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Waffenlieferungen
"Gut, dass wir in diese Richtung diskutieren"

Das deutsche Dogma, keine Waffen in Krisengebiete zu liefern, erweise sich als weltfremd, sagte Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz, im DLF. Deshalb sei es jetzt sinnvoll, eine Diskussion darüber zu führen. Wichtig sei aber auch, dass eine aktivere deutsche Rolle in eine gemeinsame EU-Außenpolitik eingebettet werde.

Wolfgang Ischinger im Gespräch mit Bettina Klein |
    Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Münchener Sicherheitskonferenz
    Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Münchener Sicherheitskonferenz (dpa / picture-alliance / Andreas Gebert)
    Angesichts der Bedrohung von Menschen drängte Ischinger, möglichst schnell eine Haltung zu Waffenlieferungen zu finden. Da viele Tausende Menschen vom Tod bedroht seien, könne man sich keine viermonatige parlamentarische Debatte leisten.
    Im Zentrum einer aktiveren deutschen Außen- und Sicherheitspolitik müsse auch die Frage stehen, ob europäische Interessen von der Lage im jeweiligen Land oder Region betroffen seien. Im Fall der Vorgänge im Irak könne diese Frage eindeutig bejaht werden. Waffenlieferungen an die Kurden seinen eine sinnvolle Maßnahme, um die Bevölkerung zu schützen.

    Das Interview in voller Länge:
    Klein: Beginnen wir mit diesem Krisenschauplatz und der Debatte im Augenblick in Deutschland, die Sie sicherlich auch verfolgt haben. Es gibt noch keine richtige Entscheidung darüber, ob sich Deutschland in irgendeiner Form militärisch engagieren sollte. Wäre das notwendig Ihrer Meinung nach?
    Ischinger: Ich denke, das klassische deutsche Dogma, das ja auch aus der Zeit des Kalten Krieges stand, keine Waffen in Krisengebiete zu liefern, erweist sich in dieser Lage als relativ weltfremd. Wenn jemals die Lieferung von Waffen in diese Region politisch und moralisch Sinn gemacht haben könnte, dann doch genau jetzt. Und deswegen glaube ich, es ist eine richtige Diskussion, die geführt wird. Ich hoffe, es bleibt nicht bei einer Diskussion, ich hoffe, es kommt zu Entscheidungen. Ich würde mir allerdings auch wünschen, dass die Bundesregierung – ich glaube, sie versucht das ja auch – solche Entscheidungen immer einbettet in den Versuch, eine möglichst klare und nach außen auch als solche erkennbare gemeinsame europäische Außenpolitik einzubetten. Denn was wir nicht brauchen können im 21. Jahrhundert, sind nationalstaatliche Außenpolitiken, wo die Briten das eine, die Franzosen das andere und die Deutschen ein Drittes versuchen.
    Klein: Herr Ischinger, Sie kennen die Argumente der Gegenseite, unter anderem: Es sind genug Waffen in der Region und auch europäische Staaten haben dafür gesorgt, dass im Grunde genommen Waffen jetzt auch in die Hände dieser Gruppierung Islamischer Staat geraten konnten.
    Ein weiterer Hinweis ist der auf unsere eigene Geschichte und es ist ja auch im Regierungslager selbst, in den Parteien, die daran beteiligt sind, im Moment noch keine Einigkeit festzustellen. Wir hören mal den Vorsitzenden vom Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages, den CDU-Politiker Norbert Röttgen, der sich gestern Aben noch einmal in diese Richtung geäußert hat:
    Norbert Röttgen: "Wenn wir Waffen liefern, dadurch mittelbar Kriegspartei werden ohne Kontrolle über Verwendung und Verbleib moderner Waffen, Ausbilder einsetzen, dann ist das eine grundsätzliche Abwendung bisheriger traditioneller Politik. Die muss diskutiert werden, es müssen die Ziele militärisch diskutiert werden, was wollen wir eigentlich erreichen und was ist das Konzept?"
    "Hier muss rasch entschieden werden"
    Klein: Große Skepsis also bei Herrn Röttgen, obwohl er auch sagt, wir müssen diskutieren. Sie würden ihn überzeugen wollen, nicht mehr lange zu diskutieren, sondern zu entscheiden?
