Es sei ein Zeichen von Schwäche, dass die Bewegung mit dem Titel "Aufstehen" aus einer existierenden und im Parlament vertretenen Partei heraus gegründet werde, so Rucht. "Wenn man selbst im Aufwind ist, und wenn man glaubt, innerhalb der Partei einhellige Unterstützung zu bekommen, dann ist es gar nicht notwendig, zu einer Sammlungsbewegung aufzurufen."
Im Prinzip könne eine solches Projekt durchaus erfolgreich sein, meint Rucht. Im konkreten Fall werde sie aber auf viele Hürden stoßen. Der Soziologe vom Institut für Protest- und Bewegungsforschung nennt fünf Bedingungen für den Erfolg von Bewegungen:
Der Rohstoff sei die Empfindung eines massiven Problems. Dann müsse es Organisatoren geben, die eine Struktur lieferten. Die Zielgruppe müsse das Gefühl der Handlungsnotwendigkeit teilen und den Zeitpunkt für richtig halten. Es müssten angemessene Formen des Ausdrucks und Mitmachens bereitgestellt werden. Und es brauche externe Verstärker, darunter eine große Medienresonanz, Unterstützung etwa von Prominenten, vielleicht auch Skandale im anderen Lager.
Keine Lücke im politischen Spektrum
Der Erfolg der "En Marche"-Bewegung unter Emmanuel Macron in Frankreich sei in Deutschland nicht kopierbar, sagte Rucht. "Gemessen an der französischen Situation sind die Parteien in der Bundesrepublik erstens organisatorisch ziemlich stark, und zweitens ist das Spektrum ziemlich gut abgedeckt." Es gebe keine Lücke im politischen Spektrum, in die eine Bewegung hineinstoßen könne.
Der Soziologe Rucht glaubt, dass Sahra Wagenknecht langfristig versuchen werde, ihre Sammlungsbewegung in eine eigene Partei umzuwandeln. Er erkenne das daran, dass es keine Versuche gebe, sich den bereits existenten Bewegungen anzunähern, sagte er. Seiner Ansicht nach wird das nicht funktionieren: "Einerseits weil innerhalb der Parteien die Konkurrenz da ist, andererseits, weil es genuin Bewegte gibt, die der Form der Parteien und den Mechanismen, die damit verbunden sind, sehr skeptisch gegenüberstehen."