Dirk Müller: Der Druck wird immer größer – nicht auf Griechenland, nicht auf Zypern, nicht auf Spanien; diesmal steht Deutschland am Pranger, diesmal steht Deutschland im Fokus. Man weiß gar nicht, bei wem man dabei anfangen soll: Washington macht Druck, Peking, Moskau, Tokio, Neu-Delhi, alle machen sie Druck, auch der Internationale Währungsfonds und jetzt auch die Europäische Kommission. Alle erhöhen den Druck auf Angela Merkel und Wolfgang Schäuble, die rigide Sparpolitik endlich aufzugeben, mehr zu investieren, die Binnennachfrage anzukurbeln, auf Wachstum zu setzen, damit ganz Europa wieder aus den schwarzen Zahlen herauskommt und damit vielleicht auch die ganze Welt.
Alle wollen, oder zumindest fast alle wollen, dass Deutschland weniger spart. Darüber sprechen wir nun mit Professor Michael Hüther, Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft. Guten Morgen!
Michael Hüther: Guten Morgen, Herr Müller.
Müller: Herr Hüther, ist Wolfgang Schäuble ein Geizhals?
Hüther: Er muss es als Finanzminister sein, das ist seine Rolle. Die Frage ist: Passt es zur gesamtwirtschaftlichen Lage. Wenn wir uns die deutsche Konjunktur anschauen, wenn wir uns die Robustheit des Industriesektors anschauen, die Stabilität der Beschäftigung und damit dann auch, auf wettbewerbsfähigen Arbeitsplätzen beruhend, des privaten Verbrauchs, dann kann man sagen, das passt, denn in Deutschland haben die Menschen Zutrauen, und das ist das Wichtigste letztlich auch für Europa, wenn hier stabil investiert und konsumiert wird. Wir haben jetzt eine Delle, eine Konjunkturdelle, aber der Blick daraus ist nach oben gerichtet und insofern bedarf es auch deshalb keiner Veränderung des finanzpolitischen Kurses.
Müller: Die Deutschen, Herr Hüther, haben ja oft als einzige Recht. Alle anderen haben oft Unrecht, 20, 30 Staaten. Viele Finanzpolitiker, viele Finanzexperten wollen eine Änderung dieses Verhaltens, eine Änderung dieser Sparpolitik. Warum liegen die falsch?
Hüther: Weil sie, glaube ich, verkennen, wie der Zusammenhang des deutschen Industriemodells sich für Europa darstellt. Um es mal mit zwei Zahlen zu bebildern: Wenn der deutsche Export um zehn Prozent ansteigt, dann steigen die Vorleistungsausfuhren der europäischen Partner nach Deutschland um acht bis neun Prozent an. Das heißt, der Mechanismus, in dem Deutschland Impulse nach Europa gibt, geht über unser Geschäftsmodell industriebasiert, exportorientiert, und das muss auch stabilisiert werden. Wir würden dem Abbruch tun oder wir würden ihm schaden, wenn hier Zweifel entstünden, und deswegen ist es so wichtig, dass über eine stabile Finanzpolitik und eine verlässliche Haushaltskonsolidierung dafür auch ein Rahmen gesetzt wird. Das heißt trotzdem natürlich auf der anderen Seite, es ist ein mühsamer Prozess in den Anpassungsländern, das ist überhaupt nicht zu bestreiten, und es ist, genau wie bei Ihnen im Bericht beschrieben, ein Riesenkonflikt zu den gesellschaftlichen Erwartungen.
Müller: Bleiben wir, Herr Hüther, noch einmal bei Ihrem Beispiel. Sie haben gesagt, zehn Prozent Exporte, Vorleistungsausfuhren acht bis neun Prozent. Das müssen Sie bitte noch einmal erklären: Was sind Vorleistungsausfuhren?
Hüther: Das sind jene Produkte, die wir in Deutschland benötigen, aus dem europäischen Ausland, um unsere Exportprodukte zu konfigurieren, um sie zu erstellen.
Müller: Also die Zulieferer quasi?
Hüther: Die Zulieferer, die wir aus dem europäischen Ausland bekommen. Das heißt, bei aller auch Neuorientierung deutscher Exportindustrie auf die globalen Märkte – wir haben ja heute eher schrumpfende Exportanteile in die Eurozone und einen steigenden, deutlich steigenden Export in die sogenannten Schwellenländer und nach Nordamerika – bedeutet das auf der anderen Seite nicht, dass wir unabhängig sind von Europa, sondern wir benötigen diese Vorleistungen und über diese Vorleistungen setzen wir auch Impulse in die anderen europäischen Länder.
