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Währungsunion
Wie realistisch ist der Zusammenbruch der Eurozone?

Gewinnt am Wochenende in Frankreich Marine Le Pen die Präsidentschaftswahl, könnte das für die Eurozone gravierende Folgen haben: Denn Le Pen will aus der Währungsunion aussteigen. Wäre das der Anfang vom Ende des Euros - und welche Alternativszenarien gibt es?

Von Michael Braun |
    Die Bankentürme von Frankfurt am Main scheinen kurz nach Sonnenuntergang aus vielen kleinen Eurozeichen zu bestehen.
    Die Bankentürme von Frankfurt am Main scheinen kurz nach Sonnenuntergang aus vielen kleinen Eurozeichen zu bestehen, Januar 2014 (picture alliance / Daniel Reinhardt)
    Im Handelssaal der Commerzbank. Die Händler, die hier arbeiten, sind daran beteiligt, weltweit täglich rund fünf Billionen Dollar auf dem Devisenmarkt zu bewegen. Dollar gegen Euro und Euro gegen Dollar ist das wichtigste Währungspaar auf dem Markt. Da achten sie schon auf Kursrisiken für den Euro. Die Wahl in Frankreich ist solch ein Risiko, ein spürbares, sagt Antje Praefcke von der Commerzbank:
    "Der Devisenmarkt hört sehr genau hin. Er schaut sich vor allem die Umfragen an, die aus Frankreich kommen, wie Frau Le Pen steht, ob sie Chancen hat, vor allem auch im zweiten Wahlgang - der erste scheint ja relativ sicher zu sein - durchzukommen. Und man merkt sehr deutlich, dass, wenn die Umfragen für sie besser sind, dass dann der Euro unter Druck kommt und dass auch die Renditen für französische Anleihen steigen. Das heißt: Es ist schon eine Unsicherheit im Markt. Ich glaube, keiner rechnet wirklich damit, dass Frankreich aus dem Euro aussteigt. Aber das Risiko wird zumindest in Augenschein genommen und schon genau verfolgt."
    Draghi glaubt nicht an Ende der Eurozone
    Ähnlich verhält sich nach Beobachtung von Volkswirten die Realwirtschaft. Zwar hat kein Unternehmen vor der Wahl in den Niederlanden fluchtartig das Nachbarland verlassen in der Sorge, Geert Wilders könne an Einfluss gewinnen und den nutzen, die Niederlande aus dem Euro zu führen. Auch Frankreich spürt vor der Wahl nicht einen Exodus an Unternehmen, deren Eigentümer Marine Le Pen einen Wahlsieg zutrauen und dann Angst haben, wieder mit dem französischen Franc arbeiten zu müssen. So platt und dramatisch verhält sich Wirtschaft nicht. Aber auf die erste Stufe, die der Skepsis, die der Zurückhaltung bei neuen Investitionen, auf die habe die politische Unsicherheit die Wirtschaft schon geführt, sagt Volker Sack, Analyse-Chef der NordLB:
    "Was wir von der Unternehmensseite her wahrnehmen, ist tatsächlich so, dass genauer geguckt wird, wo investieren wir, in welchen Bereichen investieren wir, brauchen wir noch ein Werk dort oder schieben wir diese Investition zunächst zurück. Also, insofern eine gewisse Zurückhaltung, Vorsicht ist wahrzunehmen."
    Mario Draghi hat die Augen geschlossen, im Hintergrund ist ein Eurozeichen zu sehen.
    Mario Draghi glaubt an den Euro. (dpa/ picture-alliance/ Arne Dedert)
    Journalisten transportierten diese Vorsicht Anfang März vor Mario Draghi. Der Präsident der Europäischen Zentralbank wurde gefragt, ob die Eurozone auseinanderbrechen könne:
    "Frankly: I don’t see that."
    Ehrlich gesagt, das sehe ich nicht, antwortete er und fügte hinzu, die EZB stehe bereit, den Euro zu stützen.
    "We are ready. The Euro is irrevocable.”
