Karin Fischer: Doch zuerst zu einem Schriftsteller, dessen Stimme und Werk für viele eine besondere Bedeutung hatten, vielleicht auch, weil sie durch ein Überleben in totalitären Regimen beglaubigt wurden, bis im September dieses Jahres bekannt wurde, dass der Schriftsteller Oskar Pastior unter dem Decknamen Otto Stein für den rumänischen Geheimdienst gearbeitet hat. Es war der sieben Jahre jüngere Dieter Schlesak, der damals in der Zeit um Verständnis für Pastior warb. Die Erpressung durch die Securitate habe bei Pastior wie bei so vielen anderen gegriffen und offenbar sei die Angst vor Lager oder Gefängnis stärker gewesen als die Solidarität mit den Schriftstellerkollegen. Damals wusste man noch nicht, ob Pastiors Berichte wirklich jemandem geschadet haben.
Dieter Schlesaks Bericht heute in der "FAZ" reißt Abgründe auf. Nicht nur er selbst, damals noch kleiner Lyrik-Redakteur, hat Berichte Oskar Pastiors in seiner Akte gefunden. Dieter Schlesak weist auch nach, dass der Selbstmord des rumänischen Lyrikers Georg Hoprich nach jahrelanger Gefängnishaft im Grunde das Werk Oskar Pastiors war.
Den rumänien-deutschen Schriftsteller Richard Wagner habe ich vor der Sendung gefragt, wie er diese Entdeckung, diese Schuld bewertet.
Richard Wagner: Ja, zwei Sachen. Einmal, was die Entdeckung betrifft: Damit habe ich gerechnet, weil es konnte ja nicht sein, dass jemand sieben Jahre geführt wird als IM und dass da überhaupt nichts ist. Also es war viel wahrscheinlicher, dass etwas da ist, und der Umgang mit den Akten und meine Kenntnis und Erfahrung mit anderen Akten besagte, dass wenn die nicht da sind in der Akte des Informanten, dann sind sie eben in der Akte seiner Opfer. Und so war es dann ja auch und ist so. Allerdings ist jetzt die Tragweite der Angelegenheit sehr groß. Was Dieter Schlesak heute sagt, wenn das so zutrifft, dann ist das ein sehr schwerwiegender Fall.
Fischer: Was wusste man bisher über den Fall Hoprich?
Wagner: Über den Fall Hoprich, das ist eine tragische Geschichte gewesen, so kannte man sie. Man wusste so viel, also auch noch in früheren Zeiten - wir hatten ja da noch keine Akten eingesehen und das war ja jemand, der mit uns so direkt nichts zu tun hatte: Der war im Gefängnis, genau in der Zeit, in den frühen 60er-Jahren, als noch der Stalinismus war, und nach seiner Freilassung hatte er Selbstmord begangen, weil er wohl diese Unsicherheit und den Druck, den die Securitate auf ihn ausgeübt hat, nicht aushielt. Also man wusste im Wesentlichen, worum es geht, aber man wusste nicht, dass Pastior daran beteiligt war.
Fischer: Und jetzt stellt sich heraus, dass Oskar Pastior sozusagen auch noch nach der Gefängnishaft der Zuträger aller Informationen gewesen sein soll?
Wagner: Ja. So behauptet das Dieter Schlesak und ich nehme an, er behauptet es nicht, wenn er es nicht wüsste, weil er hat ja die Akte nun in der Hand gehabt und da wird es ja nun wohl so stehen.
Fischer: Ein einziges Gedicht, schreibt Schlesak über Hoprich, hat ihn erst die Freiheit und dann das Leben gekostet. Das dokumentiert einerseits die absolute Gefährlichkeit des Wortes in den Augen der Securitate, und andererseits ist in Schlesaks Bericht aber auch wieder viel von Paranoia und Panik die Rede, von Drohkulisse und Dauerbeobachtung, also einer gewissen Schizophrenie fast auf beiden Seiten.
Wagner: Na ja. Also man könnte sagen, man wird so wie das System, wenn man einer der Spieler ist. Aber das ist mir zu einfach, das so darzustellen. Zum einen muss man ja noch einmal darauf hinweisen, dass Schlesak ja nicht einer der Gegner von Pastior war, oder sonst in den Akten nach den großen Verbrechern gesucht hätte. Er war ja bisher immer der Meinung, das ist alles leicht übertrieben, was wir so behaupten. Er hat ja seine eigene Akte erst sehr spät verlangt. Schlesak hätte diese Akte ja schon vor zwei Jahren einsehen können, und dann hätte er das alles schon früher wissen können und wir wären auch weiter in der Angelegenheit. Ich bin aber jedenfalls schon mal zufrieden, dass er jetzt dadurch, dass er mal sich konfrontiert hat, seine Meinung dementsprechend wohl auch geändert hat, was die Gefährlichkeit der Akten betrifft.
