Der versuchte militärische Umsturz in Russland dauerte keine 24 Stunden. Seine Folgen halten das Land aber weiter in Atem und schwächen das System Putin.
Einige Bilder aus dieser Woche stehen dafür symbolhaft. Wie dieses: Wladimir Putin reiste nach Dagestan, ans Kaspische Meer. Er mischte sich unter die begeisterten Menschen, er ließ sich feiern.
Putin gibt sich nach Putschversuch volksnah
Das Problem dabei: Putin hat damit das medial vermittelte Bild von ihm von heute auf morgen um 180 Grad gedreht. Denn bis vor Kurzem war er der unnahbare Staatsmann, der meterlangen Abstand von seinen Gesprächspartnern hielt und das Land wie ein weiser Übervater regierte. Die Szene aus Dagestan kam Beobachtern derart befremdlich vor, dass manche hinter dem dort aufgetretenen Mann ein Putin-Double vermuteten.
Putin gibt sich volksnah, weil der Putschversuch ihm etwas Erschreckendes offenbarte. Er ist zwar beliebt im Volk, aber wirklich hinter ihn stellte sich kaum jemand. Solidaritätsbekundungen blieben aus. In Rostow am Don jubelten die Menschen sogar den Wagner-Söldnern zu und machten Selfies mit ihnen.
Wagner-Chef Prigoschin bleibt beliebt bei Russen
Eine Umfrage des unabhängigen soziologischen Instituts Lewada-Zentrum zeigt, dass auch jetzt noch 30 Prozent der Russinnen und Russen es gut finden, was der Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin tut. Er hat sich als rücksichtsloser Kriegsherr in der Ukraine offenbar nachhaltige Popularität gesichert.
Aber auch für viele andere dürfte Putins Bild Risse bekommen haben. Der autoritäre Herrscher hat Schwäche gezeigt. Er hat den Wagner-Chef Prigoschin zuerst als Verräter anklagt und dann einfach laufen lassen. Und Stärke war schließlich bisher Putins Markenzeichen.
Rolle der Geheimdienste beim Putschversuch bleibt offen
Natürlich will der russische Präsident zurück zu alter Größe. Sein angeknackstes Image ist da nur ein Problem. Ein anderes ist der Zustand seines Machtapparats. Am vergangenen Wochenende nahmen die Wagner-Söldner ohne jede Gegenwehr die Großstadt Rostow am Don ein und bewegten sich praktisch ungehindert auf Moskau zu.
Hatten die Geheimdienste die Vorbereitungen nicht bemerkt? Oder sie verschwiegen? Warum blieb die Armee tatenlos? Es ist offensichtlich, dass Prigoschin zumindest Sympathisanten in den höchsten Kreisen des Sicherheitsapparats haben musste. Womöglich sogar aktive Helfer.
Kremel wirkt unentschlossen
Putin hat es jahrelang gerne gesehen, dass die verschiedenen Strukturen gegeneinander arbeiten, dass es selbst innerhalb der Armee verfeindete Lager gibt. Teile und herrsche. Doch nun fällt ihm das auf die Füße.
Er muss sein marodes Machtgebäude reparieren. Aber er weiß nicht, auf welche Handwerker er sich verlassen kann. Deshalb wirkt der Kreml unentschlossen. Hinter den Kulissen wird verhört und ermittelt. In die Schusslinie geraten zuerst die, die Prigoschin nahe standen, so General Sergei Surovikin. Der durfte in dieser Woche nur ein kurzes Telefonat mit seiner Familie führen, so Kreml-Vertraute, ansonsten blieb er von der Bildfläche verschwunden. Manche mutmaßen, Surovikin sei schon verhaftet, andere widersprechen dem.
Einfluss von Putschversuch auf Ukraine-Krieg
Auf den Kriegsverlauf hat der Umsturzversuch keinen unmittelbaren Einfluss, dafür dauerte er zu kurz. Trotzdem ist die Unruhe im Kreml für die Ukraine gut. Denn Putin wird den Machtkampf zugunsten derer entscheiden, die schon immer an seiner Seite standen. Ob sie militärisch kompetent sind, wird zweitrangig sein.
Weiter ins Abseits geraten diejenigen, die – wie Prigoschin – die russische Kriegsführung kritisch sahen, die Fehler ansprachen. Womöglich wird mit Surovikin die einzige bisher wirklich erfolgreiche russische Militäroperation diskreditiert – der fast verlustfreie Rückzug aus der Stadt Cherson. Für ihn zeichnete Surovikin verantwortlich.
Aus den Ereignissen könnte sich noch eine weitere Konsequenz für den Krieg ergeben: Die Partner der Ukraine haben gesehen, wie sich der russische Präsident Wladimir Putin verhält, wenn er unter Druck ist: Er gibt nach. Die Konsequenz daraus sollte sein, den Druck auf ihn weiter zu erhöhen. Nicht von ungefähr diskutieren die Verantwortlichen in Washington jetzt ernsthaft darüber, der Ukraine die so dringend benötigend Raketen mit größerer Reichweite zu liefern. Es wäre der richtige Schritt.