Grundsätzlich müsse es beim Thema Rüstungsexporte eine "Änderung der politischen Linie geben", sagte Keul mit Blick auf die Genehmigungen von Waffenlieferungen. "Das muss man sich vorher überlegen, wenn man in eine kritische, instabile Region liefert, was dann hinterher passiert, wenn sich die politische Lage verändert." Deutsche Kriegswaffen hätten außerhalb der EU und der NATO "nichts zu suchen" und dürften "nur im Ausnahmefall genehmigt werden", so die Grünenpolitikerin. Im Moment sei dies der Fall, "weil NATO und EU nicht mehr genug selbst einkaufen".
Mit Blick auf Sanktionen gegen Russland sagte Keul: "Wenn wir über Sanktionen oder Embargos sprechen, ist das Erste, über das ich denke, ein Waffenembargo." Auch müsse man die Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft an Russland in vier Jahren überdenken, das müsse man "generell bei Sport-Großveranstaltungen" tun.
Das Interview in voller Länge:
Thielko Grieß: Die Europäische Kommission soll heute Vorschläge machen, wie weitere Sanktionen gegen Russland aussehen könnten. Im Gespräch sind Beschränkungen auch für die Rüstungsindustrie. Eine Einigung oder gar einen Beschluss gibt es noch nicht, und es ist auch unklar, ob es heute einen geben wird. Die SPD in Deutschland nimmt aber schon jetzt für sich in Anspruch, schon längst nicht mehr alle Rüstungsexporte zu genehmigen, ob nun nach Russland oder nicht. Kritik kommt aus der Opposition in Deutschland, namentlich von den Grünen. Mein Kollege Jürgen Zurheide hat gestern am späten Abend ein Interview dazu mit Katja Keul geführt, Rechtspolitikerin bei den Grünen, und dieses Interview hören Sie jetzt.
Jürgen Zurheide: Frau Keul, Sigmar Gabriel nimmt ja für sich in Anspruch, dass er das alles gebremst hat. Glauben Sie ihm das?
Katja Keul: Solange wir nichts Schwarz auf Weiß haben und die Transparenz nicht hergestellt ist, glaube ich erst mal noch nichts. Er macht Ankündigungen, aber wir wissen überhaupt nicht, wann der Bundessicherheitsrat getagt hat und was da genehmigt worden ist, und von daher entzieht sich das bislang noch unserer Beurteilung.
Zurheide: Mindestens die Exporte dieses Gefechtsfeldzentrums sind ja wohl gestoppt, oder haben Sie auch da noch Zweifel?
Keul: Nein, da habe ich keine Zweifel. Was heißt gestoppt? Das war einfach so, dass, als das Thema auf den Tisch kam, das Gefechtszentrum schon quasi vollständig aufgebaut ist. Da hatte Rheinmetall schlicht Glück, dass sie schnell genug waren. Man hat dann zwar gesagt, es wird jetzt nicht weiter geliefert, aber im Prinzip war das ja schon fertig, sodass das jetzt auch kein großer Verlust für die Firma war.
Zurheide: Auf der anderen Seite ist natürlich das Grundproblem. Deshalb anders herum gefragt: Würden Sie einmal gefallene Entscheidungen im Sicherheitsrat dann nachträglich auch wieder zurückholen? Glauben Sie, dass es da eine Veränderung der politischen Linie geben muss?
Keul: Da muss es einfach eine Änderung der Linie geben, und zwar nicht erst bei der Frage von Widerrufen, sondern auch schon bei der Frage der Genehmigungen. Natürlich ist es so, wenn bei Rüstungsgütern eine abschließende Genehmigung erteilt ist, die nachher widerrufen werden muss, dann steht natürlich auch die Frage von Schadensersatz im Raum. Da hat keiner Lust zu. Aber das muss man sich natürlich auch vorher überlegen, wenn man in eine kritische, instabile Region liefert, was dann hinterher passiert, wenn die politische Lage sich ändert.
"Eigentlich haben Kriegswaffen außerhalb von NATO und EU nichts zu suchen"
Zurheide: Auf der anderen Seite ist natürlich kritisch und instabil, wie Sie sagen, als Kriterium na ja. Was ist dann kritisch, instabil? Russland zum Beispiel prinzipiell Njet?
