VW-Kunden hierzulande gingen leer aus, weil die rechtlichen Möglichkeiten nicht ausreichten. Hofreiter nannte den US-Vergleich über 15 Milliarden Euro angemessen und gerecht. VW habe in den USA Werbung gemacht "mit dem sauberen Diesel und das Gegenteil dessen geliefert." Es sei problematisch, dass der ganze Skandal erst in den USA aufdeckt worden sei und "alle Hinweise von den deutschen und europäischen Behörden ignoriert worden seien". Die von VW ab 2006 eingesetzte Steuerungssoftware für die Abgasreinigung der Dieselmotoren nannte Hofreiter Betrug.
Der Grünen-Politiker äußerte die Hoffnung, dass VW nun Konsequenzen ziehen und innovative Techniken für das emissionsfreie Auto entwickeln werde. Es gebe bereits viele ausländische Hersteller, die hier schon viel weiter seien, meinte Hofreiter. Die deutsche Autoindustrie müsse sich endlich anstrengen, um voranzukommen. Er gehe davon aus, dass sie 2030 zwar in der Lage sein werde, emissionsfreie Autos in großer Stückzahl herzustellen, "aber die deutsche Autoindustire wird nahezu nicht mehr in der Lage sein, Autos zu verkaufen, weil die Leute dann längst andere Pkw kaufen."
Ein Gericht in den USA hatte gestern den ausgehandelten Vergleich von VW mit Verbraucheranwälten und den US-Aufsichtsbehörden gebilligt. Mit dem Geld sollen unter anderem Besitzer von manipulierten Diesel-Fahrzeugen mit Zwei-Liter-Motor entschädigt werden. Eine Einigung zu Fahrzeugen mit Drei-Liter-Motoren steht noch aus.
Das Interview in voller Länge:
Dirk Müller: Der Richter in San Francisco hat gesprochen. VW muss 15 Milliarden Euro Entschädigung in der Dieselgate-Affäre zahlen, und das in einem ersten Schritt. Das ist die höchste Wiedergutmachung, die ein Automobilkonzern jemals zahlen musste. Doch die Sache ist noch längst nicht ausgestanden. Es wird noch weitere Gespräche, Verhandlungen, Verfahren geben. - Am Telefon ist nun Grünen-Fraktionschef im Bundestag Anton Hofreiter. Guten Morgen!
Anton Hofreiter: Guten Morgen!
Müller: Herr Hofreiter, ist diese Strafe für VW gut?
Hofreiter: Na ja, für VW direkt ist sie nicht gut. Aber sie ist angemessen für die Verbraucherinnen und Verbraucher in den USA, denn VW hat groß Werbung gemacht mit sauberem Diesel und das Gegenteil dessen geliefert. Sie haben einen besonders dreckigen Diesel geliefert.
Müller: Eine gerechte Strafe für Sie?
Hofreiter: Ich sehe es als gerechte Strafe an. Aber es ist natürlich schon problematisch, dass dieser ganze Skandal erst in den USA aufgedeckt worden ist und alle Hinweise, die es bei uns gab, von den deutschen Behörden und von den europäischen Behörden immer ignoriert worden sind. Deswegen haben wir jetzt ja auch einen Untersuchungsausschuss im Deutschen Bundestag und einen Untersuchungsausschuss auf europäischer Ebene.
Müller: Aber es schmerzt Sie nicht ein bisschen, dass ein deutscher Konzern, wo auch sehr viele deutsche Arbeitsplätze dranhängen, so geschädigt wird?
Hofreiter: Natürlich schmerzt einen das. Aber es schmerzt mich noch mehr, dass deutsche Behörden zugelassen haben, dass ein deutscher Konzern in so großem Umfang betrügt und dass ein deutscher Konzern sich selbst so sicher fühlte, dass er glaubte, das Gegenteil liefern zu können von dem, was er behauptet hat, das es war.
"Kunden hier hätten theoretisch auch das Recht auf Entschädigung"
Müller: Nun freuen Sie sich für die amerikanischen Kunden, für die amerikanischen Betrogenen durch VW. Was ist mit den deutschen Kunden?
Hofreiter: Die deutschen Kunden gehen weitgehend leer aus, weil hier bei uns die Gesetze in dem Bereich lascher sind, und die deutschen Kunden müssen dem allen hinterherlaufen. Wir haben Gutachten machen lassen vom wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages, dass eigentlich die Kunden hier theoretisch auch Rechte hätten. Gerade wenn da der Verbrauch der Fahrzeuge durch diese Umrüstung steigt, hätten sie das Recht, das Fahrzeug zurückzugeben. Aber bei uns tut die Bundesregierung nichts im Fall von diesen VW-Fahrzeugen.
