"In Goslar, wenige Kilometer von der sowjetrussischen Zonengrenze entfernt, fand der gesamtdeutsche Parteitag der CDU statt."
Konrad Adenauer war bereits Bundeskanzler, als die Delegierten ihn auf dem ersten bundesweiten Parteitag der CDU im Oktober 1950 zum ebenfalls ersten Bundesvorsitzenden seiner Partei bestimmten.
"Dr. Konrad Adenauer wurde zum ersten Parteivorsitzenden gewählt."
Dieses als Arbeitstreffen konzipierte Zusammenkommen der verschiedenen Verbände war zugleich der Gründungsparteitag der Bundes-CDU, die sich in ihren Anfängen gar nicht als Partei im klassischen Sinne – etwa nach dem Beispiel der Arbeiterpartei SPD – verstehen wollte. In seiner Rede auf dem Parteitag schlug Adenauer nach den Jahren der nationalsozialistischen Diktatur eher staatstragende als parteipolitische Töne an.
"Deutschland hat wieder eine Aufgabe: Es will seine ganze Kraft einsetzen für die Gestaltung Europas, für die Sicherung des Friedens. Das ist die schönste Aufgabe, die einem Volk überhaupt gestellt werden kann. Wir wollen versuchen, sie zu lösen."
Adenauers starke Parteiführung
Adenauer war das Idealbild eines starken Parteiführers. Machtwille, Durchsetzungsvermögen und Zielstrebigkeit werden ihm nachgesagt. Ungeachtet seines hohen Alters trat er selbstbewusst auf und beherrschte Debatten - mitunter, weil er vorher festlegte, nach welchem Muster sie zu verlaufen hatten.
Der "Alte", wie er in der Partei im Nachhinein anerkennend genannt wurde, hatte Führungsqualitäten, die nach wie vor verfangen dürften. Aber reichen die aus, um die CDU heute zu steuern? Was verrät der Blick auf die Persönlichkeiten, die die Geschicke der Bundes-CDU seit ihrer Gründung vor fast 70 Jahren gelenkt haben? Was braucht es, um die verhältnismäßig genügsame und seit Adenauer spöttelnd als "Kanzlerwahlverein" titulierte christdemokratische Basis bei der Stange zu halten?
"Das Amt des CDU-Parteichefs hat sich grundlegend gewandelt. Die CDU ist seit den 70er-Jahren eine professionelle Partei mit großer Mitgliederbasis, einem starken Parteiapparat, und all das gab es in den 50er-Jahren noch nicht."
Sagt Frank Bösch, der Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam und Geschichtsprofessor an der Universität Potsdam. Bösch hat eingehend über die Christdemokraten geforscht, sich auch dezidiert den Vorsitzenden der Partei gewidmet und ein als Standardwerk anerkanntes Buch über die Partei geschrieben.
Adenauer hatte in den direkten Nachkriegsjahren erste Posten in der CDU bekleidet. Nachdem er kurzzeitig sein einstiges Amt als Kölner Oberbürgermeister wieder übernommen hatte, knüpfte er vor allem informell Kontakte innerhalb der Partei. Anfang 1946 übernahm er den Vorsitz sowohl des CDU-Landesverbands Rheinland, dem damals wohl am besten organisierten Verband, als auch der CDU in der Britischen Zone — zwei Posten, die ihm halfen, seinen bundesweiten Führungsanspruch geltend zu machen. Andere Versuche etwa aus den CDU-Verbänden in Berlin oder Hamburg, die Union im Bund zu einen, drängte er zurück, wenn sie seiner Rolle gefährlich zu werden drohten.
Er rief eher die Landesvorsitzenden oder wohl gesinnte Parteifreunde zusammen, anstatt über die offiziellen Gremien zu gehen, wenn er Entscheidungen herbeiführen wollte. Der Beschluss, dass er Kanzler werden soll, fiel bei Adenauer zu Hause in Rhöndorf — ein entscheidender Schritt, um auch seine Macht in der Partei zu zementieren, sagt Frank Bösch.
"Als Adenauer Kanzler war, wurde die CDU vom Kanzleramt aus geführt. Man wusste in der CDU kaum, wie viele Mitglieder es eigentlich gab. Es gab keine Geschäftsstelle, da saßen vielleicht 60 Mitarbeiter. Und Adenauer hatte kaum Kontakt zu ihnen. Die Wahlkämpfe wurden aus dem Kanzleramt organisiert, und seine rechte Hand, Hans Globke, hat relativ viel für die Partei getan, Parteifinanzen organisiert, die Leute auf Linie gebracht, also war das eine völlig andere Zeit."
