Sandra Schulz: Frage: Was haben Kanada, Dänemark, Kroatien, Frankreich und Deutschland gemeinsam? Antwort: Alle Länder wollen die Kurden im Norden des Iraks aufrüsten, um ihnen im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat den Rücken zu stärken. Vor einer Woche hatte die Bundesregierung angekündigt, Waffen liefern zu wollen und zu prüfen, was genau geliefert werden kann. Heute hat sich das Kabinett noch einmal damit beschäftigt; eine Entscheidung wird für diese Woche erwartet.
Mitgehört hat Franziska Brantner, für die Grünen stellvertretendes Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Guten Tag!
Franziska Brantner: Guten Tag, Frau Schulz.
Schulz: Es gibt aus Ihrer Partei, von den Grünen, ja ganz unterschiedliche Stimmen. Was sagen Sie? Ist es richtig, die Kurden im Norden des Iraks mit Waffen aufzurüsten?
Brantner: Ich finde, dass wir unterschiedliche Positionen haben, spiegelt wieder, wie schwierig die Situation ist und dass es keine einfachen Antworten gibt. Wir kennen eben nicht alle Konsequenzen, wir wissen nicht, wird die Peschmerga in Zukunft mit der PKK zusammenarbeiten oder gegeneinander. Das sind Fragen, die wir heute nicht beantworten können. Und trotzdem wissen wir, dass nichts tun die Situation vor Ort nicht verbessern wird, und ich glaube, dass wir deswegen wirklich da vor einer schwierigen Situation stehen. Es gibt keine einfachen Antworten.
Ich warte bis jetzt noch darauf, dass ich von der Bundesregierung wirklich genau höre, welche Waffen sollen geliefert werden, an wen und vor allen Dingen wie. Für mich sind das ganz wichtige Fragen, die ich erst beantwortet haben möchte, bevor ich endgültig sage, ob ich dafür bin oder dagegen. Ich finde, nichts tun ist keine Option. Wir haben gesehen, dass das nicht Einmischen in Syrien aus Angst vor Radikalisierung und Regionalisierung genau zu dieser Radikalisierung geführt hat. Von daher: Das ist keine Option. Ich bin mal gespannt, was die Bundesregierung jetzt wirklich uns vorlegen wird.
Bundesregierung hat kein Konzept
Schulz: Aber soweit können wir ja darüber sprechen: Die Grundsatzentscheidung, Waffen in den Irak zu liefern, wenn ich Sie richtig verstehe, die halten Sie dann für richtig?
Brantner: Ich bin nicht generell gegen Waffenlieferungen, wenn Sie das so von mir hören wollen. Aber ich finde, dass die konkreteren Fragen ja wirklich die entscheidenden auch sind, weil die Befürchtung, dass es in falsche Hände gerät, ist ja wirklich eine berechtigte. Wir haben leider keine Waffen mit Halbwertszeit, die sich irgendwann selbst zerstören. Das wäre die einfachste Option. Dann könnte man sicherstellen, dass sie wahrscheinlich nicht weitergegeben werden.
Und da kommt es stark darauf an, was wirklich geliefert wird und an wen, mit welchen Überprüfungsmöglichkeiten. Da gibt es ja heute Chip-Techniken, da gibt es unterschiedlichste Sachen. Das, finde ich, sind auch die Fragen, die uns die Bundesregierung wirklich erst beantworten muss. Deswegen haben wir ja auch die Debatte beantragt, um da mehr zu bekommen als einfach nur den Satz, wir liefern Waffen. Und was für mich, sage ich mal, generell fehlt, ist das Gesamtkonzept der Bundesregierung. Ich bin mir noch nicht sicher darüber, was eigentlich das Ziel der Bundesregierung ist: Wollen sie nur die ISIS im Irak zurückdrängen, bekämpfen, in Syrien auch, in der Region an sich? Wie soll das langfristig abgesichert werden? Es gibt unterschiedliche Stimmen zu der Frage, gibt es einen Kurden-Staat oder nicht. Ich finde, dass man das eigentlich überhaupt nicht unabhängig davon diskutieren kann.
Wir brauchen eine Konferenz
Schulz: Frau Brantner, dass es ganz viele offene Fragen gibt, darauf können sich alle wahrscheinlich am allerschnellsten einigen. Aber weil wir ja heute Mittag miteinander im Gespräch sind, möchte ich schon gerne von Ihnen wissen: Wenn alle die Risiken kennen, die es nun mal mit sich bringt, wenn man Waffen in den Irak liefert, dass man nicht weiß, was hinterher damit passiert, ob die in falsche Hände kommen, muss dann nicht möglicherweise die Bundeswehr die Sicherheit der Bürger verteidigen am Sindschar-Gebirge?
Brantner: Sie meinen jetzt die Frage, ob sozusagen deutsche Soldaten vor Ort sein sollen. Ich sehe das momentan nicht als eine bessere Option an. Die Diskussion läuft. Ich finde, man muss das auch prüfen. Das ist momentan für mich jetzt nicht die bessere Option. Aber auch dort wie gesagt: Ich finde, das hängt einfach stark davon ab, was das Gesamtkonzept dieser Bundesregierung ist. Ich höre immer unterschiedliche Antworten, sei es von Frau von der Leyen, Herrn Steinmeier, Herrn Müller, und ich finde, man kann überhaupt nicht verantwortlich das eine oder das andere beantworten, ohne das zu hören.
