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Wärmestress im Weinberg

Der Hang hat eine Neigung von 45 Grad. Da ist Heinz Ley früher zu Fuß hoch und runter, im Herbst beladen mit dem ganzen Lesegut. Seine Rebanlage liegt am Burgberg in Mayschoß an der Ahr.

Von Volker Mrasek | 24.10.2004
    Die Ahr ist bekannt für ihre Steillagen, bestockt mit Riesling und Spätburgunder. Bei Leys Parzelle wäre das Wort Steilst-Lage wohl treffender. Der Winzer fährt seinen happigen Hausberg inzwischen mit der Bahn hoch. 250 Meter schnurstracks aufwärts.

    Das ist eine so genannte Monorack-Bahn. Eine Zahnradbahn, die Steilstneigungen auch überwinden kann. Ist also eine Einschienenbahn, die in den Berg hinein gebaut wurde. Und da zieht sich dann dieser Motor mit Anhänger hoch.

    Im Steilhang hat das kuriose Gefährt etwas von einer Achterbahn. Heinz Ley:

    Ein Motorrad, was aber abgewrackt wurde. Keine Reifen mehr. Der Motor ist noch so zu erkennen. Und dann mit einem ganz gewaltigen Getriebe. Und dieses Zahnrad, das geht also - von unten an der Schiene greift es ein. Und von oben ist es mit einem Führungsrad angestellt, dass es also nicht raus springen kann. Man braucht keine Angst zu haben, dass man da irgendwie entgleist oder irgendwie abdriftet.

    Es sind solche Steillagen wie die von Heinz Ley, auf denen weiße wie rote Rebsorten besonders gut gedeihen. An der Ahr, aber auch am Rhein und an der Mosel. Doch ist es eine Knochenarbeit, diese Edellagen zu bewirtschaften. Viele Winzer scheuen die Mühe mittlerweile und geben ihre Flächen auf; nicht alle können sich eine Zahnradbahn leisten. In der Weinwirtschaft spricht man vom "schleichenden Sterben der Steillagen".

    In Zukunft dürfte sich die Situation weiter zuspitzen. Dann macht auch noch der Klimawandel den Winzern das Leben schwer. Gerade in den Steillagen. Ihre flachgründigen, abschüssigen Böden können nur begrenzte Mengen Wasser speichern. Deswegen reagieren Steillagen besonders empfindlich auf sommerlichen Trockenstress. Und der nimmt immer mehr zu.

    Das zeigen langjährige Messreihen aus deutschen Weinbauregionen, etwa aus Rüdesheim und seinem Nachbarort Geisenheim am Rhein. Dort, an der Forschungsanstalt Geisenheim, leitet Hans Reiner Schultz das Institut für Weinbau und Rebenzüchtung. Er ist der Wissenschaftler im Lande, der sich am intensivsten mit den Folgen der Klimaerwärmung für den Wein befasst. Der Önologe und Botaniker lehrt zugleich als Professor für Weinbau an der Fachhochschule Wiesbaden.

    Wir haben hier in Geisenheim die so genannte Außenstelle oder Geschäftsstelle Landwirtschaft vom Deutschen Wetterdienst in Offenbach. Und die haben Aufzeichnungen von Geisenheim seit 1872. Aber die haben natürlich auch Zugang zu den ganzen anderen Temperaturdaten, die von Offenbach verwaltet werden. Und da zeigt sich halt ganz deutlich für neun oder zehn von zwölf Monaten, dass wir eine statistisch signifikante Erwärmung in Deutschland bereits haben.

    Ein ganzes Grad Celsius - so viel wärmer ist die bodennahe Luft heute im Schnitt in manchen Weinbergen, verglichen mit den Werten zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

    Der Temperaturzuwachs, der derzeit da ist, ist teilweise größer als die Temperaturdifferenzen zwischen den einzelnen Weinbaugebieten, wenn man jetzt hingeht und nimmt eine Durchschnittstemperatur fürs Jahr.

    Nach den Modellrechnungen der Klimaforscher wird sich der Erwärmungstrend weiter fortsetzen, vermutlich für Jahrzehnte. Denn es ist kaum damit zu rechnen, dass die Industriestaaten ihren Ausstoß an Treibhausgasen wie Kohlendioxid wirklich spürbar drosseln.

