Die Kritik an Scheich Salman bin Ebrahim Al-Khalifa kam vor allem aus Europa und Nordamerika, so Tognoni. Die anderen Kontinentalverbände kümmerten sich nicht darum: "Die kritischen Stimmen gegen die FIFA, die kamen seit Jahren aus Europa, aus Nordeuropa vor allem, aus Deutschland, aus England und aus Nordamerika. Aber der Rest der Welt, der kümmert sich nicht so groß um die Zustände der FIFA. Die meisten Delegierten und die meisten Verbände, die waren immer glücklich mit dem Zustand der FIFA. Die könnten auch jetzt noch mit einer FIFA leben unter Sepp Blatter, weil das Geld floss, und mehr wollten sie nicht." Ob an den Menschenrechtsverletzungen etwas dran sei, sei schwer zu beurteilen. Es gebe allerdings Indizien, die dafür sprächen. Scheich Salman bin Ebrahim Al-Khalifa ist Chef des Asiatischen Kontinentalverbandes und Mitglied der bahrainischen Königsfamilie. Als zweiter Favorit gilt der Italiener Gianni Infantino.
"Es braucht einen unglaublichen Mentalitätswandel"
Auch die korrupten Strukturen des Weltverbandes seien vielen Mitgliedsverbänden egal, meint Tognoni. Wahrscheinlich seien einige der Delegierten käuflich. Die FIFA ohne Korruption sei derzeit schwer vorstellbar. Allerdings habe auch in anderen Sportarten Bestechlichkeit Einzug gehalten: "Die anderen Verbände können froh sein, dass sich derzeit alle auf die FIFA konzentrieren," so Tognoni. Die Korruption zu bekämpfen, sei schwierig, denn sie sei von Noch-Präsident Joseph Blatter nicht nur toleriert, sondern kultiviert worden: "Es braucht einen unglaublichen Mentalitätswandel. Das ist eine Daueraufgabe."
Das Gespräch in voller Länge:
Christoph Heinemann: Wenn am Wochenende die Schiedsrichter wieder Spiele der Fußball-Bundesliga pfeifen, dann tragen einige das Kürzel einer Organisation auf dem Trikot, die der Mafia ähnelt. So denkt jedenfalls die Justiz in den Vereinigten Staaten über die FIFA. Der mutmaßlich hoch korrupte Fußball-Weltverband schickt sich heute an, einen Nachfolger für Josef Blatter zu wählen. Über den muss man nicht mehr viel sagen. Über die beiden aussichtsreichsten Kandidaten für die Nachfolge umso mehr. Gianni Infantino, Schweizer, Generalsekretär des Europäischen Fußballverbandes UEFA, gilt nicht gerade als Reformer. Dem anderen, Scheich Salman al-Khalifa, werden schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Der scheint, die Nase zurzeit vorn zu haben.
Mit der FIFA kennt sich Guido Tognoni aus, der ehemalige Mediendirektor des Weltverbandes. Guten Morgen.
Guido Tognoni: Guten Morgen.
Heinemann: Herr Tognoni, kann die FIFA mit einem mutmaßlichen Folterhelfer leben?
Tognoni: Das ist richtig ein großes Problem für die FIFA. Die FIFA steht im Moment überall im Gegenwind. Die FIFA kämpft gegen den Ruf, eine kriminelle Organisation zu sein. Und die FIFA hat nun einen Kandidaten, der von Menschenrechtsorganisationen schwer angegriffen wird. Ob zu Recht oder zu Unrecht, können wir an dieser Stelle nicht beurteilen. Aber es gibt sicher Indizien dafür, dass die Menschenrechtsorganisationen recht haben. Und wenn die FIFA nun einen solchen Präsidenten wählt, dann steht sie erneut im Gegenwind, und das ist eigentlich das, wo die FIFA nicht stehen sollte.
"Die Kultur der Korruption hat im Sport überall Einzug gehalten"
Heinemann: Wie kann es sein, dass ein solcher Mensch Favorit ist?
Tognoni: Ja, da muss man sich vor Augen halten, wer alles wählt. Ich meine, wir schauen die FIFA vom eurozentrischen Weltbild aus an. Die kritischen Stimmen gegen die FIFA, die kamen seit Jahren aus Europa, aus Nordeuropa vor allem, aus Deutschland, aus England und aus Nordamerika. Aber der Rest der Welt, der kümmert sich nicht so groß um die Zustände der FIFA. Die meisten Delegierten und die meisten Verbände, die waren immer glücklich mit dem Zustand der FIFA. Die könnten auch jetzt noch mit einer FIFA leben unter Sepp Blatter, weil das Geld floss, und mehr wollten sie nicht. Jetzt steht die FIFA vor der Situation, dass den meisten Delegierten eigentlich egal ist, was die Leute über Menschenrechtsfragen denken, und es sieht danach aus, so mindestens heute Morgen, dass Scheich Salman gewählt wird. Dann hat die FIFA wirklich das große Image-Problem, dass sie, anstatt dass sie Ruhe hat und sich endlich neu formieren kann, wieder ständige Angriffe abwehren muss.
