Christiane Kaess: Soll die SPD in der GroKo bleiben oder nicht? Das steht überhaupt nicht mehr im Fokus auf dem heute begonnenen Parteitag, so wird nun von etlichen SPD-Vertretern abgewehrt. Indirekt tut es das dennoch; dafür haben die Genossen selbst gesorgt. Über Monate war dies eines der wichtigsten Themen bei der Wahl der Parteivorsitzenden. Und ein beträchtlicher Teil der Sozialdemokraten wirbt schon seit Beginn der Koalition mit der Union mit diesem Gegenkurs. So sahen viele auch Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, die von der Mehrheit der Mitglieder für den Parteivorsitz gewählt wurden und nun die Stimmen der Delegierten auf dem Parteitag brauchen.
Ich kann darüber jetzt sprechen mit Professor Thorsten Faas. Er ist Politikwissenschaftler am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. Die Abstimmung über die Parteivorsitzenden – wir haben gerade von unserem Korrespondenten gehört, er rechnet mit einem guten Ergebnis für die beiden. Sehen Sie das auch so?
Faas: Ich denke, davon kann man ausgehen. Die Lage der SPD ist wirklich schwierig in diesen Tagen und allen ist, glaube ich, klar, dass ein schwaches Ergebnis für dieses Vorsitzenden-Duo, was ja noch dazu aus diesem langen Prozess der Mitgliederbefragung hervorgegangen ist – ein schwaches Ergebnis wäre für den Prozess und die Partei ein herber Schlag. Ich glaube, das will man der Partei, aber auch den beiden tatsächlich ersparen. Ein gutes Ergebnis scheint mir auch das zu sein, was wir erwarten können.
Starke Kräfte in der SPD für den Verbleib in der GroKo
Kaess: Wie schwierig ist das denn für die Delegierten vor Ort, die auf der einen Seite im Nacken, sage ich mal, sitzen haben die Entscheidung der Mitglieder, die sich mehrheitlich für ein Duo ausgesprochen haben, das der Großen Koalition mindestens skeptisch gegenübersteht, und jetzt sollen sie das Ganze aber doch bestätigen, nachdem die eine Wende hingelegt haben?
Faas: Ja, das werden sehr, sehr gemischte Gefühle sein. Eigentlich hatte man ja bis zum vergangenen Wochenende ein Stück weit erwartet, dass vielleicht doch Olaf Scholz und Klare Geywitz als siegreiches Duo aus diesem Prozess hervorgehen würden. Zugleich gab es diese Erwartung, dass diejenigen, die Delegierte auf dem Parteitag sind, was häufig Funktionäre, die mittlere Ebene ist, dass die doch deutlich skeptischer sein würden gegenüber der GroKo und dass das genau für Misstöne, schlechte Stimmung auf dem Parteitag sorgen würde.
Jetzt ist es genau umgekehrt. Jetzt hat man sich für Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken entschieden. Aber diese eine Woche, in der die beiden jetzt an der Spitze oder zumindest die designierten Parteivorsitzenden waren, die hat jetzt schon gezeigt, wie schwierig das ist, wie stark doch auch die Kräfte in der SPD sind, in der GroKo zu bleiben.
Insofern: Gemischte Gefühle sind, glaube ich, das, was viele auf dem Parteitag gerade prägen. Aber ich glaube gleichwohl, dass diese gemischten Gefühle nicht so stark sein werden, das Duo jetzt explizit zu schwächen. Man hat es ja auch in dieser einen Woche jetzt schon geschafft, den Leitantrag so zu formulieren, dass er, wie es so schön heißt, weichgespült ist. Keine reine Lehre, hat Saskia Esken gesagt. Da haben sich ja doch die GroKo-Befürworter ein Stück weit schon stark gemacht in der Woche, und das auch ganz erfolgreich.
Parteibasis erwarte Führung
Kaess: Was glauben Sie denn, wie das Ganze bei den Mitgliedern ankommt?