    Ein guter Wein braucht Wärme in der Vegetations- und Reifephase, das ist sonnenklar. Nach einem Bilderbuchsommer spekulieren viele sogleich über den nächsten Jahrhundert-Jahrgang. Doch fest steht auch: Zu viel Hitze schadet den Reben, die traditionell in Deutschland angebaut werden, gerade weißen Sorten wie Riesling oder Müller-Thurgau. Bei zu hoher Einstrahlung werden die Trauben braunfleckig, sie bekommen regelrechten Sonnenbrand. So genannte Fehltöne im Weißwein häufen sich nach einem sehr heißen Sommer; sie können einen Riesling oder Silvaner ungenießbar machen. Anhaltende Hitze trocknet die Weinbergsböden aus, die Trauben verdorren im schlimmsten Fall; mancher Winzer fragt sich, ob er schon bald künstlich bewässern muss. Gestiegene Luft-Temperaturen locken auch neue, Wärme liebende Schädlinge in deutsche Weinberge. Und damit auch neue, bisher unbekannte Rebkrankheiten. Mittelfristig stellt der Klimawandel vielleicht sogar die ganze heutige Wein-Geographie an Rhein, Mosel, Saar und Nahe auf den Prüfstand; Rebsorten könnten ihre Wuchssorte verlagern.

    Manfred Stock hält das für sehr gut möglich. Der Physiker forscht am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Dort ist er für regionale Studien zuständig. Und für das Thema Weinbau und Klima:

    Es braucht der Wein, und zwar abhängig von den verschiedenen Sorten, Wärme, Temperatur. Das wird in so genannten Temperatursummen oder Wärmesummen-Indices gemessen. Und danach kann man sehen, wo es denn überhaupt Sinn macht, Wein anzubauen. Und wenn ja, welche Sorte. Das fängt bei Weißwein an. Also, Müller-Thurgau ist da am wenigsten anspruchsvoll noch, was Wärme angeht. Und dann braucht man natürlich für die Wärme liebenden Rotwein-Sorten, braucht man schon so ein Klima wie im Bordeaux oder auch im Süden Deutschlands. Aber inzwischen durch die Klimaerwärmung finden wir auch zunehmend nördlicher davon gute Bedingungen.

    Die Weinrebe, Vitis vinifera botanisch korrekt - die Weinrebe auf dem Vormarsch Richtung Norden, in Gefilde, die ihr bisher zu kühl waren. Weißweine aus Norddeutschland, aus Südengland oder sogar aus Dänemark und Schweden, wo jüngst erste Weinberge bestockt wurden - all das scheint möglich in einem wärmeren Europa, meint Manfred Stock:

    Wir stehen ja erst am Anfang einer Klimaänderung, die noch uns wahrscheinlich sehr viel höhere Temperaturen bringen wird. Und von daher wird auch die Grenze für den Weinanbau weiter nach Norden driften.

    Schon jetzt wandelt sich das Bild der deutschen Wein-Landschaft. Klimaforscher Stock erkennt darin den Einfluss der gestiegenen Temperatur-Jahressummen:

    Wir haben generell in Deutschland einen Vormarsch des Rotweins. Und das hängt auch damit zusammen: Einmal, dass man für den Rotwein bessere Preise erzielen kann, aber auch, dass das Klima mitspielt und es wärmer geworden ist. Die Rotweine brauchen zur optimalen Wachstumsbedingung etwas mehr an Temperatur.

    Die Trauben bilden dann reichlich blau-violette Anthocyane, die Weine bekommen eine tiefere Farbe. Auch Oechsle-Grad und Zuckergehalt der Trauben wachsen mit der Wärme. Das wiederum ermöglicht Alkohol-reichere Tropfen.

    Bei den weißen Sorten aber sieht es anders aus. Deutschlands Renommee in der Weinwelt gründet sich auf seinen Riesling. Um wirklich gut zu sein, braucht er einen gewissen Gehalt an natürlicher Wein- und Äpfelsäure, eine fein ausbalancierte Säure-Note, wie der Winzer sagt. Doch diese Nuance geht verloren, wenn der Sommer wie im Jahr 2003 extrem heiß ausfällt. Bei sehr hohen Außentemperaturen wird die Äpfelsäure in den Trauben abgebaut. Nichts ist es dann mit einem charaktervollen Spitzengewächs.

