Sandra Schulz: Das ist natürlich erst mal verblüffend, dass es Autos gibt, die merken, ob sie gerade einen Test durchlaufen oder nicht und die in der Testsituation einfach weniger Schmutz ausspucken als sonst auf der Straße. Die VW-Ingenieure, die haben diesen Kniff ja gefunden, eine Erfindung, die allerdings mit "Kniff" verharmlost beschrieben ist, denn sie ist der Schlüssel zu illegalen Abgasmanipulationen im großen Stil. Und die Affäre um Volkswagen, die hat heute noch einmal größere Ausmaße angenommen.
Die Manipulation hatte VW ja schon am Sonntag eingeräumt. Umweltexperten gehen davon aus, dass es so was nicht nur bei VW gibt, was ein gefährlicher Verdacht ist. Und weil die Autoindustrie für Deutschland so wichtig ist, wächst jetzt auch in Berlin die Sorge, dass aus dem Label "Made in Germany" jetzt "Faked in Germany" werden könnte, also "gefälscht in Deutschland". Darum schaltet sich jetzt auch die Politik ein.
Wie gesagt, VW-Vorstandschef Winterkorn hat sich heute öffentlich entschuldigt für, so hat er es gesagt, das Fehlverhalten. Wessen Fehlverhalten, das hat er nicht gesagt, und kurz vor der Sendung habe ich darum Stefan Bratzel gefragt, den Direktor des Center of Automotive Management, ob Martin Winterkorn damit durchkommt.
Wie gesagt, VW-Vorstandschef Winterkorn hat sich heute öffentlich entschuldigt für, so hat er es gesagt, das Fehlverhalten. Wessen Fehlverhalten, das hat er nicht gesagt, und kurz vor der Sendung habe ich darum Stefan Bratzel gefragt, den Direktor des Center of Automotive Management, ob Martin Winterkorn damit durchkommt.
Stefan Bratzel: Nun, es muss sicherlich irgendwann einer Verantwortung übernehmen, und die Frage ist natürlich, ob Martin Winterkorn frühzeitig etwas gewusst hat und wenn das der Fall war, wird es sehr, sehr schwer sein, Martin Winterkorn auf dem Sessel zu halten.
Schulz: Und wenn er nichts gewusst hat?
Bratzel: Ja wenn er nichts gewusst hat, ist natürlich die Frage, warum er nichts gewusst hat bei so einem gravierenden Fall. Dann stimmen die Prozesse nicht, die er eigentlich zu kontrollieren hat. In beiden Fällen ist das nicht besonders gut. Im letzteren Fall könnte man das vielleicht noch für entschuldbar halten, im ersteren Fall sicherlich nicht.
Down-Turn-Trend von VW ist stark sichtbar
Schulz: Es gibt jetzt ja schon Meldungen, oder besser gesagt es gibt eine Meldung von der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung", die ist noch nicht bestätigt, dass Winterkorn kurz vor der Ablösung stehe. Wie ernst nehmen Sie das?
Bratzel: Nun, die Situation ist erst mal für Volkswagen extrem ernst. Man wird viel Geld verlieren und an der Börse ist der Down-turn-Trend schon sehr stark sichtbar. Es gibt natürlich allerorten jetzt Rufe, dass einer dafür den Kopf hinhalten muss. Insofern wird auch im Aufsichtsrat hier sehr genau geprüft werden, ob es weitergehen kann mit Herrn Winterkorn. Man stelle sich natürlich auch vor, dass jemand ja vor die Amerikaner stehen muss, vor die Gerichte stehen muss und sich erklären muss. Die Frage ist, kann das ein Martin Winterkorn noch sein, der in seiner Amtszeit das ein Stück weit natürlich verantworten muss.
Schulz: Umgekehrt gefragt: Wäre denn was gewonnen, wenn Winterkorn jetzt ginge?