    Bankenverband: "Die Zukunft des Euro ist nicht gesichert"
    Der Euro sei unumkehrbar. Wirklich? Unumkehrbar? Seriöse Gesprächspartner aus der Geldbranche urteilen anders. Sie sehen Gefahren für den Euro und äußern sie auch. Uwe Fröhlich etwa. Dem Präsidenten des genossenschaftlichen Bankenverbandes fehlt es in der Eurozone an Gemeinsamkeiten. Zum Beispiel beim Umgang mit Schulden, beim Bemühen um Wettbewerbsfähigkeit. In all dem sei viel auseinandergelaufen, meint Fröhlich:
    "Denn nur, wenn etwa die Länder des Euroraumes sich wirtschaftlich ähnlich genug sind, kann der Euro als Gemeinschaftswährung seine Akzeptanz erhalten und seine Vorteile voll ausspielen. Sind die Länder zu verschieden, wird die Geldpolitik den einzelnen Volkswirtschaften zu wenig gerecht und der Verzicht auf anpassungsfähige Wechselkurse zahlt sich letztlich nicht aus. Setzt sich dieses Problem weiter fort, ist die Zukunft des Euro nicht gesichert."
    Ernüchterung ist eingekehrt nach gut 18 Jahren Euro und nach gut 15 Jahren Euro-Münzen und –Scheinen in den Portemonnaies von damals mehr als 300 Millionen Menschen in der Eurozone. Dabei hatte es so emotional und hoffnungsvoll und im Bewusstsein begonnen, viel Schlechtes hinter sich lassen zu können.
    "Wenn wir jetzt durch Europa reisen, müssen wir kein Geld mehr wechseln, wenn wir Freunde besuchen, müssen wir uns kein fremdes Bargeld mehr besorgen."
    Der Euro als Startpunkt von mehr Vergemeinschaftung
    Ein kleines Musical hatte die Europäische Zentralbank komponieren und zu Silvester 2001 auf die Bühne bringen lassen, um den Euro als gemeinsames Geld zu begrüßen.
    24 Kinder waren bei der Premiere dabei, je zwei aus den damals zwölf Euro-Staaten. Wim Duisenberg, der weißhaarige Holländer, der erste Präsident der Europäischen Zentralbank, kam damals inmitten der kleinen fröhlichen Schar zur Premiere und erzählte den Kindern, er sei auch mal klein gewesen, aber das Europa, in das er 1935 hineingeboren worden sei, sei ein ganz anderes Europa gewesen:
    "Es war Teil einer Welt, die unter der Weltwirtschaftskrise litt, es war ein Kontinent, dessen Nationen zum zweiten Mal in weniger als 50 Jahren die schreckliche Erfahrung eines Weltkrieges gemacht hatten. Und aus Diktatur und Protektionismus lernten die Europäer, miteinander, statt gegeneinander zu arbeiten, sich in ihrer Unterschiedlichkeit zu respektieren und voneinander zu lernen."
    Der erste EZB-Präsident Wim Duisenberg bei der Vorstellung der ersten Euro-Banknoten
    Am Anfang war die Euphorie groß: Der erste EZB-Präsident Wim Duisenberg bei der Vorstellung der ersten Euro-Banknoten im August 2001. (dpa/picture alliance/Oliver Berg)
    Die Bundesbank hatte damals die sogenannte "Krönungstheorie" verfolgt, wollte also die gemeinsame Währung am Ende eines Prozesses sehen, der zunächst Wirtschafts-, Finanz-, Steuer- und Sozialpolitik vergemeinschaftet. Doch wesentlich getrieben durch den damaligen deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl und den französischen Staatspräsidenten François Mitterrand setzte sich eine andere Methodik durch: Sie stellte den Euro an den Anfang, nahm die gemeinsame Währung als Katalysator zur Vergemeinschaftung anderer Politikbereiche. Mitterrand beim Abschluss der Verträge von Maastricht:
    "Eine gemeinsame Währung, der Beginn einer gemeinsamen Diplomatie, einer gemeinsamen Verteidigung, einer gemeinsamen Armee im Europa der zwölf. Eine Sozialcharta, ein Beispiel für Stabilität, als Angebot an zerrissene Völker. Europa, so wie es jetzt umgesetzt wird, ist in der Lage zu begeistern, zu vereinen und Hoffnung zu geben."
    Waren die Erwartungen an den Euro zu hoch?
    Finanzkrise, Griechenlandkrise, populistische Bestrebungen "raus aus dem Euro" in den Niederlanden, in Frankreich, in Italien und Deutschland – ist das alles der gemeinsamen Währung anzulasten? Treibt er nicht nur die Währungsunion auseinander, sondern, siehe Brexit, auch die Europäische Union? Der Frankfurter Politologe Gunther Hellmann, der sich mit deutscher und europäischer Außenpolitik befasst, mahnt zur Mäßigung:
    "Ich glaube, dass von Anfang an die Erwartung, die an den Euro selbst gerichtet waren, im Hinblick auf all die Dinge, die er positiv leisten würde für die Integration innerhalb Europas, überfrachtet war. Der Euro kann als Währung natürlich im ökonomischen Bereich für einige Konvergenzen hilfreich sein. Aber diese politischen Integrationsleistungen zu erbringen, die häufig als Ziele mit ihm verbunden waren, zusätzlich zu den ökonomischen Zielen, das war meines Erachtens Überfrachtung. Spätestens seit der Griechenland-Finanzkrise, der Euro-Schuldenkrise, wie sie auch genannt wird, sieht man es ja ganz deutlich, dass hier aufgrund von nationalen Zuständigkeiten einfach sehr unterschiedliche Modelle auch gefahren werden. Also ökonomisch sinnvoll, aber die politischen Erwartungen, die damit verknüpft worden sind, waren eine Überfrachtung."
