Silke Hahne: Was die Beschlüsse der Großen Koalition für Verbraucher bedeuten, darüber kann ich jetzt mit Klaus Müller sprechen – dem Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbandes vzbv. Guten Abend, Herr Müller!
Klaus Müller: Seien Sie gegrüßt!
Hahne: Herr Scheuer nennt es jetzt einen großen Schlag. Wie ist das aus Ihrer Sicht? Ist es das für Verbraucher? Haben die jetzt endlich Klarheit?
Müller: Nein das ist ein kleiner Trippelschritt vielleicht in die richtige Richtung, aber es gibt eben keine Verbindlichkeit. Es gibt nicht die Garantie, dass ich mein Auto nachrüsten lassen kann, dass die Kosten komplett vom Hersteller getragen werden und dass dort auch auf jeden Fall die Gewährleistung genommen wird und wie in Ihrem Beitrag zu hören war, dass jetzt die ersten Autohersteller der Bundesregierung schlicht die kalte Schulter zeigen, ihnen förmlich auf der Nase herumtanzen, das ist kein gutes Bild und kein beruhigendes Signal für die Verbraucher.
Hahne: Bürokratischer Aufwand, unklare Kostenübernahme, von Haftung gar nicht erst zu sprechen, was würden Sie also Diesel-Fahrern empfehlen? Würden Sie sagen, die können jetzt ruhigen Gewissens irgendwas davon in Anspruch nehmen, was da erarbeitet wurde?
Müller: Also für jeden Dieselfahrer oder von Fahrverboten betroffenen oder bedrohten, die sowieso ein neues Auto kaufen wollten, die vielleicht auch das nötige Geld dafür haben, für die können natürlich die Rabatte, die ein bisschen euphemistisch und schönfärberisch als Umtauschprämie beschrieben werden, für die können die eine Chance sein. Und dann sollte man natürlich darauf achten, welches Auto man kauft, bekanntermaßen, wenn man beim Diesel bleiben möchte, sind das nur die Euro 6d-Temp. Darauf muss man achten, die sicher auch die Grenzwerte einhalten. Damit man auch auf Dauer nicht von Fahrverboten betroffen ist. Für die ist das eine Chance. Für alle anderen heißt es: warten. Weil die Bundesregierung zwar Erwartungen an die Automobilindustrie formuliert hat, aber offensichtlich keine Garantien von denen bisher eingefordert hat. Dass das, was da heute Nacht verabredet wurde, auch nachher Wirklichkeit wird. Und für die Verbraucher gilt letztendlich nur die Wirklichkeit, nämlich gibt es Nachrüstungen, die Fahrverbote wirksam vermeiden?
Kompromiss sei "ein Trauerspiel"
Hahne: Euro 6d-Temp – diese Norm gibt es noch nicht lange, d.h. viele Gebrauchtwagen wird es dann nicht auf dem Markt geben, man müsste also einen teuren Neuwagen kaufen?
Müller:Das ist korrekt. Zwar sind die Gerichtsurteile so, dass sie durchaus differenzieren, Verhältnismäßigkeit nennt man das, wann die Autos hergestellt sind. Aber klar ist, nur diese neueste Norm erfüllt wirklich die Stickoxid-Grenzwerte, die auf dem realen Straßenbetrieb dann erforderlich sind. In dem Moment, wo ich einen Gebrauchtwagen kaufe, wird der natürlich günstiger sein, durch die Rabatte, die Inzahlungnahme jetzt nochmal etwas mehr womöglich. Aber ich bin eben nicht ganz sicher, ob ich damit dauerhaft auch in Städte wie demnächst Frankfurt, Stuttgart, München, vielleicht Berlin, Düsseldorf wirklich dauerhaft hineinfahren kann und insofern muss man deutlich sagen, dass, was wir heute gesehen haben, ist insofern ein Trauerspiel, weil die Autoindustrie sich nicht an das hält, was die Bundesregierung hier miteinander verabredet hat. Das ist eine Gefahr für mehr Politikverdrossenheit und nicht unbedingt für saubere Luft und die wirksame Vermeidung vorn Fahrverboten.
Verbraucher würden zu Bettlern der Autoindustrie gemacht
Hahne: Das heißt, diejenigen, die nicht das nötige Kleingeld für ein neues Auto - sei es ganz neu oder gebraucht - haben, die sind eigentlich die Gekniffenen in dieser Chose?
Müller: Das sind diejenigen, die sich jetzt wie ein Bettler vorkommen. Die können jetzt hoffen, dass der Autohersteller eine Nachrüstung finanziert und überhaupt ermöglicht an der Stelle. Da hat die Bundesregierung zwar eine gute Absicht, aber es ist ein bisschen wie des Kaisers neue Kleider: Die Bundesregierung steht da förmlich nackt da. Sie kann hoffen, dass die Autoindustrie das jetzt tut, was sie von ihnen erwartet. Aber wie gesagt, die ersten Konzerne haben heute schon gesagt: "Nö! Machen wir nicht." Und wie sich weitere positionieren, wie Daimler ist nach wie vor unklar. Das ist für den einzelnen Verbraucher extrem unbefriedigend.
Hahne: Also das heißt, die Politik lässt die viel zitierte Krankenschwester, die zum Schichtdienst in die Stadt pendelt, allein?
Müller: Genauso ist das. Sie hat ihnen was in Aussicht gestellt, aber sie sorgt nicht dafür, dass das geschieht.
Verbraucherzentrale will auf Kaufpreiserstattung klagen
Hahne: Was würden Sie der Krankenschwester denn jetzt empfehlen in dieser Lage?
Müller: Naja, sie kann erstens hoffen, dass der Verkehrsminister jetzt in Gesprächen nochmal mehr raus holt. Dafür hätte er allerdings schon seit ein paar Wochen sorgen können. Was sie jetzt tun kann ist gucken, ob eine der Klagemöglichkeiten ihnen weiterhilft - bekanntermaßen klagen eine Reihe von Rechtsanwaltskanzleien - mit den verbundenen Risiken. Sie kann sich der Musterfeststellungsklage - wenn sie einen Volkswagen besitzt, Seat, Skoda oder Audi - des Verbraucherzentrale Bundesverbandes ab dem 1. November anschließen, sich dort ins Register eintragen lassen. Aber viele Möglichkeiten hat sie zurzeit nicht. Und darum wäre es umso wichtiger, dass diese Nachrüstungen kommen.
Hahne: Und Sie klagen dann auf Schadenersatz?
Müller: Richtig, der Verbraucherzentrale Bundesverband wird für einen bestimmten Motorentyp der Volkswagen-Gruppe eine Klage einreichen, wo wir tatsächlich wollen, dass der Kaufpreis erstattet wird. Aber wir wissen, das geht durch viele Instanzen, das ist auch keine schnelle Entschädigungslösung für die Verbraucher. Die gerichtlichen Mühlen mahlen langsam. Darum ist Verkehrsminister Scheuer gefragt, jetzt die Nachrüstungen, die heute Nacht vereinbart wurden zwischen Union und SPD, auch Wirklichkeit werden zu lassen - und zwar kostenlos und mit Gewährleistung und Garantien.
Hahne: Das fordert Klaus Müller, Vorstand des vzbv, des Verbraucherzentrale Bundesverbands. Danke für Ihre Zeit, Herr Müller!
Müller: Gern geschehen!
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