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Wahl Emmanuel Macrons
Historische Präsidentschaft muss sich noch weisen

Der jüngste Präsident und ohne eine eigene Partei im Rücken: Man könne die Wahl Emmanuel Macrons in vielerlei Hinsicht als historisch bezeichnen, sagte Thomas Maissen, Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Paris im DLF. Drängende Herausforderungen seien jetzt die Regierungsbildung und der Aufbau einer schlagkräftigen Partei.

Thomas Maissen im Gespräch mit Maja Ellmenreich |
    Der neue Präsident Frankreichs, Emmanuel Macron (7.5.2017)
    Der neue Präsident Frankreichs, Emmanuel Macron (AFP / Philippe Lopez)
    Maja Ellmenreich: Am 8. Mai feiern die Franzosen – die Fête de la Victoire, sie feiern den Sieg über das nationalsozialistische Deutschland, also das Ende des Zweiten Weltkriegs im Mai 45. Am heutigen 8. Mai steht in Frankreich aber noch ein anderer Sieg im Zentrum der Aufmerksamkeit: Der proeuropäische Emmanuel Macron hat sich mit über 65 Prozent der Wählerstimmen bei der gestrigen Stichwahl um das Präsidentenamt gegen seine Konkurrentin, die EU-Gegnerin Marine Le Pen, durchgesetzt.
    Das wahlkampferschöpfte Frankreich hat also – theoretisch – einen Feiertag Zeit zum Durchatmen – nach erbitterten Auseinandersetzungen zwischen den politischen Lagern. Der Wahlsieger Emmanuel Macron allerdings hat keinen Feiertag Zeit zu verlieren: Von ihm werden große Taten erwartet, schnelles Handeln – und das alles ohne eigene Partei im Rücken.
    Vor der Sendung habe ich mit Thomas Maissen telefoniert, dem Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Paris. Und zu Beginn haben wir darüber gesprochen, dass viele Beobachter und Kommentatoren die Wahl Macrons als "historisch" bezeichnet haben. Meine Frage an Thomas Maissen: Wie sehen Sie das als Historiker, der vielleicht qua Beruf eher zurückhaltend damit ist, Ereignissen eine historische Dimension zuzuschreiben? Lassen Sie das Wort in diesem Fall dennoch gelten?
    Thomas Maissen: Für die Wahl kann man das gelten lassen. Es ist der jüngste Präsident, wenn ich das richtig verstehe, seit Napoleon, der ja auch nicht Präsident war. Es ist eine Wahl, an der die beiden historischen Parteien der Fünften Republik nicht dabei waren. Es war eine Wahl, in der der Front National ein Drittel der Stimmen gemacht hat. All das ist tatsächlich historisch.
    Ellmenreich: Worin besteht denn für Sie in erster Linie diese historische Besonderheit dieser Wahl? Eben darin, dass ein 39-jähriger ehemaliger Investment-Banker ohne eine eigene Partei im Rücken, dass genau solch ein Kandidat ins Amt des Präsidenten in Frankreich gewählt wurde?
    Maissen: Ja, ich würde sagen – und das zeigt ja auch, dass wir das nicht überbewerten sollten, was jetzt passiert ist, denn die Herausforderung, die auf ihn zukommt, ist ja, sich diese Basis, die er noch nicht hat, aufzubauen, in den Parlamentswahlen vor allem, aber auch mit einer Regierungsbildung, auch mit dem Aufbau einer Partei. Er hat ja jetzt nur eine Bewegung hinter sich. Das ist alles so nicht gedacht in der Fünften Republik und ich denke, hier ist die Frage, wie weit eine historische Wahl auch tatsächlich zu einer historischen Präsidentschaft führen kann. Das muss sich erst noch weisen. Er ist völlig beschäftigt mit den unmittelbar drängenden Fragen, Regierungsbildung und Aufbau einer schlagkräftigen Bewegung, einer Partei, die sich in Wahlen durchsetzen kann.
    Ellmenreich: Thomas Maissen, Sie haben gerade gesagt, das ist so nicht gedacht in der Fünften Republik. Diese Fünfte Republik Frankreichs ist jetzt ja auch schon fast 60 Jahre alt. Ist es denkbar, dass dieser Neuanfang, dieser Umsturz, möchte man vielleicht sagen, dass der vielleicht auch sogar das Ende der Fünften Republik einläutet? Stehen so große Veränderungen an, die vielleicht sogar auch eine Verfassungsänderung bedeuten könnten?