Müller: Herr Hüther, es geht ja, wenn wir das alle richtig verstanden haben, nicht nur um das eigene Sparen, es geht ja nicht nur um das Budget, was Wolfgang Schäuble zu verantworten hat. Es geht auch darum, wie viel Druck Deutschland auf die anderen südeuropäischen Krisenländer ausübt, zu sparen und nicht zu investieren. Massenarbeitslosigkeit in vielen Segmenten, Jugendarbeitslosigkeit in einer unglaublichen Dimension, wie wir es eigentlich in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg in der Form gar nicht mehr kennen, ist auch die Folge. Was läuft da falsch?
Hüther: Na ja, falsch gelaufen ist vorher unendlich viel, denn im Grunde steht ja nicht nur die Haushaltskonsolidierung in diesen Ländern auf der Tagesordnung, sondern auch die Revision, die Überarbeitung des volkswirtschaftlichen Geschäftsmodells. In Spanien ganz eindeutig mit den Fehlinvestitionen im Immobilienbereich. Die dort gebundenen Mittel sind nun quasi entwertet worden, damit aber auch daraus bestehende Modelle der Bauindustrie. Insofern ist die Arbeitslosigkeit von einem ganz spezifischen jetzt in diesem Fall Problem in Spanien her begründet. Das kann man jetzt auch nicht mit viel Geld heilen. Diese Kapitalvernichtung muss im Grunde durchlebt werden.
Auf der anderen Seite: Wachstum generiert man nicht nur über neues Geld - sicherlich: Infrastruktur, Investitionen und Ähnliches sind wichtige Themen -, aber auch durch offene Märkte, durch flexible Anpassung, durch Möglichkeiten für die Unternehmen, schnell zu reagieren.
Müller: Aber passiert das genug, diese Investitionen in die Infrastruktur, in Straßen, in öffentliche Gebäude?
Hüther: Wir haben ja gerade in den Südländern erhebliche Investitionen in den letzten Jahrzehnten auch von der europäischen Seite gehabt. Die europäischen Fonds, der Strukturfonds, sind ja schon vor geraumer Zeit, Ende 2011, insofern verändert worden, als dass die Länder geringere Eigenanteile aufbringen müssen, sodass sie nicht zusätzlich noch da mit Mitteln gebunden sind, sondern diese europäischen Impulse greifen. Das sind aber alles Prozesse, die natürlich Zeit benötigen, und das gleiche gilt auch für das Thema Jugendarbeitslosigkeit und den Export des deutschen Modells der dualen Berufsausbildung, wo es ja Kooperationsabkommen gibt und wo insbesondere in Spanien und Portugal erste Zeichen auch sind, dass man denen etwas anbieten kann: hier, indem man Ausbildungsplätze bei uns besetzt, und dort dieses System entwickelt, weil wir einfach gelernt haben (und wir mussten es ja auch wieder lernen), dass es ganz wichtig ist für die Sicherung industrieller Wettbewerbsfähigkeit.
Müller: Jetzt gibt es ja die reine Lehre, Professor Hüther, mit Blick auf Angebotspolitik oder Nachfragepolitik. Oft wird ja dann doch von der Politik jedenfalls ein Mittelweg gewählt, weil das alles auch politisch zu verantworten ist. Viele sagen, das, was jetzt in Südeuropa passiert, in Griechenland, in Portugal, in Spanien, ist politisch jedenfalls kaum noch zu verantworten. Dann haben wir einen Handelsbilanzüberschuss seit Jahren, die Franzosen kritisieren das zu allererst, unser direkter wichtigster Nachbar. Massiv wird gefordert, dass wir zu billig produzieren, beziehungsweise dass unsere Löhne beispielsweise steigen, damit die anderen Konkurrenzprodukte in Europa auch wieder konkurrenzfähig werden. Haben die Recht?