Keul: Grundsätzlich ist es so, dass Kriegswaffen außerhalb von NATO und EU eigentlich gar nichts zu suchen haben, sondern überhaupt nur im Ausnahmefall genehmigt werden dürfen, wenn ganz besondere sicherheitspolitische Interessen der Bundesrepublik das fordern. Das sehe ich erst mal nicht so, dass das bedeutet, dass wir automatisch immer an Russland liefern. Im Moment ist es so, dass die Kriegswaffen im Zweifel immer genehmigt werden, weil EU und NATO nicht mehr genug selbst einkaufen. Das ist aber nicht das, was in unseren Richtlinien drinsteht, sondern genau das Gegenteil.
Zurheide: Jetzt kommt natürlich das Argument der Rüstungsindustrie sofort, das kennen Sie: Da stehen so und so viele Arbeitsplätze auf dem Spiel, das ist wohl ein Prozent der wirtschaftlichen Leistung. Wenn die da klagen, was antworten Sie denen?
Keul: Das Argument mit den Arbeitsplätzen, das bringen die selbst schon mit etwas gebremstem Elan nach vorne, weil sie auch wissen, dass das nicht wirklich im Verhältnis zur gesamten Exportwirtschaft in der Bundesrepublik ein wesentlicher Faktor ist. Es sind, glaube ich, nicht ein Prozent; es sind 0,1 Prozent. Da geistert immer die Zahl von 80.000 Arbeitsplätzen, die daran hängen würden, durch. Keiner hat das jemals richtig erhoben. Das wäre doch vielleicht mal eine sinnvolle Aufgabe, das wirklich mal zu untersuchen, wer denn überhaupt wirklich daran hängt. Aber insgesamt gesehen auf die gesamte deutsche Exportwirtschaft bezogen, wäre das zu verkraften.
"Rüstungsindustrie muss auch umplanen"
Zurheide: Es gibt da unterschiedliche Zahlen. Die IG Metall hat ja kürzlich auch verlangt, wenn wir denn weniger exportieren dürfen - und Sie haben das Argument gebracht, in Europa wird weniger verkauft, weil wir alle die Friedensdividende da auch einstreichen -, dann brauchen wir Hilfen für den Umbau. Plädieren Sie für so etwas?
Keul: Das kann ich mir durchaus vorstellen. Natürlich muss die Rüstungsindustrie, wenn sie sinnvoll ihre Überkapazitäten in Europa abbauen will, auch umplanen, und da entsprechende Konversionsprojekte zu unterstützen, das kann ich mir durchaus vorstellen.
Sanktionen gegenüber Russland
Zurheide: Kommen wir noch mal auf Russland. Glauben Sie, dass man Putin denn damit treffen kann, wenn man jetzt in Russland zum Beispiel die Exporte oder künftige Exporte nicht mehr genehmigen würde? Ist das ein mögliches Szenario?
Keul: Wenn wir überhaupt über Sanktionen oder Embargos in irgendeiner Weise sprechen wollen, was Russland betrifft, dann ist doch das erste, woran ich denke, natürlich ein Waffenembargo. Bevor ich irgendwelche einzelne Leute auf Listen setze und da auch teilweise ja nur symbolische Wirkungen erziele, dann ist das doch das Naheliegendste zu sagen, wir haben hier eine sicherheitspolitische Auseinandersetzung, Russland hat das Völkerrecht verletzt, dass ich als erstes darüber nachdenke, ein Waffenembargo zu verhängen.
Zurheide: Viele sagen in diesen Tagen auch, die Fußball-Weltmeisterschaft 2018 könnte ein Druckmittel sein, um Putin diese Bühne zu nehmen. Plädieren Sie dafür oder dagegen?
Keul: Das muss man sich auf jeden Fall auch überlegen. Das muss man sich aber, glaube ich, generell bei diesen Sportgroßveranstaltungen mal durch den Kopf gehen lassen, ob das nun Katar ist oder Russland ist. So wie die Fifa das im Augenblick handhabt, kann das, glaube ich, nicht weitergehen.
Zurheide: Grüne würden nicht nach Moskau fahren?
Keul: Grüne würden derzeit nicht nach Moskau fahren, nein.
Grieß: ..., sagt die Rechtspolitikerin bei den Grünen, Katja Keul, hier im Gespräch mit meinem Kollegen Jürgen Zurheide.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.