Fischer: Bei den Dichtern ging es ja immer um westliche Dekadenz und Formalismus, und Dieter Schlesak zitiert aus einer Akte, in der Pastior die moderne Poesie denunziert und Schlesaks Texte als hermetisch und kalt bezeichnet. Aber man spürt förmlich, wie Schlesak entsetzt darüber ist, dass Pastior sich mit dieser Sentenzia quasi auch selbst verraten hat, denn er war selber ein Sprachartist.
Wagner: Na ja, er war genau das, was er da anprangert. Aber das ist ja nicht seine Anprangerung. Das Wesen der Kollaboration ist ja nicht, eigene Ideen zu verbreiten, sondern das Wesen ist, die Ideen des Machthabers zu reproduzieren. Und da hat er sich auf das Spiel eingelassen und für ihn war es in dem Moment egal, ob es die Wahrheit ist oder die Unwahrheit, sondern er hat sich da in das Spiel eingebracht und musste dem Spiel entsprechend funktionieren. Das ist der Grund.
Fischer: Was sollte Ihrer Ansicht nach jetzt geschehen, Herr Wagner? Es gibt eine Oskar-Pastior-Stiftung und einen Preis, der in seinem Namen vergeben wird. Herta Müller und Ernst Wiechner, die beide mit Pastior befreundet waren und beide von seiner Spitzeltätigkeit nichts wissen konnten, sitzen in diesen Gremien.
Wagner: Ich glaube nicht, dass das zu halten ist, dass man bei dem Stand der Dinge - und das ist ja auch noch nicht das letzte Wort, denn wenn der in dem Ausmaß denunziert hat, dann gibt es ja wahrscheinlich auch noch andere Akten, in denen er vorkommt. Und wenn man das alles bedenkt, sehe ich nicht, wie man eine Stiftung mit diesem Namen halten könne und wie so ein Preis vergeben werden kann.
Fischer: Welches Licht wirft dieser neue Kenntnisstand in Ihren Augen auf das Werk Oskar Pastiors?
Wagner: Na ja, das Werk Oskar Pastiors zeichnet sich ja gerade darin aus, dass es gelesen werden kann, trotz dieser Tätigkeit, weil es ja nicht moralisch ist. Das gibt andererseits zu denken über seine Entstehung, seinen Entstehungsmodus. Es ist ein Werk, das sprachspielerisch ist, artistisch ist, großartig in dieser Weise, aber moralisch ist es eigentlich abwesend.
Fischer: Der rumänien-deutsche Schriftsteller Richard Wagner zur Akte von Dieter Schlesak, die Oskar Pastiors Tätigkeit für die rumänische Securitate dokumentiert.
Links bei dradio.de:
Schatten der Vergangenheit - Zur Interpretation der Berichte des Securitate-IM "Otto Stein" alias Oskar Pastior
Dieter Schlesaks Bericht heute in der "FAZ" reißt Abgründe auf. Nicht nur er selbst, damals noch kleiner Lyrik-Redakteur, hat Berichte Oskar Pastiors in seiner Akte gefunden. Dieter Schlesak weist auch nach, dass der Selbstmord des rumänischen Lyrikers Georg Hoprich nach jahrelanger Gefängnishaft im Grunde das Werk Oskar Pastiors war.
Den rumänien-deutschen Schriftsteller Richard Wagner habe ich vor der Sendung gefragt, wie er diese Entdeckung, diese Schuld bewertet.
Richard Wagner: Ja, zwei Sachen. Einmal, was die Entdeckung betrifft: Damit habe ich gerechnet, weil es konnte ja nicht sein, dass jemand sieben Jahre geführt wird als IM und dass da überhaupt nichts ist. Also es war viel wahrscheinlicher, dass etwas da ist, und der Umgang mit den Akten und meine Kenntnis und Erfahrung mit anderen Akten besagte, dass wenn die nicht da sind in der Akte des Informanten, dann sind sie eben in der Akte seiner Opfer. Und so war es dann ja auch und ist so. Allerdings ist jetzt die Tragweite der Angelegenheit sehr groß. Was Dieter Schlesak heute sagt, wenn das so zutrifft, dann ist das ein sehr schwerwiegender Fall.
Fischer: Was wusste man bisher über den Fall Hoprich?
Wagner: Über den Fall Hoprich, das ist eine tragische Geschichte gewesen, so kannte man sie. Man wusste so viel, also auch noch in früheren Zeiten - wir hatten ja da noch keine Akten eingesehen und das war ja jemand, der mit uns so direkt nichts zu tun hatte: Der war im Gefängnis, genau in der Zeit, in den frühen 60er-Jahren, als noch der Stalinismus war, und nach seiner Freilassung hatte er Selbstmord begangen, weil er wohl diese Unsicherheit und den Druck, den die Securitate auf ihn ausgeübt hat, nicht aushielt. Also man wusste im Wesentlichen, worum es geht, aber man wusste nicht, dass Pastior daran beteiligt war.