Die Gründung der Bundespartei und Adenauers Wahl als Bundesvorsitzender waren demzufolge eher eine Formsache. Die CDU-Delegierten huldigten ihrem Kanzler. Auch danach war es lange nicht die Parteistruktur, sondern das Kanzleramt, das die CDU lenkte und deren stärkste Machtbasis war. Die Bundesgeschäftsstelle durfte Wahlbroschüren zusammenstellen und Parteiveranstaltungen vorbereiten. Für Adenauer war sie kaum interessant, weil er in ihr nur ausführende Funktionäre sah, keine Politikgestalter.
Was nicht hieß, dass er die Partei vernachlässigte. Er band von Beginn an die heterogen besetzte Bundestagsfraktion ein, leitete zuweilen gar die Sitzungen des Fraktionsvorstands. Treffen des Bundesvorstands und des Bundesparteiausschusses eröffnete er mit ein- bis zweistündigen Lageberichten und setzte so von vornherein die Schwerpunkte, machte die eigene Position unmissverständlich klar. Auf gegenteilige Meinungen reagierte er direkt. Berühmt sind seine scharfen Briefe an Abweichler. Auch bei der Auswahl der Parteivorderen agierte er gezielt. Er wollte die unterschiedlichen konfessionellen und weltanschaulichen Lager und Milieus, die sich in der CDU versammelt hatten, gleichmäßig beteiligen und einen — vor allem die bis dahin scheinbar unversöhnlichen Katholiken und Protestanten.
"Wir seien und müssen stolz sein auf unsere Partei! Wir haben ein Recht darauf, stolz zu sein, denn wir haben in Wahrheit etwas Neues geschaffen in unserer Partei: Wir haben die beiden christlichen Konfessionen zusammengeführt!"
Der Bundesvorsitzende Adenauer hatte zu Beginn also keine gut organisierte Partei zu führen, sondern eher einen Dachverband unterschiedlicher Gruppen und Strömungen.
SPD und FDP zogen ihre Kraft daraus, Ressourcen und Interessen zu bündeln
Vehement wehrten sich die Landesverbände zu Beginn etwa gegen die Einsetzung eines Generalsekretärs. Das war ein großer Unterschied zu den Konkurrenten von der FDP und vor allem der SPD. Diese Parteien zogen ihre Kraft daraus, Ressourcen und Interessen zu bündeln. Die Sozialdemokraten waren bereits im Kaiserreich unter August Bebel und in der Weimarer Republik stolz auf ihre Organisationsstärke. Auch für Adenauers sozialdemokratischen Gegenspieler, Parteichef Kurt Schumacher, war seit seiner Wahl 1946 die Parteizentrale das Machtzentrum der SPD. Stärker als in der CDU habe die Aufgabe eines SPD-Chefs seit jeher darin bestanden, die inhaltlichen Linien der Sozialdemokraten vorzugeben, sagt der Historiker Paul Nolte von der Freien Universität Berlin.
"Diese Vorstellung, dass der Parteivorsitzende der SPD auch die Linien der Partei vorgibt, auch programmatische Grundsatzreden hält, sich programmatisch einlässt; natürlich auch vermittelt, auch Bebel war ein Vermittler seinerzeit zwischen dem revolutionären und dem reformistischen Flügel. Und das zeichnet ja auch den Erfolg einer solchen Parteiführerpersönlichkeit aus."
Ein Spagat, der die SPD-Vorsitzenden bis heute begleitet. Für den ehemaligen KZ-Häftling Kurt Schumacher war eine der existentiellen Aufgaben, die 1933 zerschlagene SPD wieder zu einer starken Mitgliederpartei zu machen und sich von den Kommunisten der KPD abzugrenzen - sich aber auch einer liberalisierten Marktwirtschaft entgegenzustellen. Seine Linie machte der Parteichef kurz nach seiner Wahl bei einem Auftritt in Hamburg klar.
"Dass in Zukunft die Demokratie in Deutschland sozialistisch sein muss oder gar nicht sein wird."
Mit Charisma und moralisch gestärktem Machtanspruch setzte Schumacher seine Linie in der Partei durch. Die Integration verschiedener Positionen galt nicht als seine Stärke. Diese Gabe kam zunehmend auch Konrad Adenauer zum Ende seiner Amtszeit abhanden.