Hüther: Sie haben an der Stelle nicht Recht. Das ist ja eine Debatte, die wir jetzt nicht schon in den letzten zwei Jahren führen, sondern schon seit Jahren, weil anderen Ländern auffällt, dass wir durch Veränderungen in unserem Arbeitsmarkt, in der sozialen Sicherung, aber auch durch eine beschäftigungsorientierte Lohnpolitik nach vorne kommen. Es gibt immer zwei Vergleiche: Einmal der Arbeitskostenvergleich zwischen zwei Ländern, und da gilt, dass Deutschland unverändert einer der teuersten Arbeitsplätze ist. Wir sind mit den Arbeitskosten je Stunde immer unterm ersten Drittel. Auf der anderen Seite gilt aber in jedem Land das Verhältnis der Kosten für Arbeit und das zum Verhältnis der Kosten für Kapital, also Maschinen versus Arbeit, und da hat Deutschland seit 97 durch eine beschäftigungsorientierte Lohnpolitik viel getan. Aber noch einmal: Wettbewerbsfähige Arbeitsplätze, die auf diesem Wege hier entstehen, lassen erst nachhaltig auch einen privaten Verbrauch zu, der dann einen Konsum ermöglicht auch von Produkten aus dem Ausland. Daran hängt es aber letztlich nicht alleine, das müssen auch attraktive Produkte sein, und das ist das Problem, das wir in diesen Ländern haben. Das Erfinden von attraktiven Produkten macht man nicht schlicht und allein mit Geld, sondern vor allen Dingen, indem man unternehmerischen Geist ermöglicht.
Müller: Dann würden Sie in Richtung Lissabon und Madrid, beispielsweise auch in Richtung Athen signalisieren, ihr braucht etwas Geduld und strengt euch an?
Hüther: Das ist leider ein großer Teil der Wahrheit, das ist manchmal so, und das ist auch für Politik und Gesellschaft nicht befriedigend. Das weiß ich sehr wohl. Aber solche Anpassungsprozesse benötigen Zeit. Das heißt ja nicht – und das wollte ich noch aufnehmen -, dass man auf der anderen Seite über die Zeitphase der Konsolidierung nicht diskutieren kann. Es muss nur klar sein, dass die grundsätzliche Disziplin, die grundsätzliche Verpflichtung dazu unstreitig ist. Aber es hat auch in den letzten zwölf Monaten immer in Richtung Portugal beispielsweise Beschlüsse gegeben, die Zeitpfade anzupassen. Das kann man sicherlich tun. Aber die Verpflichtung zum Grundsätzlichen, die muss unzweifelhaft sein.
Müller: Jetzt haben wir nur noch ein paar Sekunden. Sie sagen jetzt am Ende des Interviews ZeitPhase. Das heißt, ein bisschen Aufschub würden Sie den Ländern auch einräumen?
Hüther: Zeitpfade haben keinen Wert an sich, sondern sie drücken Disziplin aus. Wenn man Disziplin aber durch politische Lösungen, Arrangements und Selbstverpflichtungen, beispielsweise eine Schuldenbremse auslösen kann, kann man sich auch durchaus mehr Zeit geben. Da muss man jetzt nicht sozusagen auf den Stichtag 24. April 2013 schauen.
Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Professor Michael Hüther, Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft. Danke für das Gespräch, Ihnen noch einen schönen Tag.
Hüther: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Alle wollen, oder zumindest fast alle wollen, dass Deutschland weniger spart. Darüber sprechen wir nun mit Professor Michael Hüther, Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft. Guten Morgen!
Michael Hüther: Guten Morgen, Herr Müller.
Müller: Herr Hüther, ist Wolfgang Schäuble ein Geizhals?
Hüther: Er muss es als Finanzminister sein, das ist seine Rolle. Die Frage ist: Passt es zur gesamtwirtschaftlichen Lage. Wenn wir uns die deutsche Konjunktur anschauen, wenn wir uns die Robustheit des Industriesektors anschauen, die Stabilität der Beschäftigung und damit dann auch, auf wettbewerbsfähigen Arbeitsplätzen beruhend, des privaten Verbrauchs, dann kann man sagen, das passt, denn in Deutschland haben die Menschen Zutrauen, und das ist das Wichtigste letztlich auch für Europa, wenn hier stabil investiert und konsumiert wird. Wir haben jetzt eine Delle, eine Konjunkturdelle, aber der Blick daraus ist nach oben gerichtet und insofern bedarf es auch deshalb keiner Veränderung des finanzpolitischen Kurses.
Müller: Die Deutschen, Herr Hüther, haben ja oft als einzige Recht. Alle anderen haben oft Unrecht, 20, 30 Staaten. Viele Finanzpolitiker, viele Finanzexperten wollen eine Änderung dieses Verhaltens, eine Änderung dieser Sparpolitik. Warum liegen die falsch?