    Der Klimatologe Johannes Lüers von der Universität Bayreuth hat sich lange an der Mosel umgetan. Er rekonstruierte das Klima und die Vegetationsentwicklung zwischen Koblenz und Trier während der letzten vier Jahrzehnte. Noch profitiere der Moselwein vom Klimawandel, sagt Lüers nach der Bestandsaufnahme. Ein ausgezeichneter Jahrgang folge derzeit auf den anderen ...

    Das zeigt, dass also im Moment ein Optimum da ist. Dass also für den Riesling die bisherigen Veränderungen, die in den letzten 50 Jahren stattgefunden haben, optimale Veränderungen sind.

    Das Rekordhitze-Jahr 2003 muss man hier aber ausklammern. Dem Jahrgang 2003 haben Trockenheit und Hitze bereits geschadet. Und wenn die Durchschnittstemperaturen im Weinberg noch weiter steigen, ...

    ... dann kann man von diesen klassischen Riesling- oder auch Müller-Thurgau-Standorten natürlich - muss man davon ausgehen, dass das Optimum überschritten wird. Und dass eben halt dann andere Weinpflanzen, andere Weinsorten, die also Wärme liebender sind, aus Spanien, Portugal, aus Italien dann eigentlich hier eher angepflanzt werden müssten.

    Hans Reiner Schultz rät deutschen Winzern, sich rechtzeitig auf diesen Wandel einzustellen. Riesling sei noch einigermaßen anpassungsfähig in punkto Hitze und Trockenheit, Silvaner aber zum Beispiel ein echtes "Sensibelchen". Wer aus dieser Sorte Weißwein keltert, der sollte sich wohl allmählich Gedanken machen.

    Wir sprechen hier von einer Kultur, die dann eben vielleicht 25, 30, 35 Jahre in der Produktion ist, das heißt die Reben, die ich heute pflanze, oder die Kombination aus Rebsorte und Unterlage sieht in 35 oder 40 Jahren eben ein ganz anderes Klima. Und das ist ganz schwer zu vermitteln oft, dass man halt jetzt frühzeitig schon umschaltet.

    Die Weinbauforscher sind viel in den Weinregionen unterwegs. Hans Reiner Schultz:

    Wir sind jetzt eigentlich am Eingang des Mittelrhein-Tals, was als UNESCO-Welterbe ja mit dem Weinbau zusammen vor zwei Jahren anerkannt worden ist.

    Bernd Gruber:

    Also, die Einzellage heißt Rüdesheimer Schlossberg. Und die Teilfläche, in der wir hier stehen, das ist wirklich direkt neben der Burg Ehrenfels. Das ist schon seit Zeiten von, ja, Ludwig XIV. ungefähr 'ne Ruine, die seitdem nicht mehr hergerichtet worden ist. Aber sie ist immer noch recht malerisch. Also, das ist noch einer der großen Vorteile, wenn man in den Steillagen arbeitet. Man hat wirklich immer eine schöne Aussicht, ja.

    Hans Reiner Schultz:

    Also, diese Anlage besteht nur aus Riesling. Das ist halt hier im Rheingau mit Abstand die dominierende Rebsorte und mit Ausnahme vom Ort weiter, in Rüdesheim-Assmannshausen, wo Spätburgunder dominiert, einfach die dominierende Sorte. Also, insgesamt die ganze Anlage ist etwas mehr als ein Hektar. Aber die Versuche werden ja nur auf einem kleinen Teil davon gemacht.

    Der Rhein bei Stromkilometer 530. Dort, wo die Nahe in den Fluss mündet. In Bingen. Mitten im Strom steht der Mäuseturm mit kantigen Zinnen, früher ein Zollposten. Gegenüber, am anderen Flussufer, die Ruine Ehrenfels. Zu Füßen des alten Burggemäuers haben die Weinbau-Experten der Forschungsanstalt Geisenheim ihr Freiland-Labor. Am Rüdesheimer Schlossberg erproben Hans Reiner Schultz und sein wissenschaftlicher Mitarbeiter Bernd Gruber die künstliche Bewässerung in einer Rebanlage.

