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Wachablösung im Kreml

Wie mächtig wird Russlands neuer Präsident Dmitri Medwedew wirklich sein? Anzunehmen ist, dass Putin weiter am eigenen Machterhalt arbeitet, wenn auch künftig als Ministerpräsident. Über den Stabwechsel in Moskau und die Folgen für Russland berichtet Deutschlandfunk-Korrespondent Robert Baag.

    Fast schon in sich gekehrt, die Hände artig auf dem Tisch gefaltet, sitzend zur Rechten des noch amtierenden Präsidenten Putin, eher ausdruckslos nach unten blickend - diesen doch ein wenig befremdlichen Anblick des künftigen Präsidenten Russlands Dmitri Medwedew transportieren die russischen Fernsehkanäle noch kurz vor seinem eigentlich größten politischen Triumph. Ein sichtlich aufgeräumter Wladimir Putin hingegen führt vor der zum letzten Mal in dieser Zusammensetzung erschienenen Ministerriege wie gewohnt das Wort:

    "Auf das Land warten neue, wirklich ernste Aufgaben. Wir müssen unsere Anstrengungen verstärken, denn diese Schlüsselfragen hängen miteinander zusammen: Innovationen in der Wirtschaft, eine effektivere staatliche Lenkung, eine Verbesserung des Rentensystems, eine neue Sozial-Politik."

    Ergebenes Schweigen in der Runde. Farblos bis beflissen wirkt die Ministerriege verteilt um das lange weiße Oval des Kabinettstisches, an dessen Spitze Putin die letzte Regierungssitzung seiner aktuellen Amtszeit leitet. Und weiter ganz der Hausherr legt Putin bei diesem vorläufigen Abschied zu Wochenbeginn stakkato-artig nach, wo es demnächst in Russland sonst noch aufwärts gehen soll - keine Regung im Ministerrund.

    "Bildung, Gesundheitssystem, Dorf-Entwicklung, Wohnungspolitik - jeder dieser Bereiche betrifft die Schicksale von Millionen unserer Bürger", schärft Putin seinen Untergebenen ein. Ein richtiger Befund - nur: Vor acht Jahren, als Putin selbst angetreten war, stimmte diese Analyse auch schon. Dass hier vieles immer noch im Argen liegt, ändert an seiner fortdauernden Beliebtheit im Volk aber nichts. Das fängt schon kurz nach Amtsbeginn mit Pop-Hymnen auf Putin an... "

    ...und endet in bester sowjetischer Kollektiv-Tradition:

    "Ich wende mich an euch alle", appelliert vor laufenden Kameras kurz vor den Wahlen im vergangenen Herbst eine bis dahin unbekannte Weberin aus der Stadt Ivanovo an die Delegierten der sogenannten "Kreml"- oder auch "Putin"-Partei "Geeintes Russland": "Lasst uns doch zusammen was ausdenken, damit Vladimir Vladimirovitsch Putin unser Präsident bleibt, auch nach 2008!" - Gerührtes bis verschmitztes Lächeln im Saal und beim Parteivorstand auf der Bühne. Dort weiß man: Die Würfel sind längst gefallen. Die "Operation Machterhalt" wird anders inszeniert werden.

    Die so genannten "Machtstrukturen" im Kreml, die Militärs und die Geheimdienste einerseits sowie die so genannten "Kaufleute", die als flexibler geltenden Wirtschaftsliberalen um Putin belauern sich monatelang argwöhnisch, als es darum geht - nach außen verfassungskonform - einen Nachfolger für Putin zu finden. Dmitri Medwedew, der heute in sein Amt eingeführt wird, gilt vielen als der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die Kreml-Mannschaft dann einigen kann: Putin gegenüber stets loyal, ohne eigene Hausmacht, durch seine sanft-verbindliche Art auch dem Ausland gegenüber gut vermittelbar. Wäre da nicht die Machtfülle, die jeder russische Präsident in seinen Händen konzentriert und die historische Erfahrung Russlands, dass Doppelspitzen nie lange gehalten haben. Umso aufmerksamer wird registriert, wie der künftige Staats-Chef Medwedew noch am Abend der Präsidentschaftswahl Anfang März seine eigene Rolle sowie die seines dann nominell untergebenen Ministerpräsidenten Putin umschrieben hat:

    ""Der Präsident hat seine Vollmachten, der Premierminister die seinen. Dies ist in der Verfassung und in den Gesetzen geregelt. Dies zu ändern, beabsichtigt niemand. Aber ich bin überzeugt, dass unsere gemeinsame Arbeit, auf diese Weise effektiv miteinander verbunden, dem Land ziemlich interessante Ergebnisse liefern und ein positiver Faktor bei der Entwicklung unseres Staates sein kann."

    Inzwischen hat Putin die Zeit genutzt, personelle und institutionelle Kontrollmechanismen zu schaffen und Medwedew - so diverse Kommentatoren - allmählich "einzumauern". Ob und wie Medwedew es schaffen wird, aus dem Schatten seines Übervaters herauszutreten und einen - dringend nötigen - Generations- und Mentalitäts-Wechsel in den Spitzenetagen der russischen Führung einzuleiten, vor allem aber durchzusetzen, das bleibt heute das große Rätsel. Sein Vorgänger und bis gestern auch sein Chef Wladimir Putin hat ihm jedenfalls kurz und knapp Glück und Erfolg gewünscht - mit undurchdringlicher Miene.