Faas: Bei den Mitgliedern mussten wir ja doch erleben, wenn man eine hohe Beteiligung für wünschenswert hält – und das würde ich tatsächlich bei jedweden demokratischen Wahlen so sehen -, dass dieses ganze Verfahren, die lange Phase des ersten Entscheides mit den Regionalkonferenzen, die Stichbefragung, dass das nicht so richtig für Begeisterung gesorgt hat.
Am Ende haben knapp über 50 Prozent teilgenommen, 50 Prozent knapp auch nicht, und das zeigt ja schon, dass die Mitglieder vielleicht auch gar nicht so sehr mit dieser Verantwortung, diese weitreichenden Entscheidungen treffen zu wollen, zumindest weite Teile der Mitgliedschaft, nicht belastet, behelligt werden wollten, sondern vielleicht auch ein Stück weit von einer Führung erwarten, dass sie genau das tut: zu führen.
Ich denke, die Mitgliedschaft insgesamt erwartet tatsächlich ein solches Signal von diesem Parteitag, nicht unbedingt weitere Personalstreitigkeiten, sondern eine Aufstellung für die Zukunft. Die ist schwierig, aber man wird sie gleichwohl finden und dann doch auch ein gemeinsames Voranschreiten in die Zukunft. Ob das klappen wird, ist fraglich, aber ich denke, das ist das, was man in der breiten Mitgliedschaft durchaus als Erwartung sieht.
Kann neues Duo "positives Momentum erzeugen"?
Kaess: Meine Frage zielte jetzt mehr ab auf die inhaltliche Wende, die man Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken zum Teil jetzt vorgeworfen hat. Wie würden Sie das einordnen? Würden Sie sagen, da ist tatsächlich ein Versprechen gebrochen worden?
Faas: Das ist ja erst mal eine spannende Situation gewesen. Das war eine wichtige Wahl, keine Frage. Der Parteivorsitz der SPD, das ist nicht irgendeine Entscheidung in einer Zeit, in dieser Partei in der GroKo sitzt. Aber trotzdem wissen wir eigentlich gar nicht genau - wir haben keine Umfragen, wir haben keine belastbaren statistischen Analysen -, was die Motive der Wählerinnen und Wähler, der Mitglieder waren. Aber eine Deutung war natürlich Unzufriedenheit mit der GroKo, auch ein Stück weit personelle persönliche Unzufriedenheit mit dem Stil, den Inhalten von Olaf Scholz.
Insofern: Dieses Weichspülen in dieser Woche – ich bin nicht sicher, ob das für viele Mitglieder ein Problem ist. Aber wenn man den Prozess anschaut, dann ist es jetzt doch eine Fortsetzung dessen, was die SPD seit 2013 versucht, gegenüber der Union möglichst viel durchsetzen, möglichst viel sozialdemokratische Inhalte in den Verhandlungen rausholen. Wenn man zurückschaut, muss man sagen, das hat der Partei bisher nicht wirklich genutzt. Es hat ihr eher weiter geschadet.
Insofern wird spannend sein, ob es jetzt mit dem neuen Duo, was ganz klar außerhalb der Regierung positioniert ist, gelingt, diese Logik, diesen Trend zu brechen, ein positives Momentum zu erzeugen. Aber mit Blick auf die Vergangenheit merkt man auch, das ist ein Wunsch, der keineswegs garantiert Realität wird.
Kompromisse mit Union führen weg von linken Positionen
Kaess: Da werden jetzt auch einige Erwartungen geweckt durch den Leitantrag des Parteivorstandes, wo es heißt, dass man sich noch mal der Union gegenüber einsetzen will für mehr Klimaschutz, mehr Investitionen, höherer Mindestlohn. Wie werden die beiden das denn überhaupt umsetzen können, oder die SPD überhaupt?