    Hält die Währungsunion diese Last aus? Wirken die ökonomischen Kräfte des Euro mittlerweile statt integrierend nun sprengend? Zerstören die niedrigen Zinsen die Altersvorsorgepläne einer halben Generation? Wird die Verpflichtung auf solide Haushaltspolitik, die in Maastricht vor gut 25 Jahren hochgehalten wurde, vor allem in Südeuropa ständig verletzt? Lassen sich die Euroländer zu viel Zeit, ihre Arbeitsmärkte zu reformieren, um wettbewerbsfähiger zu werden?
    Hat die Bundesbank ein Alternativszenario?
    Natürlich ist der Euro eine Fessel. Nationale Regierungen können eben nicht mehr eigenmächtig an den Wechselkursen ihrer Währungen drehen, können ihre Währung nicht eigenmächtig schwächen. Sie können so nicht mehr die Exporte beflügeln. Sie müssen, wie jetzt im französischen Wahlkampf, schon ran an die Reformen, ran an die Wettbewerbsfähigkeit, also die 35-Stunden-Woche, den Kündigungsschutz und die Rente mit 63 beschneiden. Das wäre auch ohne den Euro nötig. Aber mit ihm ist eine solche Politik zwingend.
    "Befreit Griechenland aus dem Euro-Gefängnis": Ein Grafito an einem leer stehenden Haus in Athen
    Die Eurokrise hat vor allem in Griechenland ihre Spuren hinterlassen. Waren die Erwartungen zu überhöht? (AFP / ANGELOS TZORTZINIS)
    Die Option, ohne den Euro zu leben, beschäftigt auch die Bundesbank. Es fiel auf, dass sie in ihrer Bilanz für 2016 für Risiken aus Forderungen an andere Notenbanken im Euroraum nicht vorgesorgt hat. Diese Risiken entstünden erst, wenn der Euro auseinanderbreche. Und dafür, so Bundesbankpräsident Jens Weidmann, gebe es keinen Anlass:
    "Unser Basisszenario ist der Fortbestand der Währungsunion."
    Jeder weiß: Wer ein Basisszenario hat, entwirft auch ein Alternativszenario. Das offenbarte Weidmann nicht. Aber die Bundesbank werde doch hoffentlich ein Alternativszenario haben, heißt es in Frankfurt, also irgendwie darüber nachdenken und für den Fall vorsorgen, dass der Euro kippen könnte. Fachleute mögen einen "Plan B" für den Euro nur ungern denken, sehen aber, dass sie sich zumindest theoretisch damit beschäftigen müssen. Michael Heise, der Chefvolkswirt der Allianz:
    "Ich habe kein Alternativszenario, wenngleich ich nicht abstreiten möchte, dass der Austrittswunsch eines großen Landes wie jetzt Frankreich oder Italien, wenn die Cinque-Stelle-Bewegung tatsächlich die Wahlen gewinnen sollte, enorme Spannungen in das ganze Gefüge des Euro bringt, sodass man sich auch solchen Szenarien zuwenden muss, dass ein Land wirklich austreten will oder dass im Staatsschuldensektor Entwicklungen wieder eskalieren und man in Richtung Schuldenkrise geht. Also, natürlich muss man solche Szenarien mitdenken."
    Bonität von Austrittskandidaten würde sinken
    Es ist nichts Gutes, was bei solchem Denken in Krisenszenarien herauskommt. Die Reaktion des Devisenmarktes allein auf gute Umfrageergebnisse für Marine Le Pen würde sich verstärken, käme auch nur eine Andeutung, Frankreich oder Italien werde Euroland verlassen. Der Eurokurs würde nachgeben. Vor allem aber würde die Bonität des Austrittskandidaten sinken.
    Deutschland, Frankreich und Italien haben alle jeweils rund 2,2 Billionen Euro Schulden angehäuft. Nur macht die Summe in Deutschland knapp 70 Prozent der gesamtwirtschaftlichen Leistung aus, in Frankreich rund 98 und in Italien knapp 133 Prozent.