Heinemann: Herr Tognoni, für wie hoch halten Sie den Anteil der mutmaßlich käuflichen Wahlberechtigten heute bei der Wahl?
Tognoni: Mutmaßlich käuflich sind viele. Das ist nicht nur im Fußball so oder in der FIFA so; das ist im ganzen Leben so, das ist im täglichen Leben so weltweit und überall. Mutmaßlich käuflich sind viele. Warten wir mal ab, was wirklich geschieht. Was wirklich geschieht, wissen wir vielleicht erst in einigen Wochen oder überhaupt nie, aber jetzt müssen wir mal die Wahl vorübergehen lassen und wir müssen erst mal schauen, wie die FIFA reagiert, wie der Präsident reagiert. Wie die Öffentlichkeit reagieren wird, das wissen wir, aber wie sich dann der Präsident in der neuen Situation verhalten wird, sofern er gewählt wird, das wissen wir ja auch noch nicht.
Heinemann: Ist diese FIFA ohne Korruption vorstellbar?
Tognoni: Sehr schwierig. Die Kultur der Korruption hat im Sport überall Einzug gehalten und viele Verbände können im Moment sich glücklich schätzen, dass sich das Interesse der Weltöffentlichkeit auf den Fußball konzentriert und nicht auf ihre eigenen Verbände. Die Kultur der Korruption wurde von Sepp Blatter während Jahrzehnten toleriert, um nicht zu sagen kultiviert, und die bringt man vor allem nicht innerhalb weniger Monate und mit ein paar Erklärungen wieder weg. Den Mentalitätswechsel zu vollziehen innerhalb der FIFA, das ist eine Daueraufgabe und da wird man sehen, wer diese Aufgabe überhaupt bewältigen kann.
"Das sind Probleme, welche die FIFA nicht brauchen kann"
Heinemann: Was müsste sich konkret ändern?
Tognoni: Ein unglaublicher Mentalitätswandel, und es ist ja so, dass die FIFA im Moment Integritätsprüfungen macht. Sie wird das hoffentlich auch beschließen für Verbandspräsidenten in der heutigen Sitzung. Aber jetzt schauen wir auf das erste Problem: Dieser Scheich Salman hat die Integritätsprüfung der FIFA bestanden. Die FIFA hat ja alle Kandidaten geröntgt und der Salman ist auch durchgegangen. Man hat ihn als wählbar erklärt. Und kaum ist er Spitzenkandidat und es steht die Wahl an, da geht die Diskussion erst richtig los. Da sieht man, was für Probleme auf die FIFA warten in nächster Zeit, und das sind eigentlich genau die Probleme, welche die FIFA nicht brauchen kann.
Heinemann: Wie kann man die Spannung zwischen armen und reichen Verbänden verringern? Es gibt ja immer wieder diese Begehrlichkeiten und die Empfänglichkeiten armer nationaler Fußballverbände.
Tognoni: Es wird ja schon lange versucht, diese Diskrepanz zwischen Arm und Reich zu verändern. Die FIFA schüttet sehr viel Geld aus an die armen Verbände. Sie schüttet auch Geld aus an die reichen Verbände, nur brauchen die es eigentlich gar nicht. Aber man sieht es wie bei der normalen politischen Entwicklungshilfe: Sie nützt eigentlich gar nichts. Wir schicken ja Milliarden um Milliarden nach Afrika, ohne dass sich an der Lage der Afrikaner irgendetwas geändert hat, und im Fußball ist es sehr ähnlich. Wir müssen sehen: Der afrikanische Fußball hat zwar Geld bekommen, in den letzten Jahren immer mehr, aber Fortschritte hat er keine gemacht. Was mich eigentlich positiv stimmt bei Scheich Salman: Er sagt, ich möchte das Geld nur noch dorthin schicken, wo man es wirklich braucht. Der Deutsche Fußballbund zum Beispiel, der braucht das Geld der FIFA nicht. Die Schweizer auch nicht und viele andere Verbände auch nicht. Auf der anderen Seite könnte man vielleicht mit gezielter Hilfe, mit gezielter Entwicklungshilfe und nicht mit der Gießkanne, sondern mit dem Laserstrahl, mehr erreichen in Zukunft. Das ist jedenfalls das, was Scheich Salman versprochen hat.
