Stellen Sie sich vor, Sie würden Tennis spielen! Oder gehen Sie einfach in ihrem Geist einmal durch ihr Haus! Mit solchen Forderungen konfrontierte der heute an der kanadischen Western Ontario University arbeitende Neurowissenschaftler Adrian Owen vor einigen Jahren eine englische Wachkomapatientin. Was folgte, gilt als eine der aufsehenerregendsten Entdeckungen der neuesten Komaforschung. Owen stellt im Hirnscanner fest, dass bei der Frau Hirnregionen aktiv wurden, die für Tennisbewegungen und Hausdurchquerungen typisch sind. Er schloss daraus: Bei dieser Patientin seien noch Restbestände von Bewusstsein vorhanden, sodass sie eine gute Prognose habe, zu erwachen. Nach Owens Auskunft hat sich das im Lauf der Zeit auch bestätigt.
"Das heißt nicht, dass die sich völlig erholt hat und ein ganz normales Leben führt, aber sie kann mit einem ihrer Körperglieder gezielt kommunizieren, sie hat einiges an Bewegungsfähigkeit wieder erlangt und kann auf Reize von außen reagieren. Sie ist definitiv nicht im mehr Wachkomazustand."
Aussagekraft der bisherigen Methode möglicherweise gering
Sondern eher schon im sogenannten "minimalen Bewusstseinszustand", in dem Patienten in elementarer Weise kommunizieren können. Owens Methode wird inzwischen in mehreren medizinischen Zentren angewendet. Auch in Deutschland finden Ärzte mit ihrer Hilfe bei 10 bis 20 Prozent der Patienten, dass ihr Gehirn aktiv wird. Der Neuropsychiater Georg Northoff von der kanadischen Universität in Ottawa zweifelt allerdings daran, ob sich mit Owens Methode allein Bewusstsein sicher nachweisen lässt. Denn es gibt Prozesse im Gehirn, die automatisch, also ohne Bewusstsein ablaufen.
"Herr Owen setzt voraus, dass die Prozessierung des Stimulus Bewusstsein voraussetzt. Es kann aber auch sein, dass das ein rein physikalischer Vorgang ist. Die sehen das Bild und das aktiviert einfach im Gehirn gewisse Strukturen, und das heißt, sie sehen zunächst einmal nur neuronale Aktivität. Daraus können Sie aber keinerlei Schlüsse auf irgendwelche Bewusstseinsaktivität ziehen."
Northoff kritisiert zudem, dass Owen in seiner Studie nicht den Grad des Bewusstseins der Patienten bestimmen konnte. Er stellte nur fest, ob Hirnregionen auf die gestellten Aufgaben reagierten oder nicht. Für Georg Northoff ist es aber unabdingbar, einen Zusammenhang zwischen der Höhe der neuronalen Aktivität der Wachkomapatienten und dem Grad ihres Bewusstsein herzustellen. Dann ließe sich verlässlicher vorhersagen, ob sich die Patienten wirklich positiv entwickeln können. Northoff führte daher mehrere Studien durch, in denen er nicht nur testete, ob das Gehirn von elf Wachkomapatienten überhaupt auf äußere Reize reagiert. Er prüfte zusätzlich, ob deren Gehirn noch auf selbstbezogene Reize reagiert, die direkter mit Bewusstsein verbunden sind als die Bewegungen eines Tennisspiels. Das Netzwerk für solche selbstbezogenen Reize lässt sich im Gehirn klar von den Netzwerken für sonstige Reizverarbeitung unterscheiden. Northoffs Team befragte die Angehörigen der Patienten nach Dingen, die für diese persönlich wichtig waren. Dann stellten die Forscher ihnen im Hirnscanner Fragen wie: "Waren Sie im Urlaub schon in Mallorca? " Lieben Sie Hitchcock?" oder "Ist Ralf Ihr Name?" Sie verglichen die Reaktionen mit denen auf neutrale Reize. Das Ergebnis:
"Wir haben bei diesen Patienten gefunden, dass die doch eine gewisse neuronale Aktivierung zeigen. Das heißt, die zeigen einen Unterschied, wenn sie ihren eigenen Namen hören im Vergleich zu einem anderen Namen. Je besser die Selbst und Nicht-Selbst auseinanderhalten konnten, desto höher der Grad des Bewusstseins."
Bisher eingesetzte Methoden erweitert
In zwei Studien konnte Northoff inzwischen zeigen, dass es einen direkten Zusammenhang gibt zwischen dem Grad der neuronalen Verarbeitung selbstbezogener Reize und dem Grad des Bewusstseins. Erste Beobachtungen zeigen, dass das auch damit zusammenhängt, wie gut sich Patienten entwickeln können. Inwieweit der Ansatz von Northoff tatsächlich besser voraussagen kann, ob Wachkomapatienten wieder aufwachen, kann erst die Zukunft zeigen. Aber er erweitert auf jeden Fall die bisher eingesetzten Methoden , indem er den Selbstbezug von Reizen zusätzlich ins Spiel bringt. Georg Northoffs Team möchte Patienten daher langfristiger beobachten, um seine Ergebnisse weiter zu bestätigen.
"Unsere Studie ist, soweit ich weiß, wirklich die erste, die Vorhersagen für den Grad des Bewusstseins treffen konnte. Und das werden wir auch in Zukunft weiter verfolgen, dass wir das diagnostisch und eventuell auch therapeutisch verwenden können."