Fischer: Und jetzt stellt sich heraus, dass Oskar Pastior sozusagen auch noch nach der Gefängnishaft der Zuträger aller Informationen gewesen sein soll?
Wagner: Ja. So behauptet das Dieter Schlesak und ich nehme an, er behauptet es nicht, wenn er es nicht wüsste, weil er hat ja die Akte nun in der Hand gehabt und da wird es ja nun wohl so stehen.
Fischer: Ein einziges Gedicht, schreibt Schlesak über Hoprich, hat ihn erst die Freiheit und dann das Leben gekostet. Das dokumentiert einerseits die absolute Gefährlichkeit des Wortes in den Augen der Securitate, und andererseits ist in Schlesaks Bericht aber auch wieder viel von Paranoia und Panik die Rede, von Drohkulisse und Dauerbeobachtung, also einer gewissen Schizophrenie fast auf beiden Seiten.
Wagner: Na ja. Also man könnte sagen, man wird so wie das System, wenn man einer der Spieler ist. Aber das ist mir zu einfach, das so darzustellen. Zum einen muss man ja noch einmal darauf hinweisen, dass Schlesak ja nicht einer der Gegner von Pastior war, oder sonst in den Akten nach den großen Verbrechern gesucht hätte. Er war ja bisher immer der Meinung, das ist alles leicht übertrieben, was wir so behaupten. Er hat ja seine eigene Akte erst sehr spät verlangt. Schlesak hätte diese Akte ja schon vor zwei Jahren einsehen können, und dann hätte er das alles schon früher wissen können und wir wären auch weiter in der Angelegenheit. Ich bin aber jedenfalls schon mal zufrieden, dass er jetzt dadurch, dass er mal sich konfrontiert hat, seine Meinung dementsprechend wohl auch geändert hat, was die Gefährlichkeit der Akten betrifft.
Fischer: Bei den Dichtern ging es ja immer um westliche Dekadenz und Formalismus, und Dieter Schlesak zitiert aus einer Akte, in der Pastior die moderne Poesie denunziert und Schlesaks Texte als hermetisch und kalt bezeichnet. Aber man spürt förmlich, wie Schlesak entsetzt darüber ist, dass Pastior sich mit dieser Sentenzia quasi auch selbst verraten hat, denn er war selber ein Sprachartist.
Wagner: Na ja, er war genau das, was er da anprangert. Aber das ist ja nicht seine Anprangerung. Das Wesen der Kollaboration ist ja nicht, eigene Ideen zu verbreiten, sondern das Wesen ist, die Ideen des Machthabers zu reproduzieren. Und da hat er sich auf das Spiel eingelassen und für ihn war es in dem Moment egal, ob es die Wahrheit ist oder die Unwahrheit, sondern er hat sich da in das Spiel eingebracht und musste dem Spiel entsprechend funktionieren. Das ist der Grund.
Fischer: Was sollte Ihrer Ansicht nach jetzt geschehen, Herr Wagner? Es gibt eine Oskar-Pastior-Stiftung und einen Preis, der in seinem Namen vergeben wird. Herta Müller und Ernst Wiechner, die beide mit Pastior befreundet waren und beide von seiner Spitzeltätigkeit nichts wissen konnten, sitzen in diesen Gremien.
Wagner: Ich glaube nicht, dass das zu halten ist, dass man bei dem Stand der Dinge - und das ist ja auch noch nicht das letzte Wort, denn wenn der in dem Ausmaß denunziert hat, dann gibt es ja wahrscheinlich auch noch andere Akten, in denen er vorkommt. Und wenn man das alles bedenkt, sehe ich nicht, wie man eine Stiftung mit diesem Namen halten könne und wie so ein Preis vergeben werden kann.
Fischer: Welches Licht wirft dieser neue Kenntnisstand in Ihren Augen auf das Werk Oskar Pastiors?
Wagner: Na ja, das Werk Oskar Pastiors zeichnet sich ja gerade darin aus, dass es gelesen werden kann, trotz dieser Tätigkeit, weil es ja nicht moralisch ist. Das gibt andererseits zu denken über seine Entstehung, seinen Entstehungsmodus. Es ist ein Werk, das sprachspielerisch ist, artistisch ist, großartig in dieser Weise, aber moralisch ist es eigentlich abwesend.
Fischer: Der rumänien-deutsche Schriftsteller Richard Wagner zur Akte von Dieter Schlesak, die Oskar Pastiors Tätigkeit für die rumänische Securitate dokumentiert.
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Schatten der Vergangenheit - Zur Interpretation der Berichte des Securitate-IM "Otto Stein" alias Oskar Pastior