    Hans Reiner Schultz:

    Is' halt 'ne extreme Steillage. Ungefähr 75% Steigung. Und das ist eigentlich so der repräsentative Standort für die Standorte, die vielleicht in Zukunft mehr Probleme bekommen durch Trockenheit oder höhere Temperatur. Und man hört's auch im Hintergrund: Das ist direkt am Rhein.

    Bernd Gruber:

    Ja, durch die Nähe zum Rhein haben wir hier eben auch die Möglichkeit, eine provisorische Bewässerungsanlage zu installieren, das heißt wir haben hier im Augenblick nur eine Tauchpumpe im Rhein versenkt, die jedes Jahr neu reingelegt werden muss, um das Wasser hoch zu pumpen.

    Man darf sich kein Dusch-Gestänge im Weinberg vorstellen, keine Über-Kronen-Beregnung, wie es fachmännisch heißt. Am Boden jeder Rebzeile verläuft einfach nur ein dünner schwarzer Schlauch. Und an jedem Rebstock lässt er das Rheinwasser wohldosiert ab. "Einzeltropfer" nennt Bernd Gruber die kleinen pipettenförmigen Wasserhähne.

    Durch diese Tropfer gibt es nur eine kleine feuchte Auftropfstelle auf dem Boden. Und das Wasser kann also sehr langsam einsickern. Das kann auch nicht oberflächlich abfließen, was hier in der Steillage auch noch ein Problem sein könnte. Da kommt - ich hab' jetzt keine genaue Tropf-Frequenz im Kopf, aber ich sag' mal - jede Sekunde ein Tropfen. Und das läppert sich dann eben über die Stunden auch zusammen. Und wir haben eben dann keine Verluste und wissen genau, wo das Wasser ankommt und wie viel ankommt.

    Schon seit mehreren Jahren tüftelt Gruber nun schon daran, die Tröpfchenbewässerung weiter zu optimieren. Der Önologe scheut keine Mühen: Selbst zu nachtschlafender Zeit rückt Gruber in den Weinberg aus. Und hangelt sich mit Geräten, die den Wasserstatus in Wurzeln und Geäst der Reben messen, durch den Steilhang:

    Das Wichtigste ist das so genannte frühmorgendliche Wasserpotential. Nach dem wird die Bewässerungsanlage zurzeit auch noch gesteuert. Da wird vor Sonnenaufgang an diesen Blättern gemessen, wie erholt sie sind. Man kann also direkt abfragen, wie sich der Rebstock fühlt sozusagen. Und je nach Ergebnis dieser Messungen entscheiden wir dann kurzfristig, ob bewässert wird und wie stark bewässert wird.

    Es ist nicht so wie in anderen Weinbauländern, wo während der Reben-Reifung ständig Trockenheit herrscht. In Kalifornien, Chile oder Australien etwa. Dort läuft die Bewässerung in einem Standard-Modus den ganzen Sommer durch, und Winzer können kaum etwas falsch machen. In Deutschland ist das Wetter wechselhaft. Die Rebstöcke bekommen immer wieder Regen ab. Selbst der Sommer 2003 war nicht durchgängig trocken. Winzer brauchen für die Bewässerung deshalb ein feines Händchen - zumal in den Steillagen, wo es ohnehin nicht leicht ist abzuschätzen, wie groß der Wasservorrat im flachgründigen Boden jeweils ist. Zu viel Wasser schadet den Trauben genauso wie zu wenig Wasser.

    Und deswegen eben auch das Ziel hier, eine sehr sensible Steuerung zu entwickeln, um wirklich auf diesem schmalen Grad entlang balancieren zu können, um sowohl Über- als auch Unterversorgung ausschließen zu können.

    Deswegen auch die ständigen Messungen des Wasser-Potentials der Pflanzen. Die Geisenheimer Forscher schneiden den Reben immer wieder einzelne Blätter ab und quetschen sie förmlich aus - bis das Wasser aus den Leitungsbahnen im Blatt-Stiel tritt. Das geschieht in einer Druckkammer von der Größe einer Konservendose. Sie thront auf einem Messtisch, der sich wahlweise im Weinberg oder im Labor aufstellen lässt.