Bratzel: Ja, das ist eben die andere wichtige Frage. Ich glaube, dass es erst mal darum gehen muss, dass man herausbekommt, wer diese Manipulationen initiiert hat, wer sie dann gedeckt hat und wer vielleicht zu lange zugeschaut hat, um sie wirklich offenzulegen, weil das ist ein weiteres großes Problem. Ich glaube nicht, dass die Probleme jetzt gelöst werden, wenn man den CEO, den Vorstandsvorsitzenden wechselt. Die Probleme sind immens und die Gefahrenabwehr, der Modus, in dem man im Moment sich befindet, der ist noch voll im Gange.
Strukturelles Problem bei VW
Schulz: Wie groß sind denn die Chancen, dass es diese Aufklärung wirklich geben wird?
Bratzel: Nun, ich glaube, die Chancen sind nicht schlecht, weil die öffentliche Aufmerksamkeit, die jetzt durch diesen Skandal ausgelöst wurde, sind natürlich immens. Es gibt natürlich eine ganz wichtige Thematik, die das Ganze ein Stück weit verschärft, und zwar ist ja seit über einem Jahr die Anfrage der amerikanischen Umweltbehörde bei Volkswagen eingegangen, dass hier Probleme vorliegen und dass man sich erklärt, und dann hat man praktisch über ein Jahr versucht, dieses Thema zu verschleiern und diese Verschleierungstaktik ist natürlich auch ein schlechtes Zeichen. Man hat nur gegen extremen Druck, als nämlich die amerikanische Umweltbehörde dann gesagt hat, wir lassen dann die neuen Fahrzeuge nicht zu, erst dann hat man eingestanden, dass man hier Manipulations-Software genutzt hat. Das ist für mich eins der großen Probleme, die doch sehr zum Nachdenken verleiten. Hier scheint es, ein großes strukturelles ethisches Problem zu geben. Auch wenn man ein Problem erkannt hat, versucht man, es noch zu verschleiern. Ich glaube, hier muss man, wenn man irgendwann die Ursachen aufarbeitet, ansetzen.
Arroganz und Marktangst könnten Auslöser sein
Schulz: Welchen Reim machen Sie sich dann insgesamt auf den Fall? Ist da wirklich die Arroganz der Macht durchgegangen mit den Ingenieuren oder mit den Managern, die sich für gefühlt unantastbar gehalten haben, oder war das möglicherweise auch der verzweifelte Kampf, ohne das jetzt rechtfertigen zu wollen, wirklich um Gewinnmargen?
Bratzel: Es war vielleicht ein bisschen von beidem. Für mich war das ein großer Schuss Naivität, ein großer Schuss auch der von Ihnen eben angesprochenen Arroganz und vielleicht auch noch des Versuches, endlich im wichtigen amerikanischen Markt nicht noch mehr Marktanteile zu verlieren. Nur die Art und Weise, wie man das versucht hat, ist natürlich mit gar nichts zu rechtfertigen, und das wirft schon ein Schlaglicht auf die fundamentalen Probleme, die man quasi in den nächsten Jahren mit einem, wenn man so will, unternehmenskulturellen Wandel lösen muss.
Schulz: Jetzt wird gemeldet, dass VW Rückstellungen in Höhe von sechs Milliarden plant. Wird das denn reichen, angesichts der ja wirklich immensen Forderungen, die da schon gehandelt werden, auch aus den USA?
Bratzel: Insgesamt wird es sicherlich nicht reichen. Ich rechne damit, dass die Strafen vielleicht im kleineren einstelligen Milliarden-Bereich sind. Aber hinzukommen ja die immens hohen Sammelklage-Forderungen von den Geschädigten in Amerika. Es kommt hinzu die Rückrufkosten. Mittlerweile sprechen wir ja von elf Millionen Fahrzeugen. Und das Ganze ist ja noch längst nicht zu Ende. Man muss sicherlich auch jetzt bedenken: Der Image-Schaden führt ja dazu, dass viel weniger Fahrzeuge verkauft werden. Auch das sind ja nicht getätigte Umsätze, die anfallen. Also ich glaube, das wird sich doch auf höhere zweistellige Milliarden-Beträge am Ende summieren.
Schulz: Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management, hier bei uns heute Abend im "Journal vor Mitternacht" im Deutschlandfunk.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.