Er werde oft gefragt, warum Wagners Musik in Israel noch immer nicht gespielt werden dürfe, so Nemtsov, der an der Musikhochschule Franz Liszt Weimar die Geschichte der jüdischen Musik unterrichtet. Und oft habe er den Eindruck, die Menschen hätten deshalb Mitleid mit Israel. Doch wer Wagner hören wölle, könne dies tun, betonte der Musiker im Deutschlandfunk. Die Tradition, Wagner nicht öffentlich aufzuführen, habe einen Grund: "Nicht weil Wagner ein Antisemit war, sondern weil sein Antisemitismus einen starken Einfluss auf seine Werke ausgeübt hat. Man kann seine Musikwelt nicht verstehen, wenn man den Antisemitismus ausblendet." Für viele Israelis sei das Thema deshalb noch immer ein Tabu, und dies solle man respektieren.
Daniel Barenboim kommentierte Nemtsov in diesem Zusammenhang so: "Ich finde das respektlos." Barenboim, seit Jahrzehnten in Deutschland tätiger Dirigent und selbst Jude mit israelischen Wurzeln, ließ 2001 ein Auszug aus Wagners "Tristan und Isolde" in Israel spielen und vor plante vor vier Jahren eine ganze Aufführung mit dem Werk des deutschen Komponisten in Tel Aviv, die jedoch abgesagt wurde.
"Israel ist das Zentrum des jüdischen Lebens"
Die Frage, was jüdische Musik ausmache, werde aus zwei Traditionen heraus beantwortet, so Nemtsov: Es gebe die im 19. Jahrhundert begründete und bis heute angewendete "biologistische Sicht auf die jüdische Kultur", die besage, dass die Abstammung eines Komponisten automatisch den Inhalt seiner Musik bestimme. Für ihn jedoch sei jüdische Musik nur die mit jüdischen Inhalten. "Ob der Komponist jüdischer Abstammung ist, ist nicht entscheidend."
Zentrum des jüdischen Lebens sei "für uns Juden in der Diaspora" der Staat Israel, nicht nur weil dieser bedroht sei. Und diese Bedeutung Israels wachse seit Jahrzehnten, findet Nemtsov: "Israel ist das mit Abstand wichtigste spirituelle, ökonomische und poltische Zentrum." Ohne die Existenz Israels könne er sich jüdisches Leben nicht mehr vorstellen.
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