    Ischinger: Ich denke, die Argumente, die Herr Röttgen hier vorträgt, sind alle richtig. Allerdings ist es in der Außenpolitik, in einer Krisenlage wie der, in der wir zurzeit sind, eben so, dass wir uns die Zeitspannen, die man braucht, um sinnvolle Entscheidungen zu treffen, um möglicherweise vielen Tausend Menschen den Tod zu ersparen, diese Zeitspannen können wir uns nicht selber aussuchen. Und wir haben in dieser Lage nicht den Luxus einer viermonatigen allgemeinen parlamentarischen Debatte.
    Ich denke, hier muss rasch entschieden werden, und – ich wiederhole noch einmal – hoffentlich gemeinsam mit den Partnern, die dazu fähig und bereit sind. Und die gibt es ja.
    Ischinger: Deutsche Interessen sind im Irak massiv betroffen
    Klein: Die Kritiker der einen Seite – dazu gehören vor allen Dingen Politiker der Linkspartei – lehnen eine Veränderung der deutschen Außenpolitik in Richtung mehr Waffenlieferung, zum Beispiel auch in diese Krisengebiete, komplett ab. Es gibt aber auch Kritiker der anderen Seite, die sagen, nachdem wir nun im Februar auf Ihrer Konferenz gehört haben die Worte, Deutschland muss sich da möglicherweise stärker engagieren, erkennen wir nun in einer Situation, wo offenbar so etwas wie ein möglicher Ernstfall eintritt, dass die Bundesregierung eigentlich ohne Konzept dasteht. Ist das auch Ihr Eindruck?
    Ischinger: Ach, nein, so ist es nicht. Ich denke, wir dürfen allerdings nicht den Fehler wiederholen, diese Frage nach einer aktiveren, verantwortungsbewussten deutschen Außen- und Sicherheitspolitik immer nur auf die Frage von Militäreinsätzen und Waffenlieferungen zu fokussieren.
    Zunächst einmal geht es doch um die Frage: Sind deutsche Interessen, sind europäische Interessen jetzt etwa im Irak betroffen? Meine Antwort lautet: Jawohl, sie sind massiv betroffen. Die Erwartungen nicht nur unserer Partner, die Erwartungen in der Region, die Erwartung unserer amerikanischen Partner, die Erwartungen der Welt gehen dahin, dass Deutschland als das größte Land seiner Mitverantwortung gerecht wird, um eine halbe Milliarde Europäer sicherheitspolitisch so zu betreuen, dass Gefahren, die jetzt schon am Horizont sichtbar sind aus der nah- und mittelöstlichen Region, zu bannen.
    Das ist die Aufgabe der Sicherheitspolitik. Ich denke, die Bundesregierung versucht, sich dieser Aufgabe in der Debatte, die seit Februar nun ... ich möchte nicht sagen tobt, aber sich doch entwickelt hat, ich finde das erfreulich, dass sie sich entwickelt hat, ich finde es gut, dass wir in diese Richtung diskutieren. Und die Antwort kann in der Tat nicht jedes Mal lauten, die Bundesrepublik Deutschland liefert Waffen oder die Bundesrepublik Deutschland setzt eigene Soldaten ein, darum geht es ja nicht. Sondern es geht um die Frage: Werden wir aktiv? Ich finde es sehr gut, dass Außenminister Steinmeier sich initiativ um eine politische Krisenbeilegung in der Ukraine-Frage bemüht, das findet zurzeit angesichts des Interims, der Übergangsphase eben nicht in Brüssel, sondern in Berlin statt. Das ist das, was unsere Partner von uns erwarten, und diesen Erwartungen müssen wir gerecht werden.
    Klein: Herr Ischinger, bevor wir kurz auf die Ukraine auch noch schauen, würde ich gerne noch mal kurz beim Irak bleiben! Wie viel Verantwortung trifft an der Stelle auch die Vereinigten Staaten und trifft den Präsidenten, der sich ja einer Bewaffnung syrischer Rebellen widersetzt hat und dann später auch das Überschreiten selbst ausgegebener roter Linien hingenommen hat?
    Auch das seien, so sagen Beobachter, Faktoren, die den Islamischen Staat teilweise hervorgebracht, jedenfalls erst gestärkt haben. Soll Berlin da sozusagen auch in die Bresche springen für eine Lücke, die Washington, sage ich mal platt, hinterlassen hat?