Adenauers Nachfolger
Unter seinen Nachfolgern Ludwig Erhard, Kurt Georg Kiesinger und Rainer Barzel allerdings wurde deutlich, wie viel Geschick und Energie Konrad Adenauer aufgewandt hatte, um die Partei zu führen. Obwohl Erhard zu den beliebtesten Politikern im Land und in der Partei gehörte, vermochte er Debatten nicht zu lenken und seiner Partei kaum Richtung zu geben. Auch Kiesinger zeigte wenig Engagement und duldete die zarte Reform, die sich in der Partei ankündigte eher, als sie selbst voranzutreiben. Barzel schließlich, der die Partei übernahm, als sie nicht mehr an der Macht war, ließ unter den neuen Umständen politische Führung vermissen. Es war sein Scheitern, dass der CDU die Chance für Erneuerung bot.
"Im Grunde genommen haben wir bei der CDU zwei unterschiedliche Führungsstile gehabt: Wir haben diejenigen, Kohl, Adenauer und Merkel, die stark in der Partei verankert waren, die ausgleichend hineingewirkt haben, die aber trotzdem in entscheidenden Punkten auch immer wieder führungsstark auch in der Partei gewesen sind und vor allem eben auch das Amt des Kanzlers verbinden konnten mit dem Amt des Parteivorsitzenden. Dann haben wir aber dagegen die vier anderen, die sehr kurz Parteivorsitzende waren, Kiesinger, Barzel, Erhard und Schäuble, die in geringem Maße sich nur auf die Partei eingelassen haben, die teilweise keine Führungsstärke zeigten, wie insbesondere Erhard und Kiesinger, und die glaubten, man könne allein vom Kanzleramt bzw. vom Fraktionsvorsitz heraus die Partei führen."
Sagt CDU-Experte Frank Bösch vom Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam. Was also sollte in der Stellenbeschreibung für Parteivorsitzende der CDU stehen? Die Partei zähle historisch zu denen, die leichter zu führen sind als andere, sagt Bösch. Christdemokratische Vorsitzende müssten sich anders als in linken Parteien seltener auf politische Grundsatzdebatten einlassen. Die bürgerliche Prägung bringe ein stärkeres Bedürfnis nach Harmonie und Respekt mit sich. Das Mitgliedermilieu ist eher konfliktscheu im Vergleich zu denen, die ihre Wurzeln in der Arbeiter- oder der Umweltbewegung haben. Die Jungendorganisation Junge Union gilt nicht gerade als aufrührerisch. Spektakuläre Kampfabstimmungen und Proteste auf Parteitagen blieben Ausnahmen. Allerdings zeigen die genannten glücklosen Vorsitzenden, dass der Job kein Selbstläufer ist. Auch Angela Merkel musste diese Erfahrung machen.
"Zu diesem Profil CDU-Parteivorsitzender gehört tatsächlich in erster Linie eine starke und glaubwürdige Verankerung in der Partei. Das ist ja etwas, das aus der Außenwahrnehmung und der allgemeinpolitischen Wahrnehmung heraus unterschätzt wird. Dieses Hineinwirken, dieses Angedocktsein an die Stimmungslagen der Parteibasis, das ist nach wie vor ganz wichtig und vielleicht das entscheidende Kriterium."
Sagt Paul Nolte von der Freien Universität Berlin. Diese Nähe zur Basis und in alle Ränge der Partei perfektionierte Helmut Kohl. Als Reformer galt der Landespolitiker, der in Mainz vom Landtagsabgeordneten zum Ministerpräsidenten aufgestiegen war, als er erstmals 1971 - erfolglos - gegen den favorisierten Barzel ins Rennen um den Bundesparteivorsitz ging. In einer Diskussion mit Studenten beschrieb er, was ihn antrieb.
"Ich kennen die Partei, ich glaube, ich kenne auch einen Großteil ihrer Gebrechen und der Dinge, von denen ich glaube und viele meiner Freunde glauben, dass sie verändert werden können. Ich glaube, dass ich in der Lage bin, anhand der programmatischen Diskussion, die wir in den letzten Jahren geführt haben, mit dazu beizutragen, dass die prinzipielle Position der Union in diesen nächsten Jahren wesentlich deutlicher wird, und ich halte das für eine entscheidende Voraussetzung."