Die Opposition bohrt wo sie kann. Wie gesagt, wir machen da zum Teil eigene Gutachten, um die Rechtsposition für die Verbraucher zu klären, was eigentlich Aufgabe der Bundesregierung wäre, und wir haben einen Untersuchungsausschuss eingerichtet, um mal klarzulegen, wie es eigentlich überhaupt so weit kommen konnte. Denn man darf ja eins nicht vergessen: Diese Schadstoffe werden ja nicht rausgefiltert, weil man hier einfach die Schadstoffe rausfiltert, sondern weil die richtig stark gesundheitsschädlich sind für die Menschen in den Städten, wo sie in höherer Konzentration auftreten. Man geht davon aus, dass es mehrere Tausende vorzeitige Tote in den Städten allein Deutschlands gibt durch die Schadstoffe aus Autos, und da hat VW einen erheblichen Anteil, weil sie nämlich überproportional viele Schadstoffe ausstoßen.
Müller: Herr Hofreiter, das wussten Sie aber auch schon, dass wussten die Grünen schon, als die Grünen in Regierungsverantwortung waren. Da ist auch nicht viel passiert mit Blick auf die Automobilindustrie.
Hofreiter: Doch, da ist viel passiert in der Richtung, dass man auf sauberere Autos drängt. Das Problem ist 2006 erst entstanden, als entsprechend die Autoindustrie umgestiegen ist oder Teile der Autoindustrie umgestiegen sind von sauberen Fahrzeugen auf Schummel-Software, auf Betrug, und seitdem eskaliert das ganze Problem. Wir wussten vorher schon, dass Schadstoffe gesundheitsschädlich sind, aber erst seit 2006 wird in großem Umfang betrogen und erst vor kurzem konnte durch Arbeit einer Nichtregierungsorganisation, einer Umweltorganisation insbesondere in den USA bewiesen werden, dass die Autokonzerne, insbesondere VW in großem Stil betrügen.
"Die Sammelklage ist eine ganz klare Forderung von uns"
Müller: Reden wir dann noch mal über den Verbraucherschutz. Das haben Sie gesagt, es gibt nicht die Möglichkeit der Sammelklage, nur ganz wenige rechtliche Möglichkeiten und Hebel. Werden die Grünen da konkret einen Gesetzesentwurf vorlegen, woran die Koalition sich beteiligen kann? Es gibt ja auch noch den Bundesrat, auch darüber wäre das ja möglich.
Hofreiter: Wir sind am Erarbeiten einer Frage zu Sammelklagen. Gesetzesentwürfe sind aber so eine Frage, wir sind ja eine kleine Oppositionsfraktion, weil wir haben leider kein Justizministerium und auch kein Verkehrsministerium. Aber die Sammelklage ist eine ganz klare Forderung von uns und wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie da endlich in der Richtung was tut, einen Gesetzesentwurf vorlegt. Aber wie gesagt, es gibt bereits erste klare rechtliche Hinweise, dass auch bei der jetzigen Gesetzeslage die Verbraucher mehr Rechte haben, als VW ihnen zugesteht und als die Bundesregierung klarstellt.
Müller: Es gibt auch keine anderen Hebel? Weil für viele ist das ja vollkommen unzumutbar beziehungsweise vollkommen unverständlich. In den USA funktioniert das, bei uns funktioniert das nicht. Auch individuell ist das ganz, ganz schwierig. Aber wenn wir die Sache noch einmal bewerten: Für Sie ist das ganz klar Betrug am Kunden? Das heißt, VW hat betrogen und zieht keine Konsequenzen?
Hofreiter: Ganz genau. VW hat den Kunden betrogen. Er hat etwas anderes geliefert, und zwar wissentlich etwas anderes geliefert, als er behauptet hat. Er hat den Menschen erklärt, ihr bekommt ein sauberes Auto, ein Auto, das die rechtlichen Vorschriften einhält, ihr könnt mit gutem Gewissen herumfahren. Die Leute haben das gekauft, es ist Werbung gemacht worden und es ist ein Auto geliefert worden, das die gesetzlichen Vorgaben nicht einhält, das toxische, als giftige Schadstoffe ausstößt, und damit sind ein ganzer Schwung Menschen, die in den Städten wohnen, wo die Konzentration höher ist - auf dem Land stoßen die natürlich die Schadstoffe auch aus, aber da sammelt es sich nicht so wie in den Häuserschluchten der Städte -, da sind Unmengen Menschen in ihrer Gesundheit geschädigt worden, und das ist Betrug.
"Automobilindustrie schadet den Menschen und sich selbst"
Müller: Herr Hofreiter, vor vielen Jahren, da haben Sie ganz intensiv auch Verkehrspolitik gemacht für die Grünen in der Bundestagsfraktion, Schienenverkehr, Straßenverkehr, über Autos haben wir beide auch schon häufiger geredet - haben Sie damals gesagt, Sie können sich das gar nicht vorstellen, wie stark die Auto-Lobby, die Automobilindustrie eigentlich im Bundestag vertreten ist, auch in den Ministerien vertreten ist. Und dann haben Sie gesagt, das wird auch immer so bleiben, oder das ist zumindest nach wie vor so. Sind Sie der einzige, der mit der Automobilindustrie nichts zu tun hat?
