung der Bundesregierung. Es sei seit Jahren bekannt, dass die Abgaswerte in Wirklichkeit viel höher als erlaubt seien, sagte er im DLF. Die Politik habe gedacht, man könne das unter dem Deckel halten. Es sei deshalb gut, dass die Affäre jetzt an die Öffentlichkeit gelangt sei.

Michael Cramer im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Porträtbild von Michael Cramer, Studienrat und Abgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen im Europaparlament.
    Michael Cramer ist Abgeordneter der Grünen im Europaparlament. (picture alliance / ZB / Nestor Bachmann)
    Tobias Armbrüster: Es herrscht weiter Krisenstimmung bei Volkswagen und ein Ende des Skandals um die manipulierten Abgaswerte ist nicht in Sicht. Zu viele Fragen sind noch offen. Vor allem: Wie konnte es eigentlich passieren, dass der Konzern alle Warnungen der vergangenen Jahre in dieser Sache missachtet hat. Seit gestern tagt das Präsidium bei VW. Das ist der innerste Zirkel des Aufsichtsrates.
    Mitgehört hat Michael Cramer von den Grünen. Er ist Abgeordneter im Europäischen Parlament und dort Vorsitzender des Verkehrsausschusses. Schönen guten Tag, Herr Cramer.
    Michael Cramer: Schönen guten Tag.
    Armbrüster: Herr Cramer, sind denn solche hoch peinlichen Befragungen für VW eigentlich auch in Europa möglich?
    Cramer: Die sind auch möglich und wir diskutieren ja seit Jahren darüber, dass die Grenzwerte, die angegeben werden, mit der Realität überhaupt nichts zu tun haben. Das wissen wir schon lange. Und auch die Kommission versucht seit mehreren Jahren Deutschland davon zu überzeugen, dass zum Beispiel die Stickstoff-Dioxid-Emissionen viel zu hoch sind. Ab 1. September dürfen sie bei Dieselfahrzeugen nur 80 Milligramm sein pro Kilometer. Sie sind in der Realität aber bei 500 Milligramm und nichts wird unternommen. Die Politik weiß Bescheid, die Bundesregierung weiß das alles, aber man dachte, man könnte es unter dem Deckel halten. Deshalb ist gut, dass es jetzt rauskommt. Wir brauchen die Werte, die angegeben worden sind. Die müssen der Realität entsprechen. Und wir sind ein Rechtsstaat. Wer Recht bricht, muss verurteilt werden.
    Armbrüster: Aber, Herr Cramer, wenn das alles tatsächlich in den vergangenen Jahren so offensichtlich war - wir haben das ja heute schon mehrfach gehört -, warum hat dann beispielsweise nicht auch Ihre Partei Alarm gerufen?
    Cramer: Wir haben Alarm gerufen. Wir haben hier Veranstaltungen gemacht. Da ist zum Beispiel rausgekommen, dass bei den Werten bei 200 Fahrzeugen - das war eine britische Organisation, die 200 Fahrzeuge geprüft hat -, dass nur drei den Normen entsprachen, die sie angegeben haben. Daraufhin haben wir in Brüssel eine Veranstaltung gemacht. Die kleine Anfrage, die im Bundestag gestellt wurde, wo rauskommt, der Bund, die Bundesregierung wusste schon seit Jahren bescheid, aber sie haben nichts gemacht, weil es eine enge Verbindung gibt zwischen der Politik und den Autokonzernen in Deutschland und die dachten immer, sie können sich alles leisten.
    Armbrüster: Herr Cramer, wir haben jetzt hier bei uns heute Morgen Oliver Wittke gehört, den CDU-Verkehrspolitiker im Bundestag. Er hat uns gesagt, dass die Bundesregierung schon seit Langem in Brüssel auf sehr viel strengere Kontrollen drängt. Das können wir uns mal kurz anhören:
    O-Ton Oliver Wittke: "Die Bundesregierung hat bei der Europäischen Union, bei der Kommission in Brüssel interveniert. Die Bundesregierung drängt darauf, dass europaweit die Praxis geändert wird. Das betrifft ja im Übrigen nicht nur VW, das betrifft nicht nur deutsche Automobile, sondern das ist ein europaweites Problem, das angegangen werden muss. Das ist wahr."
    Armbrüster: … sagt hier bei uns Oliver Wittke. - Herr Cramer von den Grünen, ist die Bundesregierung in Brüssel wirklich der große Fürsprecher für strengere Abgasnormen?