Faas: Es stehen ja zugleich auch Forderungen der Union im Raum, mit Blick auf Unternehmenssteuer beispielsweise, und auch diese Stimmen sind von Seiten der SPD schon ganz explizit in dieser Woche gemacht worden. Wenn man jetzt gegenüber der Union bestimmte Dinge fordert, na ja, dann greift das alte Spiel von Kompromissen, und das ist ja auch per se kein schlechtes, sondern ein höchst sinnvolles, dass man dann an anderer Stelle der Union ein Stück weit wird entgegenkommen müssen. Aber das genau ist das Dilemma, in dem die SPD steckt.
Kompromisse mit der Union führen dazu – das ist banal, aber trotzdem für die Parteilinke in der SPD schmerzhaft -, dass diese Kompromisse weg von den linken Positionen gehen, hin zur Mitte, hin zur Union. Und diese Logik – damit werden die Linken in der Partei, auch wenn da jetzt ein anderes Duo an der Spitze steht, natürlich weiter aus inhaltlichen Gründen durchaus Probleme haben.
Kaess: Sie sprechen die Linken an. Ist die SPD eine gespaltene Partei?
Faas: Ja, da sieht man die zwei Seiten von solchen partizipatorischen Verfahren. Die schaffen natürlich Legitimation jetzt für das neue Duo, Walter-Borjans und Esken, aber sie zeigen natürlich auch bis auf die Nach-Komma-Stelle genau, wo der Riss verläuft und dass es zwei Lager in der SPD gibt, die Pragmatiker, wie es so schön heißt, und die GroKo-Gegner, die eher in der innerparteilichen Linken verortet sind.
Dass die SPD keine einheitliche Partei ist, das ist nicht neu, aber eigentlich begleitet diese Debatte die SPD seit vielen Jahren, und auch die GroKo-Kritiker, die beim Entscheid über den Eintritt in die GroKo verloren hatten, die haben trotzdem nicht aufgehört, die GroKo kritisch zu sehen. So ist es jetzt vielleicht genau von der anderen Seite, dass auch dieses neue Führungsduo weiter von den eher pragmatischen Kräften kritisch gesehen wird.
Es ist keine Garantie, dass so ein Entscheid die Partei eint. Insofern wird spannend sein, ob es gelingt, ein Signal des Parteitages tatsächlich zu erzeugen, dass man gewillt ist, gemeinsam voranzuschreiten. Garantiert ist das wie gesagt keineswegs. Die Kampfkandidatur zwischen Heil und Kühnert war ja schon ein Anzeichen, dass das schwierig werden wird. Das scheint man jetzt über eine Erweiterung des Personaltableaus zu lösen.
SPD-Profilschärfung falle häufig hinten runter
Kaess: Aber das ist genau die Frage, Herr Faas, an dieser Stelle. Werden da einfach Konflikte zugeschüttet, wenn man sagt, da schaffen wir jetzt noch einen vierten Posten und dann haben wir das Problem auch gelöst?
Faas: Das ist die Art und Weise, wie man mit so was umgehen kann. Man schafft einfach neue Möglichkeiten, und ich denke, das ist in der jetzigen Situation der SPD auch tatsächlich nachvollziehbar. Aber es schafft natürlich alleine schon darum, dass wir jetzt darüber reden, wiederum Ansatzpunkte zu sagen, guck mal, jetzt müssen hier Formelkompromisse gefunden werden, es geht nicht wirklich voran, man schüttet was zu, was aber eigentlich weiterhin noch da ist.
Das ist das Problem für die Partei, dass diese permanente Möglichkeit, diesen Konflikt zu aktualisieren, in die Öffentlichkeit zu tragen, man dann doch wieder genau über diese Themen spricht und es nicht gelingt, eigentlich sozialdemokratisches inhaltliches Profil zu entwickeln, denn diese Berichterstattung, diese Präsenz in der Öffentlichkeit, die fällt dann häufig hinten runter.
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