    Hans Reiner Schultz:

    Und die Messung geht sehr, sehr schnell. Das ist eigentlich quasi nur das Entspannen dieses Druckzylinders, dass er wieder auf Null geht, und dann können Sie die nächste Messung machen.

    Eine Bewässerungsanlage könnte sich schon heute jeder Winzer in den Weinberg legen, wenn er denn wollte. Es gibt sie längst auf dem Markt. Doch ihre Steuerung sei eine Kunst, mahnt Hans Reiner Schultz. Es genüge nicht, auf das richtige Händchen zu vertrauen. Winzer bräuchten exakte und objektive Informationen über den Status der Wasserversorgung von Reben und Böden. Noch sind die Messgeräte, die die Geisenheimer benutzen, ziemlich teuer und nicht ganz einfach zu handhaben. Doch das soll sich ändern. Schon bald könnte es ein System geben, mit dem auch der Normalwinzer problemlos umgehen kann. Die Zeit dafür sei reif, sagt Schultz, auch wenn er nicht glaubt, ...

    ... dass wir jetzt in ganz Deutschland jeden Hektar bewässern müssten.

    Aber:

    Was sich halt eben als problematisch erweist, das sind diese Trockenstandorte, die unsere Vorzeigestandorte sind, die qualitativ immer die höchsten Bewertungen hatten. Das kann aber sich genau ins Gegenteil umdrehen in der Zukunft. Oder Sie brauchen eigentlich nicht nur die Steillagen anzuschauen. Zum Beispiel Sandböden mit wenig Wasserhaltefähigkeit. Das können durchaus Flachlagen sein. In der Pfalz, um Bad Dürkheim herum, da gibt's heute schon Probleme. Da sind diese Frequenzen für trockene Jahre und eben auch Trockenschäden - die werden deutlich höher. Und da müsste man eigentlich schon reagieren.

    Der Oktober ist ein klassischer Monat der Weinlese in Deutschland. Jedenfalls war er es bisher. Auch darin äußert sich die Klimaerwärmung: Die Phänologie der Reben verändert sich, ihre Entwicklung im Jahresverlauf rückt immer mehr nach vorne. Johannes Lüers hat das an der Mosel für die letzten 40 Jahre genau protokolliert:

    Es zeigt sich, dass gerade der Austrieb der Weinpflanze und die Blüte der Weinpflanze sich bis zu anderthalb Wochen nach vorne verlagert haben, zweieinhalb Wochen unter Umständen. Das ist also sehr gravierend.

    Auch die Reife der Reben beschleunigt sich. Geerntet wird eine Sorte wie Riesling immer häufiger schon Anfang September. In der extrem heißen Saison 2003 ging die Lese stellenweise sogar schon im August los. Lüers sieht die verfrühte Blüte und Reifung zunächst einmal positiv:

    Denn nachdem die Blütephase beendet ist und die Trauben anfangen zu wachsen, gibt es bei jeder Weinsorte eine Stillstandsphase, wo die Umstellung von der Säurebildung in den Säureabbau stattfindet. Und das sind beim Riesling zum Beispiel 20 Tage. Und die werden jetzt schon in den Juli vorverlegt. Und dadurch kommt diese Zuckerphase, wo ich dann wieder sehr viel Temperaturen und auch Sonnenschein brauche, in den August. Und wenn der August dann warm und sonnenreich wird, bekomme ich hundertprozentig einen guten Wein.
    An für sich gibt es keinen Grund, dem Bayreuther Önologen zu widersprechen. Mehr Sonne und Wärme erhöht nun mal den so wichtigen Oechsle-Grad der Trauben. Doch die produzieren nicht nur Zucker während der Reifung, sondern auch ihre typischen Aromastoffe. Es könnte sein, dass den Trauben im Zuge des Klimawandels dazu nicht mehr genügend Zeit bleibt. Sie sind dann zwar Zucker-reich, aber Bouquet-arm, wie es Hans Reiner Schultz vorkommt. Der Sommer 2003 war hier ein erstes Warnsignal.