    Ob es gelänge, diese Eurolasten mit einem schwachen Franc und einer noch schwächeren Lira abzutragen, gilt als sehr fraglich. Finanzmärkte reagieren deshalb sehr schnell und sehr früh auf Hinweise, Schuldner könnten womöglich nicht oder nicht vollständig zurückzahlen. Entsprechend schnell steigen die Zinsen, die solche Länder zahlen müssen. Gut zwei Prozent muss etwa der italienische Staat jetzt zahlen. Zu Lira-Zeiten waren es zehn Prozent.
    Das würde auch alle Sparer des austrittswilligen Landes treffen. Denn mit dem Zinsanstieg geht ein Kursverlust der Anleihen einher, die sie selbst oder ihre Versicherungen und Pensionskassen im Depot haben. Zudem stiege die Inflationsrate. Denn Importe würden teurer, wenn die Dollarpreise etwa für Öl mit schwachen Währungen bezahlt werden müssten.
    Unterstützung in Krisenländern ist groß
    Die Menschen ahnen das. So lässt sich vermutlich erklären, dass die Mehrheit der Bevölkerung jedes Eurolandes den Euro nicht mehr hergeben will. Selbst als die griechische Regierung mit den Kontrolleuren des Internationalen Währungsfonds, der EZB und der EU erbittert um jede Spar- und Reformmaßnahme stritt, die meist zulasten der Bevölkerung ging, wollten 70 und mehr Prozent der Griechen den Euro halten.
    "Die Unterstützung für den Euro ist gerade in Ländern am Rande wie Griechenland relativ groß. Zum einen erinnert man sich da trotz aller Schmerzen noch daran, wie wenig gut nationale Währung denn war. Die griechische Drachme war ja nun wirklich nicht ein besonders gutes Wertaufbewahrungsmittel", weiß Holger Schmieding, der Chefvolkswirt der Berenberg Bank.
    "Am Rande Europas ist man sich oftmals des Werts Europas besser bewusst. Da, wo der Blick beispielsweise unmittelbar auf die Probleme in der Türkei geht, in Griechenland, oder auf die theoretischen Gefahren, die aus dem instabilen Nahen Osten für Griechenland drohen könnten, da ist das Bewusstsein für den Wert der europäischen Zusammenarbeit relativ ausgeprägt."
    So gesehen, ist es alles andere als populär, wenn populistische Kräfte wie Marine Le Pen, Geert Wilders, Beppe Grillo oder die AfD mit einer Renationalisierung auch der Währungspolitik, also mit einem Austritt aus dem Euro werben. Der Frankfurter Politologe Hellmann bezweifelt, dass die Anti-Euro-Ideen dieser Kräfte funktionieren können:
    "Nach meinem Dafürhalten kann das in einem verantwortlichen Sinne alleine schon deswegen nicht funktionieren, weil die ökonomischen, politischen und sonstigen Zusammenhänge, die Staatsgrenzen überschreitend wirken heute, an Komplexität enorm zugenommen haben. Und ich habe noch keinen Vertreter von diesen politischen Richtungen gehört, der mir plausibel darlegen könnte, wie ein Europa, das ein Europa der Nationalstaaten ist, mit den Formeln, mit denen Politik von Le Pen, Wilders, AfD und so weiter betrieben wird, wie ein solches Europa nicht nur politisch ähnlich stabil wäre, verlässlich befriedet, wie es in der Vergangenheit war, sondern auch noch ökonomisch erfolgreich."
    Drohende Staatspleiten haben disziplinierende Wirkung
    Doch die Spannungen, die Meinungsverschiedenheiten, die kulturellen Unterschiede, die der Euro etwa beim Streit über den Wert ordentlich geführter Staatshaushalte offenbart hat, sind nun einmal da. Damit sie den Euro nicht zerreißen, schlägt Allianz-Volkswirt Michael Heise als marktkonformes Druckmittel vor:
    "Dass Staatsinsolvenzen möglich sein müssen, auch innerhalb eines Euroraumes, dass wir ein Verfahren brauchen, das Staatsinsolvenzen regelt. Wenn es ein solches Verfahren gibt, dann wird es eben möglich sein, die Gemeinschaftshaftung, die wir heute in vielen Fällen haben – ein Land gerät in Schwierigkeiten und alle anderen haften dafür -, dann wird es möglich sein, das zu begrenzen. Und das wird die Länder von vornherein disziplinieren in ihrer makroökonomischen und Finanzpolitik. Da sind schon ein paar institutionelle Reformen zu machen. Ich denke, die werden auch über kurz oder lang kommen. Und dann wird der Euro auch wieder sehr stabil sein."
