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Wagner und die Jugend

Im Jubiläumsjahr wird Wagner überall gespielt. Die Deutsche Oper Berlin hat nun aber ein Projekt herausgebracht, das einzigartig ist: "Der Ring: Next Generation" – ein Digest aus Wagners "Ring des Nibelungen", präsentiert von Jugendlichen im Alter von 14 bis 22 Jahren.

Von Oliver Kranz |
    Das ist kein Jugendprojekt, das nebenbei zum normalen Spielplan auf der Probebühne läuft. Bei diesem "Ring" ist alles groß – der Anspruch, der Aufwand und auch die Energie. 60 Jugendliche treten auf, begleitet von einem großen Orchester und E-Gitarren.

    Vor den Gitarristen hat ein DJ Position bezogen, der die Opernmusik mit elektronischen Geräuschen und harten Beats konfrontiert. Wagner wird zerlegt und neu zusammengesetzt.

    "Also ich finde immer, Perspektiven müssen sich verändern, um dass man das einfach auch in die nächsten Zeiten mit rüber rettet",

    sagt die Komponistin Alexandra Holtsch. Sie hat Wagners Musik für die E-Gitarren und das Orchester umgeschrieben. Das klingt streckenweise so fremd wie die amerikanische Nationalhymne, wenn sie von Jimmy Hendrix gespielt wird. Doch Wagner ist robust. Immer wieder setzt sich das Orchester durch.

    Alt und Neu ringen miteinander – das ist das große Thema der Inszenierung. Das Team um Regisseur Robert Lehniger versucht nicht, die Handlung der vier Opern, die Wagner unter dem Titel "Der Ring des Nibelungen" zusammengefasst hat, nachzuerzählen. Das verbietet sich schon aus Zeitgründen. Während die vier Opern 16 Stunden dauern, bringt es die Next-Generation-Fassung auf eine Stunde, 45 Minuten.

    "Wir haben uns ganz klar fokussiert auf die Generationenperspektive der Kinder und Enkelfigurengeneration – also Siegmund/Sieglinde, Siegfried und Brünnhilde - deren Ablösungskampf mit ihrer Eltern oder Großeltern",

    erklärt Robert Lehniger. Er hat sechs Monate mit den Jugendlichen gearbeitet. Da die meisten die Opern nicht kannten, gab er ihnen einen Comic, in dem die Geschichte erklärt wird.

    "Jeder hat drei Seiten gekriegt und mir dann erzählt, was er sieht in diesem Comic vor der Kamera. Dadurch ist schon in einer ganz frühen Phase des Projekts eine subjektive Erzählung des Rings entstanden - also der Ring aus der Sicht dieser jungen Leute."

    Und diese Erzählung bildet das Grundgerüst der Inszenierung. Während die Jugendlichen auf der Bühne in einem Urwald eingetopfter Grünpflanzen hin und her tanzen, erscheinen über ihnen auf einer großen Leinwand die Kernaussagen aus den Probeninterviews.

    Szene:
    Akteur 1: Mime reizt Siegfried, sein Schwert selber zu schmieden. Siegfried tut das auch, aber er hat eine ganz neue Art und Weise das zu tun, wie das noch niemand gemacht hat vorher. Denn er raspelt das Schwert in kleine Stücke und schmilzt es dann ein.

    Akteur 2: Woher er das nimmt? Ich glaube, er hat es tief in sich drin gehabt und hat die Fähigkeit gehabt, diese Fähigkeit, die tief in ihm drin ist, nach außen zu bringen.

    "Solche Punkte sind sehr geeignet gewesen, damit die Jugendlichen mit ihrer Biografie oder dem, was sie aus ihrem Umfeld kennen, einsteigen können - Siegfried, der seinem Lehrer sagt: Du, ich mache das jetzt nicht mehr so, wie Du mir das beibringst, sondern ich mache das so, wie ich denke – und wir plötzlich beim Thema Innovation sind. Wie entsteht das Neue? Das war etwas, was wir dann auch in den Diskurs mit den Kids reingetragen haben. Da ist viel entstanden – einerseits Ring-Nacherzählung, andererseits viele inhaltliche Äußerungen von denen, die letztlich jetzt auch der Text der Inszenierung sind."

    Die Jugendlichen reden nicht nur über die Generationskonflikte, die im "Ring des Nibelungen" verhandelt werden, sondern über das Thema Zukunft ganz allgemein. Wie soll der neue Mensch aussehen? Unverwundbar wie Siegfried? Die heutige Medizin macht einiges möglich, findet die 17-jährige Maria.

    "Irgendwann ist es vielleicht mal möglich, ein komplettes Körperteil zu ersetzen, einfach im Labor. Das ist, was mich interessiert. Wie sieht das aus in 400 Jahren?"

    So werden zwischen wogenden Wagner-Motiven und schrägen Elektrosounds profunde Fragen gestellt. Der fast heilige Ernst, mit dem die Jugendlichen an die Wagner-Oper herangehen, überrascht. Robert Lehniger erklärt.

    "Das ist das Tolle, wenn man mit diesen Jugendlichen arbeitet, dass die überhaupt keine Vorprägung haben. Die haben noch gar keine Position zu Wagner. Deswegen redet man auch nicht über verstaubt oder nicht, sondern taucht unvoreingenommen, als wäre es der "Herr der Ringe", in eine große Fantasygeschichte ein. Und das andere ergibt sich von selbst."

    Beim Aufeinandertreffen von Klassik und Elektrosounds sprühen Funken. Die Premierenbesucher gestern Abend waren begeistert – vor allem die jungen. Vielleicht ein Zeitenwechsel an der Deutschen Oper. Bisher kam der Premierenjubel in dem Haus vor allem aus der Generation 60Plus.