    Also, wenn Sie zum Beispiel mal einen Mosel-Riesling nehmen, der hat 'nen relativ typischen Charakter. Und wenn Sie den Jahrgang wie 2003 nehmen, und probieren mal diese Rieslinge in einer Blindverkostung, dann sind mittlerweile die wenigsten in der Lage, das dann noch dem Gebiet zuzuordnen. Also, dieser Charakter eines gewissen Gebietes geht dann teilweise verloren.

    Sommer wie 2003 werden nicht zur Regel werden. Doch sie könnten sich häufen, wenn die Klimaerwärmung weiter ungezügelt fortschreitet. In diese Richtung deuten die Ergebnisse verschiedener Computer-Simulationen für die Zukunft ...

    Wenn wir jetzt die Sorte Riesling nehmen, dann haben wir im langjährigen Durchschnitt den Beginn der Reifephase, wo halt vor allen Dingen Aromastoffe eingelagert werden, ungefähr Anfang September. Wenn man sich vorstellt, dass die Verfrühung, die wir derzeit schon haben, ungefähr zehn, zwölf Tage - in dem Bereich liegt. Und dann noch mal bis 2050 das Gleiche dazu kommt, dann liegen wir Anfang August. Und im August sind ja deutlich wärmere Temperaturen. Und die stoffliche Veränderung vor allem in der Aromatik, die wird dann bei manchen Sorten schon dramatisch sein.

    Aroma-Fehler im Weißwein bereiten den Winzern allerdings nicht erst seit dem Jahrgang 2003 Kopfzerbrechen.

    Wir haben ein großes Problem im deutschen Weinbau, bei weißen Sorten. Das nennen wir den untypischen Alterungston. Den kann man auch an einem Stoff festmachen. Das ist 2-Acetoaminophenon. Das kommt aus dem Aminosäure-Stoffwechsel. Und das stellen wir vermehrt über die letzten 15 Jahre fest, dass sehr hohe Konzentrationen im Wein vorkommen. Es hat irgendwo offensichtlich was mit Erwärmung, veränderten Anbaubedingungen, zu tun. Also, das ist ein aktueller Forschunkschwerpunkt an der Forschungsanstalt. Selbst nach 15 Jahren können wir zwar, sag' ich mal, den Stoff festmachen. Aber den exakten Mechanismus, den wissen wir immer noch nicht.

    Weintester schüttelt es jedenfalls, wenn der Fehlton Nase und Gaumen belegt. Er wird als bohnerwachsartig beschrieben. Betroffene Weißweine besitzen einen Stich Mottenkugel, heißt es auch schon mal. Genießen kann man sie nicht mehr. Mit der unliebsamen Fehlnote hat sich die Lebensmittelchemikerin Katrin Hönicke von der Universität Hamburg intensiv befasst:

    Es hängt ab vom Jahrgang, von der Witterung des Jahrgangs. Kommt also insbesondere in trockenen Jahren vor. Also, besonders anfällig ist die Rebsorte Kerner, Müller-Thurgau, Riesling. Also schon diese etwas leichteren Sorten, diese leichten Weine.

    Die untypische Alterungsnote ist inzwischen so geläufig, dass sich eine Abkürzung für sie eingebürgert hat. Winzer sprechen nur noch von einer UTA.

    In diesen Jahren mit hoher Sonneneinstrahlung, wenig Regen sieht es so aus, dass zwischen 20 und 30 Prozent der abgelehnten Weine bei der deutschen Wein-Zertifikation aufgrund einer UTA abgelehnt werden. Also, es sind schon Beträge, die in die Millionen-Höhe gehen.

    Das üble Aroma entsteht nicht im Weinberg, sondern im Weinkeller, wo der Winzer seinen Most vergärt und weiterverarbeitet. Es ist ein chemischer Prozess: Wein enthält Spuren des Pflanzenhormons Indol-Essigsäure. Nun schwefeln Kellermeister ihre Tropfen in der Regel, um Mikroorganismen am Wachstum zu hindern. Dabei wird aber auch die Indol-Essigsäure gespalten, und es bildet sich das Aceto-Amino-Phenon. Prompt hat der Winzer den Bohnerwachs-Stich in seinem Wein. So viel scheint heute klar zu sein. Doch noch fehlt ein wichtiges Teil im Aromastoff-Puzzle, erklärt Katrin Hönicke:

    Die Hauptursache ist eigentlich eine frühe Lese. Dadurch bekommt man Moste, die arm an Nährstoffen sind. Es scheint so, dass zwar in diesen Mosten auch wenig Indolessigsäure drin ist, aber die Hefe während der Fermentation so reagiert, dass sie selber Indolessigsäure produziert. Und diese Produktion von der Indolessigsäure ist halt in diesen nährstoffarmen Mosten größer.