    Cramer: Die Bundesregierung ist der absolute Bremsklotz. Wir hatten uns zum Beispiel schon vor zwei Jahren darauf verständigt, Rat, Kommission und Parlament, die Grenzwerte zu senken ab 2020. Dann hat Angela Merkel im Nachhinein interveniert, weil sie Anrufe von den Konzernen bekam, und hat es dann auf 2021 und -22 noch verlängert. Und wie gesagt, ich hatte schon vorhin erwähnt: Seit Jahren geht die Auseinandersetzung um Diesel. Stickstoff-Dioxid-Emissionen, die sind sehr gefährlich und die werden mehr als das Sechsfache überschritten, und die Bundesregierung macht nichts, hält es hin und macht es gar nicht. Im Gegenteil: Der Diesel in Deutschland ist billiger, künstlich billiger gehalten, weil die Mineralölsteuer auf Normalbenzin höher ist als auf Diesel. Das wäre das Mindeste, was angeglichen werden müsste, damit der Reiz, Dieselfahrzeuge zu kaufen, runtergeht. Übrigens diese Entscheidung hatte damals der Minister Zimmermann, als Old Surehand bekannt, durchgesetzt. Diesel ist umweltfreundlich, deshalb wollen wir da nicht so viel Mineralölsteuer haben. Das ist verrückt, aber traurige Realität, und jetzt könnte man das ändern, weil der Dieselpreis ja insgesamt niedrig ist.
    Armbrüster: Das ist ja nun schon einige Jahre her mit dem Minister Zimmermann. Jetzt sind natürlich strengere Abgaswerte die eine Seite der Medaille. Die Kontrollen sind ja die andere, und um die geht es gerade. Ich glaube, da fragen sich viele Leute auch an diesem Mittwoch, warum hat nicht die EU, die EU-Kommission, auch möglicherweise das Europäische Parlament schon länger darauf gedrungen, dass man in Europa für die Autohersteller strengere Kontrollen einführt, dass solche Manipulationen auch bei uns in Europa nicht möglich sind?
    Cramer: Ja. Aber zunächst mal ist die Kontrolle dem eigenen Mitgliedsstaat überlassen und die Amerikaner zeigen ja, wie das geht. Da gibt es diese WLTP, die Worldwide harmonized Light vehicles Test Procedures, und die machen gute Untersuchungen und die sollte man in Europa und in Deutschland auch übernehmen. Aber wenn Deutschland sich innerhalb der EU wehrt, wird es kein europäisches Gesetz geben. Also die Verantwortung liegt zunächst mal beim Mitgliedsstaat und Deutschland hat an dem Punkt permanent geschlampt. Wir auch als Grüne und die ganzen Umweltverbände haben immer darauf hingewiesen, die Werte, die angegeben werden, die im Labor erzeugt werden, haben mit der Realität nichts zu tun. Das müssen wir ändern. Auf unseren Druck bewegt sich auch die Kommission, aber wie gesagt, der Rat muss auch zustimmen und dazu gehört Deutschland.
    Armbrüster: Und Deutschland, das sagen Sie, blockiert solche Kontrollen?
    Cramer: Deutschland ist die Blockadeinstanz und das, was Herr Wittke gesagt hat, hat mit der Realität nichts zu tun. Ich hatte das Beispiel gebracht und kurz nach den Wahlen 2013 kam ja auch heraus: Die größte Spende, die die CDU bekommen hat, 680.000, die kam aus dem Quandt-Konzern, von BMW. Dieser Zusammenhang ist offensichtlich und deshalb muss man da aufpassen.
    Armbrüster: Kann denn nicht die EU-Kommission von sich aus sagen, wir nehmen das Ruder jetzt in die Hand und wir führen von uns aus strengere Kontrollen ein?
    Cramer: Das wäre natürlich schön, aber die EU-Kommission hat ja gar nicht die Kapazitäten. Es heißt zwar immer, wir sind das Bürokratiemonster in Europa, aber für 500 Millionen Menschen in Europa sind in der Administration der Europäischen Union weniger beschäftigt als in Frankfurt am Main für 700.000. Da müssen die Mitgliedsstaaten auch den Etat erhöhen, müssen das Geld auch nach Europa schicken. Dann könnten wir das machen. Aber so ohne Weiteres ist es schwierig.
    Armbrüster: Und deshalb ist es auch so, dass diese ganze Sache jetzt aufgeflogen ist, ausgerechnet in den USA, dass nur die USA diesen Druck ausüben können und nicht etwa die Europäische Union.
    Cramer: Man kann sagen, die Amerikaner haben einmal strengere Werte. Man muss auch dazu sagen, bestimmte Manipulationen, die waren in Europa noch legal. Aber das, was passiert ist in den USA mit VW, das wäre auch in Europa nicht legal. Das muss man ganz klar sagen. Es ist gut, dass es jetzt aufgekommen ist, und ich hoffe, die Automobilindustrie begreift es. Es geht nicht um Grenzwerte auf dem Papier. Es geht um Grenzwerte in der Realität, weil sonst natürlich die Verbraucher, die Kunden werden betrogen, weil sie denken, der fährt ja nur vier Liter auf 100 Kilometer, aber dann braucht er eben doch mehr Liter, sechs oder sieben. Es wird die Umwelt geschädigt und natürlich der Rechtsstaat. Das sind kriminelle Geschichten, die müssen verfolgt werden und streng bestraft werden.
    Armbrüster: Hier bei uns im Deutschlandfunk war das Michael Cramer von den Grünen. Er ist Abgeordneter im Europäischen Parlament und Vorsitzender dort des Verkehrsausschusses. Vielen Dank, Herr Cramer, für Ihre Zeit heute mittag.
    Cramer: Ich danke auch für die Einladung.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.