Hüther: Weil sie, glaube ich, verkennen, wie der Zusammenhang des deutschen Industriemodells sich für Europa darstellt. Um es mal mit zwei Zahlen zu bebildern: Wenn der deutsche Export um zehn Prozent ansteigt, dann steigen die Vorleistungsausfuhren der europäischen Partner nach Deutschland um acht bis neun Prozent an. Das heißt, der Mechanismus, in dem Deutschland Impulse nach Europa gibt, geht über unser Geschäftsmodell industriebasiert, exportorientiert, und das muss auch stabilisiert werden. Wir würden dem Abbruch tun oder wir würden ihm schaden, wenn hier Zweifel entstünden, und deswegen ist es so wichtig, dass über eine stabile Finanzpolitik und eine verlässliche Haushaltskonsolidierung dafür auch ein Rahmen gesetzt wird. Das heißt trotzdem natürlich auf der anderen Seite, es ist ein mühsamer Prozess in den Anpassungsländern, das ist überhaupt nicht zu bestreiten, und es ist, genau wie bei Ihnen im Bericht beschrieben, ein Riesenkonflikt zu den gesellschaftlichen Erwartungen.
Müller: Bleiben wir, Herr Hüther, noch einmal bei Ihrem Beispiel. Sie haben gesagt, zehn Prozent Exporte, Vorleistungsausfuhren acht bis neun Prozent. Das müssen Sie bitte noch einmal erklären: Was sind Vorleistungsausfuhren?
Hüther: Das sind jene Produkte, die wir in Deutschland benötigen, aus dem europäischen Ausland, um unsere Exportprodukte zu konfigurieren, um sie zu erstellen.
Müller: Also die Zulieferer quasi?
Hüther: Die Zulieferer, die wir aus dem europäischen Ausland bekommen. Das heißt, bei aller auch Neuorientierung deutscher Exportindustrie auf die globalen Märkte – wir haben ja heute eher schrumpfende Exportanteile in die Eurozone und einen steigenden, deutlich steigenden Export in die sogenannten Schwellenländer und nach Nordamerika – bedeutet das auf der anderen Seite nicht, dass wir unabhängig sind von Europa, sondern wir benötigen diese Vorleistungen und über diese Vorleistungen setzen wir auch Impulse in die anderen europäischen Länder.
Müller: Herr Hüther, es geht ja, wenn wir das alle richtig verstanden haben, nicht nur um das eigene Sparen, es geht ja nicht nur um das Budget, was Wolfgang Schäuble zu verantworten hat. Es geht auch darum, wie viel Druck Deutschland auf die anderen südeuropäischen Krisenländer ausübt, zu sparen und nicht zu investieren. Massenarbeitslosigkeit in vielen Segmenten, Jugendarbeitslosigkeit in einer unglaublichen Dimension, wie wir es eigentlich in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg in der Form gar nicht mehr kennen, ist auch die Folge. Was läuft da falsch?
Hüther: Na ja, falsch gelaufen ist vorher unendlich viel, denn im Grunde steht ja nicht nur die Haushaltskonsolidierung in diesen Ländern auf der Tagesordnung, sondern auch die Revision, die Überarbeitung des volkswirtschaftlichen Geschäftsmodells. In Spanien ganz eindeutig mit den Fehlinvestitionen im Immobilienbereich. Die dort gebundenen Mittel sind nun quasi entwertet worden, damit aber auch daraus bestehende Modelle der Bauindustrie. Insofern ist die Arbeitslosigkeit von einem ganz spezifischen jetzt in diesem Fall Problem in Spanien her begründet. Das kann man jetzt auch nicht mit viel Geld heilen. Diese Kapitalvernichtung muss im Grunde durchlebt werden.
Auf der anderen Seite: Wachstum generiert man nicht nur über neues Geld - sicherlich: Infrastruktur, Investitionen und Ähnliches sind wichtige Themen -, aber auch durch offene Märkte, durch flexible Anpassung, durch Möglichkeiten für die Unternehmen, schnell zu reagieren.
Müller: Aber passiert das genug, diese Investitionen in die Infrastruktur, in Straßen, in öffentliche Gebäude?
Hüther: Wir haben ja gerade in den Südländern erhebliche Investitionen in den letzten Jahrzehnten auch von der europäischen Seite gehabt. Die europäischen Fonds, der Strukturfonds, sind ja schon vor geraumer Zeit, Ende 2011, insofern verändert worden, als dass die Länder geringere Eigenanteile aufbringen müssen, sodass sie nicht zusätzlich noch da mit Mitteln gebunden sind, sondern diese europäischen Impulse greifen. Das sind aber alles Prozesse, die natürlich Zeit benötigen, und das gleiche gilt auch für das Thema Jugendarbeitslosigkeit und den Export des deutschen Modells der dualen Berufsausbildung, wo es ja Kooperationsabkommen gibt und wo insbesondere in Spanien und Portugal erste Zeichen auch sind, dass man denen etwas anbieten kann: hier, indem man Ausbildungsplätze bei uns besetzt, und dort dieses System entwickelt, weil wir einfach gelernt haben (und wir mussten es ja auch wieder lernen), dass es ganz wichtig ist für die Sicherung industrieller Wettbewerbsfähigkeit.