Kohls Ära
1973 schließlich gelang Kohl die Wahl zum Bundesvorsitzenden. Mit seinen beiden ersten Generalsekretären, Kurt Biedenkopf, dann Heiner Geißler - kluge Köpfe von außen, von denen er viele in die Union holte - nahm Kohl sich die Modernisierung der Parteistruktur vor. Die Parteizentrale stattete er mit mehr Geld und Personal aus. Dadurch konnte die Führung professionell mit der Basis kommunizieren. Unter Kohl wurde die CDU zu einer gut organisierten Mitgliederpartei.
"Und er hat vor allem die Programmdebatte der 70er-Jahre vorangetrieben. Es wurde erstmalig in der CDU 1978 ein Grundsatzprogramm verabschiedet. Und das eigentlich Besondere war, dass das Programm fünf Jahre lang diskutiert wurde. Das war ungewöhnlich für eine Partei, die bisher wenig Diskussionskultur hatte", sagt Frank Bösch. Allerdings verlief Kohls Vorsitz keineswegs konfliktfrei.
Als er bei der Bundestagswahl 1976 gegen Helmut Schmidt gescheitert war, als Fraktionsvorsitzender nach Bonn wechselte und seine Neigung offenbarte, Probleme auszusitzen, sprachen ihm nicht nur die Medien die Eignung zum Parteichef ab, auch die Schwesterpartei CSU schoss gegen ihn. CSU-Parteichef Franz Josef Strauß, der sich in seinen stundenlangen Aschermittwochsreden auch die Schwesterpartei vornahm, drohte gar mit Bruch der gemeinsamen Fraktion — ruderte aber zurück, als die CDU die Gründung eines bayerischen Landesverbands in Aussicht stellte. Nachdem Kohl die Wahl zum Bundeskanzler 1983 mit Rekordergebnis gewonnen hatte, baute er seine Macht in der Partei zügig aus. Rita Süssmuth, die er in sein Kabinett holte, lobt Kohl als Modernisierer.
"Der durchaus wusste, wo Lücken waren, wo etwas nachzuholen war. Er hat mit seinen Generalsekretären, Biedenkopf, Geißler, wirklich sich geöffnet für das, was in der CDU dazugelernt werden musste."
Kein anderer Parteichef hat sein Machtgefüge so sehr auf Personen aufgebaut, die ihm wohlgesinnt waren oder etwas zu verdanken hatten. Als Bundeskanzler hatte Kohl mehr Posten und Gefallen zu vergeben und - wie sich später herausstellte - auch Geld aus den schwarzen Kassen der Partei.
Er baute sein feines Netz aus Freunden und Verbündeten aus. Legendär sind seine Anrufe bei Kreis- und Landesvorsitzenden zum Geburts- oder Namenstag. Er stützte sich auf die Menschen, die Amt und Würden ihm zu verdanken hatten. So konnte er auch Widersacher einbinden. Aber obwohl er als Parteireformer gestartet war, wurde auch unter Kohl das Kanzleramt der Ort, an dem Entscheidungen fielen - nicht die Parteitage, Parteigremien oder der Fraktionsvorstand. Damit handelte Kohl ebenso wie der einst von ihm dafür kritisierte Adenauer.
Und obwohl der Oggersheimer selbst in einer Kampfabstimmung mit mehreren Kandidaten das höchste Parteiamt erklommen hatte, reagierte er empfindlich, als er selbst Konkurrenz witterte. Lothar Späth, der 1989 zu einer Gruppe um die Kohl-Zöglinge Heiner Geißler, Kurt Biedenkopf und Rita Süssmuth gehörte, die Kohl als Parteichef stürzen wollten, erinnerte sich:
"Ich habe zu spät wahrscheinlich erkannt, dass Helmut Kohl — das hätte ich schon erkennen müssen, rein fachlich — dass er die Partei, also jetzt nicht alle, dass er die Mehrheit der Partei ganz stark gebunden hat, eben durch die Art, wie er mit der Partei umgegangen ist. Der kannte jeden in der Partei persönlich, der hatte für jeden eine Geschichte. Und da war er einfach unschlagbar."
Die Zustimmungswerte der CDU waren Ende der 80er-Jahre gefallen und die Partei steuerte in eine Krise. Aber die Betreiber des "Putsches", wie Kohl die Initiative seiner Widersacher auf dem Bremer Parteitag nannte, waren schlecht auf dessen Gegenwehr vorbereitet. Sein Netzwerk hielt, die Partei goutierte keine Revoluzzer und der Königsmord war trotz fallender Gunst Kohls in der Partei abgeblasen. Kohl machte seinen Generalsekretär Heiner Geißler verantwortlich.