    Ischinger: Genau ganz so, wie Sie es jetzt darstellen, Frau Klein, sehe ich es nicht. Richtig ist, der amerikanische Präsident sieht sich seit geraumer Zeit innenpolitisch ähnlichen Sorgen und Bedenken gegenüber, wie wir sie hier auch haben. Diese Sorgen und Bedenken sind ja nicht unberechtigt.
    Es ist eine berechtigte Sorge, die Sie gerade von Herrn Röttgen zitiert haben! Was ist denn, wenn wir Waffen liefern, haben wir ein klares Konzept, wissen wir, ob die Waffen dann nicht in die falschen Hände geraten und so weiter? Die Sorge vor einer Überdehnung Amerikas, die Sorge der amerikanischen Bevölkerung, dass man doch möglichst sich jetzt erst mal um die eigene Haustür kümmert und nicht um weit entfernte Krisen, das sind Probleme, mit denen Präsident Obama zu kämpfen hatte. Er hat sich aber dann doch zum Eingreifen, auch zum Eingreifen aus der Luft durchgerungen.
    Das ist angesichts der Lage, glaube ich, unabweisbar richtig gewesen. Und zwar nicht nur militärisch und politisch, sondern auch moralisch. Das ist eine ähnliche Lage – wenn ich den Vergleich noch einmal heranziehen darf –, wie wir sie vor einigen Jahren hatten, als es um die Frage ging: Müssen wir fürchten, dass die Bevölkerung von Bengasi in Libyen vor der Ausrottung steht?
    Hier hat man dann nicht drei Monate Zeit, um nachzudenken, sondern man muss entscheiden: entweder so oder so! Und in der jetzigen Lage, bin ich persönlich der Meinung, ist es richtig, wenn aktiv diskutiert wird, ob wir nicht auch durch Waffenlieferungen an die kurdischen bedrohten Bevölkerungsteile hier eine sinnvolle Hilfe leisten können.
    "Es geht hier nicht um deutsche Alleingänge"
    Klein: Gut, Sie sagen, diskutieren ist auf jeden Fall richtig und da müssen auch noch mal Argumente abgewogen werden. Sie haben es angedeutet, Frank-Walter Steinmeier war am Wochenende im Irak, hat sich dort ein Bild von der Lage machen wollen, kehrte dann zurück nach Berlin und hat gestern die Außenminister der Ukraine, Russlands und Frankreichs empfangen. Sie haben das auch gerade angedeutet: Der ukrainische Außenminister Klimkin hat gestern bei uns im Interview nach stärkerer militärischer Unterstützung auch von EU- und NATO-Seiten gerufen in diesem Konflikt im Augenblick.
    Denken Sie da, dass sich Deutschland Grenzen auferlegen soll an der Stelle? Oder sollte sich die EU, auch Deutschland auch dort stärker engagieren nach Ihrer Meinung?
    Ischinger: Der Konflikt in der Ukraine ist ja inzwischen ein Krieg. Wir haben Tausende von Toten, wir haben ganz offensichtlich schwere Waffen auf beiden Seiten. Dieser Krieg vollzieht sich in unserer unmittelbaren Nachbarschaft.
    Ich fürchte, dass vielen Deutschen bis heute nicht ganz klar ist, wie nah eigentlich die Ukraine an Deutschland, an Westeuropa liegt. Insoweit sind wir hier noch unmittelbarer betroffen als im Fall der grauenhaften Zustände im Irak. Ich denke, hier ist noch viel stärker größte Zurückhaltung und Konzeption des Vorgehens gemeinsam mit den Partnern in der Europäischen Union und im Bündnis notwendig.
    Es geht hier nicht um deutsche Alleingänge, sondern es geht um die Frage der Beherrschung einer europäischen Krise, die alles, was wir seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion erlebt haben, übersteigert. Da wäre meine Reaktion bis auf Weiteres auch eher große Zurückhaltung. Ich würde fürchten, dass, wenn wir anfangen, Waffen zu liefern an die ukrainische Regierung ... Ich kann den Ruf des Außenministers Klimkin nachvollziehen, aber ich denke, wir würden unter Umständen mit solchen Lieferungen Reaktionen aus Moskau provozieren, die nicht hilfreich sein würden.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.