Müller: Jetzt gibt es ja die reine Lehre, Professor Hüther, mit Blick auf Angebotspolitik oder Nachfragepolitik. Oft wird ja dann doch von der Politik jedenfalls ein Mittelweg gewählt, weil das alles auch politisch zu verantworten ist. Viele sagen, das, was jetzt in Südeuropa passiert, in Griechenland, in Portugal, in Spanien, ist politisch jedenfalls kaum noch zu verantworten. Dann haben wir einen Handelsbilanzüberschuss seit Jahren, die Franzosen kritisieren das zu allererst, unser direkter wichtigster Nachbar. Massiv wird gefordert, dass wir zu billig produzieren, beziehungsweise dass unsere Löhne beispielsweise steigen, damit die anderen Konkurrenzprodukte in Europa auch wieder konkurrenzfähig werden. Haben die Recht?
Hüther: Sie haben an der Stelle nicht Recht. Das ist ja eine Debatte, die wir jetzt nicht schon in den letzten zwei Jahren führen, sondern schon seit Jahren, weil anderen Ländern auffällt, dass wir durch Veränderungen in unserem Arbeitsmarkt, in der sozialen Sicherung, aber auch durch eine beschäftigungsorientierte Lohnpolitik nach vorne kommen. Es gibt immer zwei Vergleiche: Einmal der Arbeitskostenvergleich zwischen zwei Ländern, und da gilt, dass Deutschland unverändert einer der teuersten Arbeitsplätze ist. Wir sind mit den Arbeitskosten je Stunde immer unterm ersten Drittel. Auf der anderen Seite gilt aber in jedem Land das Verhältnis der Kosten für Arbeit und das zum Verhältnis der Kosten für Kapital, also Maschinen versus Arbeit, und da hat Deutschland seit 97 durch eine beschäftigungsorientierte Lohnpolitik viel getan. Aber noch einmal: Wettbewerbsfähige Arbeitsplätze, die auf diesem Wege hier entstehen, lassen erst nachhaltig auch einen privaten Verbrauch zu, der dann einen Konsum ermöglicht auch von Produkten aus dem Ausland. Daran hängt es aber letztlich nicht alleine, das müssen auch attraktive Produkte sein, und das ist das Problem, das wir in diesen Ländern haben. Das Erfinden von attraktiven Produkten macht man nicht schlicht und allein mit Geld, sondern vor allen Dingen, indem man unternehmerischen Geist ermöglicht.
Müller: Dann würden Sie in Richtung Lissabon und Madrid, beispielsweise auch in Richtung Athen signalisieren, ihr braucht etwas Geduld und strengt euch an?
Hüther: Das ist leider ein großer Teil der Wahrheit, das ist manchmal so, und das ist auch für Politik und Gesellschaft nicht befriedigend. Das weiß ich sehr wohl. Aber solche Anpassungsprozesse benötigen Zeit. Das heißt ja nicht – und das wollte ich noch aufnehmen -, dass man auf der anderen Seite über die Zeitphase der Konsolidierung nicht diskutieren kann. Es muss nur klar sein, dass die grundsätzliche Disziplin, die grundsätzliche Verpflichtung dazu unstreitig ist. Aber es hat auch in den letzten zwölf Monaten immer in Richtung Portugal beispielsweise Beschlüsse gegeben, die Zeitpfade anzupassen. Das kann man sicherlich tun. Aber die Verpflichtung zum Grundsätzlichen, die muss unzweifelhaft sein.
Müller: Jetzt haben wir nur noch ein paar Sekunden. Sie sagen jetzt am Ende des Interviews ZeitPhase. Das heißt, ein bisschen Aufschub würden Sie den Ländern auch einräumen?
Hüther: Zeitpfade haben keinen Wert an sich, sondern sie drücken Disziplin aus. Wenn man Disziplin aber durch politische Lösungen, Arrangements und Selbstverpflichtungen, beispielsweise eine Schuldenbremse auslösen kann, kann man sich auch durchaus mehr Zeit geben. Da muss man jetzt nicht sozusagen auf den Stichtag 24. April 2013 schauen.
Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Professor Michael Hüther, Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft. Danke für das Gespräch, Ihnen noch einen schönen Tag.
Hüther: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.