    Euro-Münzen aus Zypern, Portugal, Irland und Griechenland
    "Spanien, Portugal, Irland, Zypern und in gewissen Grenzen auch Griechenland sind erheblich flexibler geworden durch die Reformen der letzten Jahre," meint Holger Schmieding, Volkswirt bei der Berenberg Bank. (picture alliance / dpa)
    Es gibt Vorbilder, vielleicht nicht ausreichend nachhaltige, aber immerhin. Die disziplinierende Wirkung einer drohenden Staatspleite hat sich gezeigt, als Eurostaaten nach 2008 an den Rand der finanziellen Existenz gerieten - im Gefolge der Finanzkrise, als Ergebnis eigener laxer Haushaltspolitik, auch, wie in Irland, als Folge nachlässiger Aufsichtspolitik über Banken. Da sprangen die europäischen Rettungsfonds nicht nur finanziell bei. Sie bewirkten auch, so sieht es Berenberg-Volkswirt Holger Schmieding, dass sich ein gemeinsamer haushaltspolitischer Nenner stärker herausbildete:
    "Auf Dauer können nur die Länder in der Währungsunion bleiben, die das auch wollen. Zur Währungsunion, zur gemeinsamen Währung gehört eine gewisse Disziplin. Weil es natürlich den Anpassungsmechanismus der Wechselkurse zwischen den Mitgliedsländern nicht mehr gibt, muss es eine gewisse Flexibilität in den Ländern geben. Das hat in den letzten Jahren eigentlich in vielen Fällen ganz gut geklappt. Spanien, Portugal, Irland, Zypern und in gewissen Grenzen auch Griechenland sind erheblich flexibler geworden durch die Reformen der letzten Jahre."
    Ihm ist deshalb nicht bange um Europa:
    "Europa bewegt sich in eine Richtung, die ich für genau die richtige halte."
    Europa wird zum "Klub der Klubs"
    Es sollte für alle eine gemeinsame Grundlage geben. Das sei der gemeinsame Markt für Güter, Dienstleistungen, Arbeit und Kapital. Dazu komme der Respekt für Demokratie und Rechtsstaat und das Anerkennen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs.
    "Auf dieser gemeinsamen Basis, also auf den Regeln für den einen großen Klub aufbauend, sollte es dann aber immer mehr kleinere Gruppen geben Ländern, die bestimmte Sachen miteinander teilen möchten, wie beispielsweise die Währung, die heute 19 von 27 künftigen EU-Mitgliedern haben, wie beispielsweise das Abkommen über das Reisen ohne interne Grenzkontrollen, das Schengen-Abkommen."
    Europa entwickle sich immer mehr zu einem "Klub der Klubs" mit unterschiedlicher Mitgliedschaft, aber gemeinsamer Grundlage für alle: gemeinsamer Markt und Rechtsstaat mit Recht des letzten Worts beim Europäischen Gerichtshof.
    Streitereien innerhalb des großen oder der kleinen Klubs seien normal, müssten es zumindest werden, sagt der Politologe Hellmann, auch wenn sie sich zu tief gehenden Debatten über den Brexit, Marine Le Pen und den Euro auswüchsen:
    "Mein früherer universitärer Kollege hier, Jürgen Habermas, hätte gesagt, es ist eine Form der Politisierung auf europäischer Ebene, die man sich eigentlich nur wünschen kann: Dass all die Dinge, über die wir im nationalstaatlichen Kontext streiten, nun eben auch auf europäischer Ebene gestritten wird. Und dass wir zunehmend auch eine europäische Öffentlichkeit haben, wo man sich Staatsgrenzen überschreitend über gemeinsame europäische Probleme und Konflikte austauscht. Das ist in mancherlei Hinsicht sogar ein Vorteil."
    Hoffnungsträger Macron
    Zudem muss man sehen: Es gibt nicht nur Marine Le Pen, die in Frankreich gegen Europa und gegen den Euro Wahlkampf führt. Es gibt auch Emmanuel Macron, der seine Kampagne proeuropäisch ausgerichtet hat. Er wolle mehr Europa, hatte er Anfang des Jahres in Berlin gesagt, und das gerne zusammen mit Deutschland.
    "I do want much more Europe and I do want to do that with Germany.”
    Er übertrug gar den Appell eines früheren deutschen Bundespräsidenten auf seine Ambitionen:
    "Durch Europa muss ein Ruck gehen.”