"Der DFB ist absolut reformwillig"
Heinemann: Sie haben den DFB genannt. Auch bei der Vergabe der Fußball-WM nach Deutschland 2006 soll ja nicht alles mit rechten Dingen zugegangen sein. Halten Sie den DFB, den Deutschen Fußballbund für reformwillig?
Tognoni: Absolut. Der ist sicher reformwillig und es gibt sicher mehr Reformer beim Deutschen Fußballbund als in der FIFA. Und so viele Reformer braucht es ja auch nicht beim Deutschen Fußballbund. Das Problem war ja, dass der Deutsche Fußballbund die WM bei einem Gremium einholen musste und wollte, das nachweislich korrupt war. Ich meine, zwei Drittel des Exekutivkomitees in jenem Jahr, als die Entscheidung fiel, waren garantiert korrupt. Und wie soll der Deutsche Fußballbund gegen eine korrupte Institution die WM an Land ziehen, ohne dass sie nicht mitspielt das Spiel der FIFA.
Heinemann: Wieso gründen vernünftige Menschen keinen neuen Weltverband?
Tognoni: Das ist ein gutes Thema. Das hat man ja auch schon oft besprochen, alles abreißen und wieder neu wählen. Erstens einmal: Alles abreißen - es braucht eine 75-prozentige Mehrheit, um die FIFA aufzulösen. Es könnte allenfalls die Schweiz als Staat, in dem die FIFA zuhause ist, eingreifen und sagen, dieser Verband muss aufgelöst werden aus juristischen Gründen. Soweit sind wir allerdings noch nicht. Auf der anderen Seite muss man schon sagen, die FIFA hat ein großes Beharrungsvermögen. Die FIFA steht nun einmal da wie ein Fels in der Brandung. Der Fels wird umspült von hohen Wellen, wird angegriffen, erodiert ein bisschen, aber er steht immer noch. Und da muss man auch sehen: Bisher, bis vor wenigen Tagen gab es gar keine richtige Opposition gegen die FIFA. Jetzt sieht sich die FIFA konfrontiert mit dem neuen Liga-Verband und das ist erstmals eine mächtige, voraussichtlich mächtige Institution, welche, wenn sie nicht die Geschicke der FIFA selbst übernimmt, so doch der FIFA sehr, sehr gut auf die Finger schauen wird.
Verteidigung von Najeeb Chirakal: "Dazu kann ich stehen"
Heinemann: Herr Tognoni, wer die FIFA kritisiert, bekommt Ärger. Das erleben Sie selbst auch. Wenn man Ihren Namen bei einer bekannten Suchmaschine eingibt, dann stößt man schnell auf einen Artikel des "Züricher Tagesanzeigers", in dem Ihnen vorgeworfen wird, Sie hätten eine, wie es dort heißt, undurchsichtige Fußballfigur vor der FIFA-Ethikkommission juristisch vertreten: Najeeb Chirakal, ein Inder, früher rechte Hand des Kataris Mohammed Bin-Hammam, der ja in der Affäre um die WM 2022 eine Rolle spielen soll. Was antworten Sie jenen, die meinen, dass Ihre Glaubwürdigkeit als Kritiker der FIFA dadurch beeinträchtigt sei?
Tognoni: Diese Episode, in der ich Najeeb Chirakal verteidigt habe, das ist eine Episode, zu der kann ich stehen. Najeeb Chirakal ist ein kleiner Inder, ein Sekretär. Der hat viele Jahre für Bin-Hammam gearbeitet. Er war der Mann am Computer, was Mohammed Bin-Hammam nicht war. Er hat ausgeführt, was auszuführen war. Und das wäre etwa das Gleiche, wie wenn jemand angeklagt würde, er würde die Sekretärin von Sepp Blatter verteidigen. Najeeb Chirakal hat ein jahrelanges Verfahren am Hals, das nie vorangegangen ist, das nie beendet worden ist. Er konnte deshalb in Katar nicht wunschgemäß arbeiten, er hing in der Luft. Ich habe das als reinen Freundschaftsdienst getan, ich habe kein Geld bezogen, ich habe ihm ein paar Ratschläge gegeben und habe ein paar Mails geschickt. Das wurde natürlich von der FIFA dann genutzt, um zu versuchen, mich anzuschwärzen, aber das war ein völlig lächerlicher Versuch.
Heinemann: Guido Tognoni, der ehemalige Mediendirektor der FIFA. Der Fußball-Weltverband wählt heute einen neuen Präsidenten. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
Tognoni: Gern geschehen. Auf Wiederhören.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.