Ann-Kathrin Büüsker: Seit heute Morgen um sieben Uhr unserer Zeit gilt in Kolumbien ein Waffenstillstand. Diesen haben die Farc-Rebellen erklärt, nachdem sie sich in der vergangenen Woche ja mit der Regierung auf einen Friedensvertrag geeinigt haben. Was bedeutet das nun für das Land, in dem der bewaffnete Konflikt seit Jahrzehnten getobt hat? Darüber möchte ich mit Professor Günther Maihold sprechen. Er ist stellvertretender Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Tag, Herr Maihold.
Günther Maihold: Guten Tag.
Büüsker: Herr Maihold, Friedensabkommen, das klingt ja erst einmal sehr positiv. Wie hoffnungsvoll sind Sie denn, dass dieses Abkommen Kolumbien wirklich auch Frieden bringen wird?
Maihold: Zunächst ist das sicher nach 50 Jahren Konflikt ein Riesendurchbruch für das Land. Es hat so viele Friedensversuche gegeben, die alle gescheitert sind. Nie war das Land soweit auf dem Weg Frieden vorangekommen, und deswegen muss es jetzt diese Chance auch nutzen. Und das bedeutet vor allem, dass die Gesellschaft die grundlegenden Transformationen für sich anerkennt, die dieser Friedensprozess bedeutet. Die wichtigen Eliten des Landes müssen sich darüber im Klaren sein, dass sie nicht weiter so agieren können wie bisher, und das setzt einen umfassenden Prozess der Bewusstseinswerdung über diesen historischen Tag voraus.
"Wir haben eine umfassende Opferszenerie"
Büüsker: Wenn Sie sagen, grundlegende Transformationsprozesse, was meinen Sie damit genau?
Maihold: Nun, es haben sich natürlich viele Feindbilder herausgebildet über diese Jahre. Wir haben eine umfassende Opferszenerie aus den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen. Selbst die FARC betrachten sich als Opfer. Wir haben interne Vertriebene, wir haben eine umfassende Liste von Menschenrechtsverletzungen, die von staatlichen Akteuren genauso begangen worden sind wie von den Aufständischen. Da gibt es viel aufzuarbeiten. Und es müssen natürlich neue Lebensbedingungen für das Zusammenleben gefunden werden. Das geht von der Verteilung von Grund und Boden, dem Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen und bis zu der Präsenz des Staates in Gegenden, wo er noch nie gewesen ist, weil die immer in der Hand der Guerilla waren.
Büüsker: Wir haben jetzt einen jahrzehntelangen Konflikt. Wo lagen eigentlich die Ursachen dieses Konflikts?
Maihold: Ein entscheidender Faktor war immer der Zugang zu Grund und Boden. Die Eliten, insbesondere die regionalen Eliten des Landes haben ihren Großgrundbesitz durch de facto Enteignung von Kleinbauern erwirtschaftet, haben dadurch Vertreibung vom Land in Szene gesetzt und Großplantagen angelegt, die bis heute auch noch sichtbar sind in der neuen Welle, die wir insbesondere in Ölpalmen-Großplantagen haben.
Zum anderen wurden systematisch bestimmte politische Optionen ausgeschlossen, die dann im Kontext der Guerilla-Bewegung der 60er-Jahre dazu geführt haben, dass die sich als aufständische Gruppen konstituiert haben und den bewaffneten Kampf für sich ergriffen haben.
"Hier findet erstmals eine nationale Diskussion zum Thema Frieden statt"
Büüsker: All das ist aber jetzt wahrscheinlich nur, weil es ein Friedensabkommen gibt, nicht weg. Wie gelingt es jetzt, den Friedensprozess tatsächlich aktiv umzusetzen?
Maihold: Nun, der erste Schritt, der ist sicherlich ganz entscheidend. Das ist das Referendum am 2. Oktober, das Präsident Santos angekündigt hat. Hier findet dann erstmals eine nationale Diskussion zum Thema Frieden statt. Da ja die Friedensgespräche selbst in Havanna in Kuba waren, ist die kolumbianische Gesellschaft gar nicht systematisch damit befasst worden. Und viele in den städtischen Metropolen meinen auch, die Sicherheitslage habe sich ja verbessert, weshalb sollte man jetzt noch große Zugeständnisse machen, zumal wenn doch zu befürchten ist, dass durch die Demobilisierung von Kämpfern die Kriminalität ansteigt und die Unsicherheit wieder um sich greift. Hier sind wichtige Schritte zu machen, die den Weg in eine Umsetzung erst mal bahnen, und dann müssen natürlich die gesamten Umsetzungsschritte von der nationalen Versöhnung, von der Vergebung und natürlich auch der Verurteilung von Menschenrechtsverletzungen greifen.
Büüsker: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann ist es gar nicht unbedingt gesagt, dass die Bevölkerung das Abkommen tatsächlich ratifizieren wird?
Maihold: Zum heutigen Zeitpunkt gibt es unterschiedliche Umfragen. Einige deuten auf ein sehr knappes Ergebnis hin. Erschwerend kommt hinzu, dass die Frage des Ja oder Nein zu dem Abkommen auch zu einer Auseinandersetzung zwischen Präsident Santos und seinem Amtsvorgänger Alvaro Uribe geworden ist und damit zwei Konzeptionen und zwei Personen aufeinander treffen, die das weiter polarisieren, was eigentlich für den Weg der Verständigung und der Versöhnung nicht besonders hilfreich ist.
Entwaffnung: "Ein schwieriger Prozess"
Büüsker: Es müssen jetzt mehrere Tausend Farc-Kämpfer ja entwaffnet werden. Wie realistisch ist das, dass die wieder ganz normale Mitglieder der Gesellschaft werden können?
Maihold: Das ist ein sehr schwieriger Prozess. Erstens hängt das davon ab, ob es wirklich zu dieser Gesamtentwaffnung kommt, ob die Befehlsstrukturen der Farc so weit reichen, dass sie auch die entfernten Truppenteile dazu bringen, diesen Weg zu gehen, ob dann nicht Teile dieser Truppenteile eher bereit sind, sich in kriminelle Kreise zu bewegen. Wir haben ja mit der Drogenökonomie eine durchaus lukrative Alternative zum Überleben in der formalen Ökonomie als Angebot. Und zum dritten besteht natürlich auch die Möglichkeit, dass diese Demobilisierten oder Demobilisierungsunwilligen sich der noch bestehenden Gruppe der ELN als bisher nicht zu einem Friedensschluss gelangten Guerilla anschließen und damit ihr Handwerk fortsetzen.
Büüsker: Es bleibt also schwierig mit Blick auf Kolumbien. Herr Maihold, wir müssen leider zum Ende kommen. - Günter Maihold war das von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch an diesem Mittag im Deutschlandfunk.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.