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Wahl-Berichterstattung
Sachsen-Anhalt und die Lehren für Medien

Ein ZDF-Reporter bezeichnet die AfD als Teil einer "konservativen Mehrheit", Wahlsieger Reiner Haseloff von der CDU kritisiert eine "westdeutsche Medienwelt": Die Wahl in Sachsen-Anhalt legt altbekannte Probleme offen. Dabei gibt es für einige längst Lösungsideen.

Von Michael Borgers / Martin Machowecz im Gespräch mit Annika Schneider |
Ein Mann zeichnet sich auf dem Messegelände in einer Messehalle vor einem Übertragungswagen des ZDF als Silhouette ab
Das mediale Interesse an der Wahl in Sachsen-Anhalt war - gut drei Monate vor der Bundestagswahl - besonders groß (picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Sebastian Kahnert)
Es ist eine der meistgestellten Fragen der letzten Jahre im deutschen Journalismus: Wie umgehen mit der AfD? Mit einer Partei, die Medien kritisiert, nicht ausgewogen zu berichten, und die findet, vor allem in den Öffentlich-Rechtlichen zu wenig zu Wort zu kommen. Die Antwort für Journalistinnen und Journalisten vor allem dieser Sender lautet: gut vorbereitet sein. Es gibt Interviews, wo das gelungen ist, zum Beispiel das im Deutschlandfunk vor gut einem Jahr, geführt von Philipp May. Der Moderator sprach dort mit Jörg Meuthen, den Co-Vorsitzenden der Partei, und wurde später für sein "konfrontatives Interview" mit dem Deutschen Radiopreis ausgezeichnet.
Dann sind da aber auch andere Beispiele, Gespräche, in denen AfD-Politiker ihre Agenda mehr oder weniger widerspruchslos verbreiten können. Oder es sogar passiert, dass der Interviewer eine von der AfD bewusst gesetzte Botschaft aufgreift und diese noch verstärkt – so wie nun geschehen nach der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt: Im ZDF sprach Andreas Weise, der Leiter des Landesstudios des Senders, mit dem AfD-Spitzenkandidaten Oliver Kirchner. Dieser nannte die Wählerinnen und Wähler seiner Partei "konservativ" – woraufhin Weise in seiner nächsten Frage mit Blick auf die mögliche Regierungsbildung von "konservativen Mehrheiten" sprach. Zwei Wörter in einem kurzen Interview, für das anschließend andere Medien wie der "Spiegel" den Journalisten kritisierten.
Der Journalist Michael Kraske findet, der Reporter habe das "Framing des AfD-Spitzenkandidaten aufgenommen, anstatt es kritisch zu hinterfragen". Kraske, der das Buch "Tatworte. Denn AfD & Co. meinen, was sie sagen" geschrieben hat, sagte dem Deutschlandfunk, die AfD in Sachsen-Anhalt habe ein besonders radikales "völkisch-nationalistisch gefärbtes" Wahlprogramm. Deshalb könne man das Interview im ZDF "nicht als Ausrutscher durchgehen lassen oder nur der Situation geschuldet".

"Zeit"-Journalist: Viel gelernt im Umgang mit der AfD

Anders sieht das Martin Machowecz. "Da wird ganz schön viel Aufregung veranstaltet um kleine Vorfälle", sagte er im Deutschlandfunk. Machowecz leitet noch das Büro der "Zeit" in Leipzig und bald das Ressort "Streit" der Wochenzeitung.
"Ein Live-Interview mit einem AfD-Kandidaten zu führen, ist im Zweifel schwieriger, als ein Live-Interview mit einem Kandidaten von einer anderen Partei zu führen." Das liege auch an der Erwartungshaltung des Publikums, so Machowecz. Dieses gehe zurecht davon aus, "dass man hochaufmerksam ist und trotzdem hochfair". Das sei aber nicht so einfach.
Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt
Die CDU wird bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt mit rund 37 Prozent klar stärkste Kraft. Die vorab diskutierten Dreier-Bündnisse sind rechnerisch alle möglich. Analysen und mögliche Koalitionen.
Insgesamt hätten Medien in der Berichterstattung über die AfD schon viel gelernt, findet Machowecz: "Wir haben gelernt, ruhiger zu sein, mehr durchzuatmen, nicht mehr über jedes Stöckchen zu springen, das die Partei uns hinhält. Wir haben gelernt, besser einzuordnen."

Haseloff: "Westdeutsche Medienwelt"

Regierungschef Reiner Haseloff hatte nach der Wahl im Interview mit dem ZDF "eine westdeutsche Medienwelt" kritisiert und gefordert, "wir müssen uns mehr Mühe geben, in die Köpfe der Menschen reinzukommen, um sie wiederzugewinnen".
Zwar würden immer mehr Redaktionen mit eigenen Büros auch aus Ostdeutschland berichten, stellt Machowecz fest. Dennoch habe Haselhoff recht: "Die Medienlandschaft ist sehr westdeutsch geprägt". Und es verändere den Blick auf Ostdeutschland, wenn Redaktionen "immer nur dann in den Osten gucken, wenn etwas Dramatisches passiert ist".
Michael Kraske findet Haseloffs Aussagen dennoch "gefährlich". Mit derart "pauschalem Medien-Bashing" unternehme dieser den Versuch, "Medienkritik von rechts aufzunehmen und selbst populistische Signale zu senden".
Ostdeutschland sichtbarer machen
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk würde zu wenig, zu einseitig und zu negativ über Ostdeutschland berichten. Diese Kritik ist im Streit um den Rundfunkbeitrag lautgeworden. Der Vorwurf ist nicht neu – und ein Bericht bestätigt ihn nun.
Medien dürften nun nicht zur Tagesordnung übergehen. Denn Unzufriedenheit und Strukturprobleme in Sachsen-Anhalt würden fortbestehen, beobachtet der Journalist, der seit vielen Jahren aus ostdeutschen Bundesländern berichtet.

Kraske: Nicht den nächsten Knalleffekt abwarten

"Die Medien wären gut beraten, sich auch vor der Bundestagswahl jetzt nicht wieder rauszuhalten und den nächsten Knalleffekt abzuwarten, sondern sehr genau hinzugucken, aus welchen Quellen sich die Unzufriedenheit im Osten speist." Die Lösung dürfe nicht lauten, noch mehr auf AfD-Wähler einzugehen, so Kraske.
Das Arbeiten in ostdeutschen Bundesländern sei ein anderes als in den anderen, betont "Zeit"-Journalist Martin Machowecz. Es gebe viele Menschen mit einer skeptischen bis ablehnenden Haltung gegenüber Medien. "Dem muss man sich stellen. Man muss seine Arbeit immer legitimieren. Und darauf achten, dass man die AfD dennoch fair-kritisch betrachtet."