Hofreiter: Ich glaube, ich bin nicht der einzige, aber die Grünen-Bundestagsfraktion ist schon die Fraktion, die der Autoindustrie am kritischsten in ihrer jetzigen Form gegenübersteht, nämlich am Ende schadet die Automobilindustrie in der Form ja nicht nur der Umwelt und der Gesundheit der Menschen, sondern sie schadet sich selbst ja auch. Ich meine, VW muss jetzt 15 Milliarden Euro Entschädigung zahlen. Man hätte dieses Geld auch sinnvoll investieren können. Aber man muss - das haben Sie ja in Ihrer Vorberichterstattung gehabt - dem Ministerpräsidenten von Niedersachsen Recht geben: Unter Umständen ohne den Diesel-Skandal würde VW immer noch rein auf die Dieseltechnik setzen, und jetzt sieht man wenigstens ein leichtes Umdenken in Richtung innovativerer Technologien.
Müller: Und da sagen Sie, die Grünen-Bundestagsfraktion ist frei von diesem Auto-Lobbyismus. Das würden Sie nicht übertragen auf die Grünen in Niedersachsen und in Baden-Württemberg?
Hofreiter: Ich glaube, das kann man auch übertragen weitgehend auf die Grünen in Niedersachsen und Baden-Württemberg.
Müller: Ist das wirklich so weitgehend, weil es hat ja viele Zweifel daran gegeben in den vergangenen Wochen.
Hofreiter: Na ja, viele Zweifel hat es nicht daran gegeben. In Niedersachsen sind die Grünen - und das haben wir mit denen intensiv abgesprochen, mit deren Untersuchungsausschuss - auch ganz klar der Meinung, dass das entsprechend aufgeklärt werden muss. Und wenn Sie nach Baden-Württemberg fragen: Ein Ministerpräsident hat immer eine stärkere moderierende Rolle als eine Oppositionsfraktion oder als eine Regierungsfraktion. Als Ministerpräsident wählen Sie immer vorsichtigere Worte als als Parlamentarier.
Müller: Aber da ist das Arbeitsplatzargument, das wirtschaftliche Argument stärker offenbar als der Umweltschutz?
Hofreiter: Ich würde nicht sagen stärker. Aber das Tragische an der ganzen Geschichte - und das zeigt ja VW auch -, dass Arbeitsplatzargument und Umweltschutz- und Gesundheitsschutz sich hier eigentlich gar nicht widersprechen. Nämlich die Arbeitsplätze gefährden Sie am Ende dann am stärksten, wenn Sie auf alte Technologie, wenn Sie auf Betrug setzen, wenn Sie nicht innovativ sind, nämlich VW ist jetzt stark bedroht durch moderne Fahrzeughersteller wie zum Beispiel Tesla, der innerhalb von kürzester Zeit Hunderttausende von Vorbestellungen erzielt hat für ein emissionsfreies Auto. Sie sind bedroht durch Toyota, Sie sind bedroht durch südkoreanische Hersteller, die weit voraus sind in der Technologie der emissionsfreien Autos, und da muss sich die deutsche Autoindustrie endlich anstrengen, um da voranzukommen. Meine Prognose ist, die deutsche Autoindustrie wird 2030 in der Lage sein, emissionsfreie Autos in ganz großer Stückzahl herzustellen, oder sie wird nahezu nicht mehr in der Lage sein, Autos zu verkaufen, weil die Leute dann längst andere Autos kaufen, moderne Autos.
Schallgrenze 2030 für emissionsfreie Autos
Müller: Diese 2030 als Schallgrenze steht für Sie nach wie vor?
Hofreiter: Die 2030 als Schallgrenze steht für mich nach wie vor. Ich glaube, dass in den meisten Teilen der Welt lange vor 2030 nur noch emissionsfreie Autos verkauft werden, weil sie nämlich neben dem, dass sie emissionsfrei sind, auch kostengünstiger zu betreiben sind perspektivisch, weil nämlich die Spritkosten - sie brauchen dann keinen Sprit mehr, nämlich sie fahren mit Strom - weitaus niedriger sind. Und wir sehen im Moment, dass in anderen Regionen der Welt die Batterie-Kapazitäten, die entwickelt werden, so schnell steigen und die Preise so schnell fallen, dass dort die deutsche Autoindustrie sich wirklich anstrengen muss, um hier einen Innovationsrückstand aufzuholen.
Müller: Könnte Dieselgate mit 15 Milliarden Euro Strafe - das ist ja erst der Anfang, es werden ja noch ein paar Milliarden mit großer Wahrscheinlichkeit für VW dazukommen -, war das ein Weckruf?
Hofreiter: Es war, so tragisch es klingt, ein Weckruf. Natürlich wäre es weitaus besser gewesen, VW hätte nicht betrogen und hätte von sich aus auf moderne und innovative Fahrzeuge gesetzt. Aber ich glaube, es ist jetzt die letzte Chance für VW, endgültig umzusteuern und auf moderne Fahrzeuge zu setzen.
Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der Fraktionschef der Grünen im Bundestag, Anton Hofreiter. Danke, dass Sie Zeit für uns gefunden haben. Einen schönen Tag noch.
Hofreiter: Danke! Ihnen auch einen schönen Tag.
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