    Also hat auch hier der Klimawandel wohl seine Hände im Spiel. Je zeitiger Blüte und Reife von Kerner- und Riesling-Reben einsetzen, je früher die Trauben gekeltert werden, desto höher ist offenbar das Risiko für die untypische Alterungsnote. Und damit für letztlich ungenießbare Weißweine in besonders heißen und niederschlagsarmen Sommern.

    Laboralltag in Bernkastel-Kues an der Mittelmosel. Im Institut für Pflanzenschutz im Weinbau der BBA, der Biologischen Bundesanstalt. Assistentin Dunja Kröhner sitzt hochkonzentriert vor dem Binokular. Ihr Blick durch die Stereo-Lupe fällt auf eine Petrischale. Darin liegen die 63 toten Zikaden, alle silber-grau schimmernd und nur wenige Millimeter groß. Mit im Labor auch Institutschef Michael Maixner.

    Dunja Kröhner:

    Das sind jetzt, ja - nach meinem Protokoll hier sind das 63 Zikaden. Sie sind tiefgefroren. Im Sommer haben wir sie gefangen. ln so 'nem Fangprotokoll festgehalten: an welchem Tag, an welchem Ort, in welcher Fläche, an welcher Pflanze wir sie gefangen haben. Diese, die ich jetzt gerade hier habe, die stammen aus Ungstein in der Pfalz.

    Michael Maixner:

    In der Pfalz, generell: Überall dort, wo Weinbergssteillagen sind, finden wir sehr viel mehr. Also hier an der Mosel, am Mittelrhein, an der Nahe, da haben wir die meisten.

    Dunja Köhner:

    Ihnen steht jetzt Fürchterliches bevor. Sie werden zerquetscht. Damit wir ihre Innereien 'rauskriegen, damit wir die kochen können und daraus die DNA isolieren können.

    Michael Maixner:

    Wir zermörsern die gesamte Zikade. Und die molekularbiologischen Nachweismethoden, die wir anwenden, sind so sensitiv, dass wir dann die Erreger, die in den Speicheldrüsen hauptsächlich sitzen, aus dem gesamten Zikaden-Brei herausdetektieren können.


    Dass die Rebschutz-Experten der BBA Insekten so genau unter die Lupe nehmen, hat ebenfalls mit der Klimaerwärmung zu tun. Sie bereitet neuen Schädlingen den Weg in deutsche Weinberge. Zum Beispiel Zikaden aus südlicheren Gefilden. Diese Insekten sind Pflanzensauger. Und manche von ihnen übertragen Krankheitserreger auf die Reben. Biologen wie Maixner sprechen von Phytoplasmen. Das sind bakterielle Zell-Parasiten. Sie führen zu schweren Vergilbungs-Krankheiten. Stark befallene Rebstöcke verkümmern und sterben am Ende sogar ab ...

    Wir stellen fest, dass einige Wärme liebende, krankheitsübertragende Zikaden in den 90er Jahren ihre Populationsdichten sehr stark erhöht haben. Und wir beobachten, wenn wir die Daten unserer Kollegen aus Frankreich und Italien analysieren, dass sich einige Erreger nach Norden hin ausbreiten.

    Eine schädliche Zikaden-Art hat sich bereits in hiesigen Weinbaugebieten festgesetzt. Die höchsten Ernteausfälle verursacht sie an Mosel, Rhein und Nahe. Winzer fürchten die Zikade als Überträgerin der Schwarzholz-Krankheit. Die hat ihren Namen daher, dass sie Blatt-Triebe absterben lässt, die sich schließlich schwarz verfärben. Als besonders empfindliche Rebsorte gilt wieder einmal der Riesling.

    Gestiegene Durchschnittstemperaturen locken aber nicht nur neue Schadinsekten in deutsche Weinberge ...

