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Waffenexporte in Krisengebiete sind "nicht zulässig"

Will die Bundesregierung tatsächlich Panzer an Saudi-Arabien liefern? Gernot Erler verlangt Aufklärung über entsprechende Medienberichte - der Bundestag habe ein Recht auf Auskunft.

Gernot Erler im Gespräch mit Anne Raith |
    Anne Raith: Auf der anderen Leitung mitgehört hat Gernot Erler, als stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion für Außenpolitik und Menschenrechte zuständig. Guten Morgen!

    Gernot Erler: Guten Morgen, Frau Raith.

    Raith: Herr Erler, hat Sie die Erklärung von Joachim Hörster überzeugt?

    Erler: Leider nicht, weil er sich konzentriert hat hier auf das Thema Israel, und Tatsache ist, dass dieser Beschluss im Grunde genommen eine Provokation ist im Kontext des arabischen Frühlings, aber auch eine Selbstbeschädigung, weil die Bundesregierung hierbei die eigenen Regeln verletzt. Wir haben seit dem Jahr 2000 – zufällig habe ich damals daran mitgewirkt – die politischen Richtlinien für den Rüstungsexport, und da steht nichts von Israel, sondern da steht, dass Waffenexporte, Kriegswaffenexporte in Krisengebiete nicht zulässig sind, genauso gut wie in Länder mit Menschenrechtsverletzungen zu Hause. Und beides trifft nun ja in extremer Weise auf Saudi-Arabien zu. Wir haben hier ein Krisengebiet, gerade der Konflikt mit dem Iran, aber auch die gespannte Lage im ganzen Nahen Osten hält an, ist ja durch den arabischen Frühling vielleicht sogar noch verschärft worden. Wir haben diesen brutalen Übergriff von Saudi-Arabien gehabt auf Bahrain, wo mit tausend Soldaten und schweren Waffen, auch Panzern, das Regime in Bahrain vor dem Volksprotest geschützt wurde. Und wir haben in Saudi-Arabien auch eine höchst problematische innere Lage. Saudi-Arabien unterstützt in anderen Ländern die Salafisten-Bewegung, übrigens auch in Deutschland, und hat große Probleme mit Menschenrechten, mit hundert Todesurteilen und mehr im Jahr und so weiter.

    Raith: Nun gab es, Herr Erler, auch in rot-grünen Regierungszeiten umstrittene Rüstungsexporte, an die Türkei etwa, unterstützt von der SPD. Wo ist da der Unterschied?

    Erler: Ja. Ich meine, ich würde überhaupt nicht behaupten, dass das immer gut gelaufen ist, auch nicht unter der rot-grünen Zeit. Richtlinien sind immer die eine Sache und die andere Sache ist deren Umsetzung, und ich würde nicht behaupten, dass das immer alles korrekt gelaufen ist in der Vergangenheit. Aber hier fragt man sich doch, was soll denn die Wahl des Zeitpunktes? Herr Westerwelle ist vor Kurzem noch auf dem Tahrir-Platz in Kairo gewesen, hat sich feiern lassen als Unterstützer der arabischen Bewegung, der arabischen Erhebung, und jetzt kommt so ein Zeichen. Wie soll das dann eigentlich draußen auf der Welt verstanden werden?

    Raith: Was glauben Sie denn, was steckt hinter diesem möglichen Sinneswandel?

    Erler: Ja, ganz offensichtlich gibt es hierzu nur Spekulationen. Ich finde, es ist jetzt an der Bundesregierung, das zu erklären. Natürlich ist es richtig, der Bundessicherheitsrat tagt geheim und hat dann erst Rechenschaft zu legen in den jährlichen Rüstungsexportberichten. Aber hier haben wir eine aktuelle politische Situation mit einer starken Selbstbeschädigung der deutschen Politik; da ist es das Recht des Parlamentes, Auskunft zu verlangen von der Bundesregierung, was soll das heißen, und wir haben ja in dieser Woche auf Antrag der Grünen und der Linken auch eine aktuelle Stunde zu diesem Thema.

    Raith: Das heißt, im Moment lesen Sie das Schweigen oder den Verheiß auf Geheimhaltung auch so, dass es tatsächlich so ist, dass Deutschland Lieferungen plant?

    Erler: Ja ich fürchte, dass es sogar schon Weiteres gibt. Es gibt ja nicht dementierte Gerüchte, dass schon 44 Kampfpanzer Leopard II von diesem Typ II A7+ geliefert worden sind. Das ist bisher nicht dementiert worden, genauso wenig wie die Meldung über diesen Vertrag über 200 Panzer nicht dementiert worden ist. Nach meiner Erfahrung, wenn das nicht sofort dementiert ist, dann ist da was dran.

    Raith: Warum sind Rüstungsgeschäfte wie diese so intransparent schon gewesen zu rot-grünen Zeiten und sind es ja immer noch? Warum müssen wir danach erfahren, was geschehen ist? Was sagt das über unsere Demokratie?

    Erler: So etwas hat damit zu tun, dass es natürlich immer internationales Ringen um solche Aufträge gibt, dass es sicherlich auch schützenswerte Informationen über Geschäftsdaten hier gibt in solchen Rüstungsexport-Deals, und dass wir deswegen in Deutschland uns auf ein System verständigt haben, wir haben politische Richtlinien, von denen das Parlament ausgeht, dass die eingehalten werden. Das sind strengere als in anderen europäischen Staaten, und die gelten ...

    Raith: Aber genau die hinterfragen Sie ja gerade!

    Erler: Die hinterfrage ich durchaus in diesem Fall, aber nicht im Prinzip. Die sind meines Erachtens immer noch richtig, diese Rüstungsexport-Richtlinien. – Und wir haben dann eine nachträgliche Kontrolle des Bundestages. Aber wenn natürlich in eklatanter Weise die Richtlinien hier beschädigt werden und nicht eingehalten werden, dann wirft das auch die Frage auf, ob wir nicht ein anderes System brauchen, wo frühzeitiger die Abgeordneten die Möglichkeit haben einzugreifen, und wir sind gerade bei der SPD dabei, darüber nachzudenken, ob wir dieses System nicht ändern müssen.

    Raith: Gernot Erler, als stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion zuständig für Außenpolitik und Menschenrechte, im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Haben Sie besten Dank und auf Wiederhören!

    Erler: Auf Wiederhören.

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