"Er hat eben das Problem gehabt, dass er den Titel des Generalsekretärs, den zweiten Teil des Wortes streichen wollte und der General sein wollte."
Als Angela Merkel ins Spiel kam
Die Krisenstimmung in der Partei im Sommer 1989 war mit dem Mauerfall beendet. Und mit seiner Inszenierung als Kanzler der Einheit war Kohls Stellung innerhalb der Partei zunächst unangefochten — bis einige Jahre später einem anderen Zögling Kohls dessen Sturz gelang. Bernhard Vogel, zu jener Zeit Ministerpräsident in Thüringen, beschrieb das Vorgehen der damaligen CDU-Generalsekretärin Angela Merkel genauso, wie Kohl zuvor Geißlers Sturzversuch geschildert hatte.
"Sie hat in der Tat das Amt mehr als Generalin denn als Sekretärin geführt."
Nachdem Kohl die Existenz schwarzer Kassen zwar eingeräumt, die Nennung der Spender aber verweigert hatte, weil er sein Wort gegeben habe, vollzog Merkel mit einem offenen Brief in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" den Bruch — und bewies damit, dass Kohl unwissentlich eine Nachfolgerin aufgebaut hatte, die ihm in ihrem Machtwillen und politischem Instinkt mindestens das Wasser reichen konnte — und in ihrem Gespür dafür, was in der Partei gefragt war.
"Ein Wort für etwas geben, was gleichzeitig bedeutet, dass ein Gesetz nicht eingehalten wird. Das ist etwas, was wir als eine Partei, die immer für Rechtsstaatlichkeit eingetreten ist, nicht aushalten."
Merkel wagte, aus der Parteidisziplin zu scheren und stand für Aufklärung und Neuanfang. Die Partei ergriff die Chance und wählte sie im Jahr darauf mit großer Mehrheit zur Bundesvorsitzenden.
So wie nun, 18 Jahre später wieder ein Neuanfang bevorsteht. Was muss passieren, damit die oft so genügsame Basis der CDU unruhig wird, die Geduld verliert? CDU-Forscher Frank Bösch hat es beobachtet:
"Probleme gab es jeweils, wenn die Zustimmungswerte fielen. Das war Anfang der 60er-Jahre so, als Adenauer an Beliebtheit verloren hat. Das war auch ab Mitte der 90er-Jahre so, als Helmut Kohls Stern nach der Wiedervereinigung deutlich sank. Und das war bei Angela Merkel auch so, als nach 2015 die CDU sich zwar immer noch im internationalen Vergleich sich gut halten konnte, aber sie natürlich nicht mehr die Werte erreichte, die sie einst hatte."
Das allein mag kaum überraschen. Keine Partei wird sinkende Zustimmungszahlen reglos akzeptieren. Besonders aber ist Wohl und Wehe der CDU, der selbsternannten Kanzlerpartei, die immer mehr pragmatische Partei als Programmpartei war, mit der Macht im Land verknüpft und mit dem, was im Regierungsamt machbar war.
Merkel verlangte der Partei grundlegende Modernisierungsschritte ab: Die Abschaffung der Wehrpflicht, der Atomausstieg und die Ehe für alle sind einige Beispiele. Sie sei aber an die Grenzen dessen gestoßen, was die Basis zu tragen bereit war, sagt Bösch.
"Viele hatten damit gerechnet, Angela Merkel würde über die Finanzkrise stolpern. Und nun war es die Flüchtlingsfrage, die dazu führte, dass die Parteimitglieder, die generell viel konservativer sind, als die Wähler der CDU, dass diese hier kritischer reagierten. Dass die Mitglieder konservativer sind, ist etwas, das eigentlich immer der Fall war. Und nun ergab sich ein Spagat zwischen den Wählern einerseits, die eine liberale CDU wünschen, und den Mitgliedern, der schwer zu meistern ist."
Merkel hat mit dem selbstgewählten Abgang die Fehler vermieden, die ihre Vorgänger machten, als sie zu lange an der Macht festhielten. Die CDU kann sich nun auf ihrem Hamburger Parteitag entscheiden: zwischen Annegret Kramp-Karrenbauer, Friedrich Merz oder Jens Spahn.