Schulz: Frau Brantner, was ist denn Ihr Konzept?
Brantner: Ich denke, wir bräuchten zum Beispiel endlich jetzt eine Konferenz, die Syrien und Irak zusammen anschaut. Wir haben immer noch keine Nachfolge zum Beispiel von Brahimi, wir haben keinen Druck auf Assad, endlich mal eine nationale Übergangsregierung zu haben, wir werden im Irak nicht ISIS bekämpfen können und lassen Syrien weiterlaufen. Russland blockiert weiter in Syrien eine politische Lösung. Das ist das Rückzugsgebiet der ISIS. Da läuft momentan nichts. Welche Partner sind es, mit denen wir arbeiten können dort vor Ort? Dazu möchte ich gerne Antworten hören. Ich glaube, wir brauchen dann auch ...
Schulz: Aber lässt sich das denn auf einer Konferenz klären, Frau Brantner?
Brantner: Es wäre ein erster Schritt, zumindest mal, dass wir wieder die internationale Gemeinschaft zusammenrufen, von den Russen, die damit zusammenhängen, von den Iranern, von Katar, und sagen, wir haben hier nicht ein nationalstaatliches Problem à la Irak, sondern wir haben eine Terrororganisation, die sich um Grenzen nicht schert, und wir müssen dafür jetzt ein Konzept finden, in dem dann auch Waffenlieferungen ein Teil sein können.
Aber ich glaube, dass es kurzfristig ist, wenn man sagt, man versucht, das jetzt in einem Staat vielleicht in den Griff zu bekommen, und da fehlen mir die Initiativen. Ich glaube schon, dass man vielleicht nicht alles damit lösen kann, aber zumindest mal sich überlegt zum Beispiel, ist Assad jetzt unser Partner oder nicht. Meiner Meinung nach ist er es nicht. Er hat die ISIS-Kämpfer freigelassen, er hat ISIS den freien Lauf gelassen, dass die heute noch gegen die SFA kämpfen in Aleppo, und gleichzeitig sagt er uns, ich kämpfe mit euch gegen die. Wie stehen wir denn dazu? Was ist der Druck auf Assad? Was ist der Druck im Irak?
Syrien braucht eine Übergangsregierung
Schulz: Das, Frau Brantner, würde ich Sie gerne fragen, und auch die Frage: Wenn Sie ankündigen oder fordern, es möge eine Konferenz dazu geben, dann müssen Sie ja auch Ideen für Lösungen haben. Wie konkret sehen die aus? Wie kann denn den Menschen geholfen werden in Syrien im Kampf gegen den Terrorstaat Islamischer Staat?
Brantner: Meiner Meinung nach bräuchte man eine Übergangsregierung, eine nationale Übergangsregierung, die zum Beispiel die moderaten Oppositionellen mit einbezieht, damit man dort einen neuen Staat machen kann, damit nicht mehr an allen Fronten gekämpft wird. Man braucht dort auch einen Aufbau in den Regionen, die, sage ich mal, von moderaten Oppositionellen noch kontrolliert werden. Die brauchen auch dort unsere Unterstützung. Wir brauchen eine langfristige Perspektive, wenn es zum Beispiel jetzt um die Flüchtlinge geht, dass die auch Bildung bekommen, Schulen bekommen. Und dann brauchen wir in so einem Konzept bestimmt auch eine militärische Bekämpfung der ISIS.
Schulz: Aber all das ist doch schon lange klar. Was macht Sie denn so zuversichtlich, dass das ausgerechnet jetzt klappen kann? Wer oder was soll denn so einen Prozess jetzt initiieren?
Brantner: Das könnte ja zum Beispiel Herr Steinmeier machen, noch mal mit den europäischen Kollegen das bei den Vereinten Nationen initiieren. Er könnte mit seinem russischen Kollegen darüber sprechen, mit dem katarischen Kollegen. Das könnte die Bundesregierung lostreten. Ich glaube, dass der Druck mittlerweile sehr groß ist, größer als vielleicht vor zwei Jahren, als es in Syrien anfing. Ich hoffe, dass irgendwann die internationale Gemeinschaft merkt, dass sie da ein gemeinsames Interesse hat.
Schulz: Aber in Syrien gilt dann anders als im Irak Reden und nicht Handeln. Richtig?
Brantner: Nein! Ich denke auch, dass man das gemeinsam sehen muss und dass man dort auch handeln muss. Das gehört aber zusammen. Reden ist für mich auch Handeln. Ich glaube nur, dass man isoliert nur auf den Irak nicht viel weiterkommen wird und nur kurzfristig vielleicht ein paar Gebiete von ISIS zurückerobern kann, aber eigentlich damit nicht das Problem in der Region lösen kann.
Schulz: Franziska Brantner, für die Grünen stellvertretendes Mitglied im Auswärtigen Ausschuss und heute hier bei uns in den „Informationen am Mittag". Haben Sie herzlichen Dank!
Brantner: Ich danke Ihnen!
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