    "Macron sollte keine Minute an eine Verfassungsänderung denken"
    Maissen: Das kann man nie ausschließen. Aber sehen Sie, die amerikanische Politik ist letztes Jahr auch umgewälzt worden und die amerikanische Verfassung, die älteste, die es gibt, seit über 200 Jahren, scheint mir eher zu einem Faktor der Stabilität geworden zu sein in der amerikanischen Konstellation.
    In Frankreich würde ich das gar nicht so unähnlich sehen, denn um eine Verfassung zu ändern, braucht man eine sehr stabile Mehrheit. Das hat ja Macron überhaupt nicht und ich würde an seiner Stelle keine Minute darauf verschwenden, an eine Verfassungsänderung zu denken, zumal diese Verfassung ja durchaus einem Präsidenten so viele Vollmachten gibt und so viele Kompetenzen gibt, dass er zur Not auch gegen das Parlament kann. Da kann sich der Präsident immer noch durchsetzen.
    Ellmenreich: Schauen wir noch mal auf gestern Abend. Der Ort der ersten öffentlichen Rede besitzt ja großen Symbolgehalt, verständlicherweise. Nun sprach Macron gestern Abend im Innenhof des Louvre zu seinen Anhängern, wie er sagte - an einem Ort, an dem sich alle Franzosen repräsentiert sehen. Was für eine Standortbestimmung hat er damit selbst vorgenommen? Wo reiht er sich da ein in der französischen Geschichte, wenn er den Louvre, den Innenhof des Louvre ausgewählt hat?
    "Macron ist ein Kind der französischen Elitenausbildung"
    Maissen: Es war ja auch ein bisschen eine Negativwahl. Das ist nicht ganz zufällig oder vielleicht bezeichnend jetzt auch für Emmanuel Macron. Er wusste, was er nicht wollte, nicht die allzu populären Orte Bastille, Republique, nicht die allzu schicken reichen Orte wie die Concorde, wo Sarkozy gefeiert hatte. Er wollte eigentlich nicht gleich zum Louvre, sondern hatte Champs de Mars im Auge, und da hat die Stadtpräsidentin gesagt, sie will diesen Rasen da nicht kaputt treten lassen. Ich glaube nicht, dass man den Ort Louvre überinterpretieren soll. Der ist auch nicht ganz so geeignet für einen Massenaufmarsch. Aber man kann natürlich dann immer etwas daraus machen, und das hat er ja auch gesagt – die Pyramide im Louvre als neues Element, etwas was zum Aufbruch aufruft, gleichzeitig die Mauern, die schon seit Jahrhunderten da sind. Aber wenn man das wirklich historisch interpretieren wollte, dann müsste man ja die Brücke schlagen zu Philipp August im 13. Jahrhundert, zu den französischen Königen, die das ausgebaut haben, zu Napoleon, der da auch aktiv war. Mir scheinen das alles Bezugspunkte zu einem monarchischen Frankreich, das irgendwo im 19. Jahrhundert dann aufgehört hat, und das würde ich nicht überstrapazieren, sondern eher den Versuch unterstreichen, hier auf Distanz zu gehen zu den traditionellen Parteilagern links und rechts.
    Ellmenreich: Aber doch definitiv die Nähe zur Kultur zu suchen, rein geographisch in diesem Falle. Er hat gestern Abend auch die Kultur und die Bildung, den Humanismus und die Aufklärung angesprochen. Werden das jetzt gute Zeiten für die Kultur in Frankreich sein? Kündigt sich da ein "Kulturwandel" an?
    Maissen: Das würde mich überraschen. Ich glaube, in der Hinsicht ist Macron sehr ein Kind der französischen Schulen, der französischen Eliteausbildung, der auch den Rest der Welt ein bisschen kennt, insofern kulturoffen ist. Aber das können wir nun seinen Vorgängern tatsächlich auch nicht absprechen. Ein Bruch in kultureller Hinsicht, auch im Bildungswesen wäre es gewesen, wenn Marine Le Pen an die Macht gekommen wäre, die ja einen sehr starken nationalistischen Kurs gefahren wäre, auch auf traditionellen Werten, auswendig lernen, starke Pflege der eigenen Sprache und auch wenig Unterstützung oder keine Unterstützung für Künstler, die ihre künstlerische Freiheit so interpretieren, dass sie nicht mit der Meinung der regierenden Partei übereinstimmen. Das wäre ein Bruch gewesen. Bei Emmanuel Macron würde ich auch hier die Wahl des Louvre nicht als einen programmatischen Standpunkt interpretieren.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.