    Hier, die vertrockneten Trauben. Die sind blauschwarz verfärbt. Das waren früher gesunde Weintrauben.

    Bernhard Holz fischt Proben aus einer Sammeltüte. Auch er ist Mitarbeiter am Bernkasteler Institut. Es sind stark eingeschrumpfte Trauben, die der Biologe in Händen hält, übersät mit den Fruchtkörpern von Pilzen. Es ist das typische Schadbild der so genannten Schwarzfäule ...

    Die Krankheit hat sich wider Erwarten sehr stark ausgebreitet.

    Michael Maixner:

    Dieser Pilz führt zu Trauben-Mumien, das heißt er befällt die Trauben, diese trocknen ein. Und auf den eingetrockneten Trauben, die nicht abfallen, sondern über den Winter an der Rebe haften bleiben, bildet der Pilz seine Fruchtkörper und schleudert dann im nächsten Frühjahr seine Sporen wieder aus.

    Erst vor zwei Jahren wiesen die BBA-Biologen die Schwarzfäule erstmals an der Mosel nach. In diesem Sommer breitete sie sich plötzlich dramatisch aus. In einigen Rebanlagen vernichtete sie die Hälfte der Trauben. Auch am Mittelrhein und an der Nahe rückt der Fäulnis-Pilz weiter vor. In der Pfalz häufen sich derweil die Fälle von Essig- und von Grünfäule im Weinberg. Auch hinter diesen Reb-Krankheiten stecken Mikroorganismen. Einmal sind es Pilze, zum anderen wilde Hefen und Bakterien, die Essigsäure produzieren. Wandern befallene Trauben ins Lesegut, muss der Winzer später mit Gär-Störungen rechnen, unter Umständen auch mit Fehltönen im Wein.
    Michael Maixner sieht hier durchaus Parallelen zur Schwarzfäule:

    Das könnte auch etwas mit Klima zu tun haben. Essigfäule und Grünfäule sind Erreger, die relativ hohe Temperaturen benötigen. Also dann, wenn die Reben früh, noch bei hohen Temperaturen, schon beginnen zu reifen, kann es zu einem verstärkten Befall auch durch Essigfäule und Grünfäule kommen.

    Der Rebschutz-Experte ist sicher: Schwarzholz-Krankheit und Schwarzfäule sind erst der Anfang. Es gebe weitere Zikaden- und Pilzarten aus südlichen Anbaugebieten, die es in den Norden ziehe, weil das Klima auch dort immer milder wird.

    Wir müssen damit rechnen, dass sie früher oder später auch nach Deutschland einwandern oder eingeschleppt werden.

    Winzer, seid wachsam! kann man da nur sagen. Denn wie - und ob - die Neueinwanderer sich überhaupt wirksam bekämpfen lassen, ist offen. Gegen die plötzlich grassierende Schwarzfäule etwa gibt es in Deutschland noch gar kein zugelassenes Spritzmittel ...

    Der Klimawandel stellt Wissenschaft und Weinwirtschaft in Deutschland vor neue Herausforderungen. Obwohl die Rebstöcke mehr Sonne tanken, wird es vermutlich schwieriger, gute Weißweine mit konstanten Erträgen zu erzeugen. Manche Winzer werden nicht länger ohne Bewässerung auskommen, viele mehr Arbeit in die Schädlingsbekämpfung stecken müssen. Mit Ausfällen durch neue Krankheitserreger und durch wärmebegünstigte Aromafehler bleibt weiter zu rechnen; womöglich nehmen sie sogar zu. Der Hitzesommer 2003 sollte hier eine Warnung sein.

    Und auch dies ist mittelfristig denkbar: Dass es dem deutschen Weißwein in seinen angestammten Anbaugebieten zu heiß wird; dass ein Spitzen-Riesling in einigen Jahrzehnten vielleicht aus Brandenburg kommt, aber nicht mehr unbedingt aus einer Steillage im Rheingau. Nicht mehr von dort, wo Hans Reiner Schultz' Arbeitsgruppe heute noch ihr Riesling-Freilandlabor unterhält:

    Ich denke, es wird für den gesamten Weinbau ein Umdenken erforderlich sein.