Im Gespräch mit Bürgern habe man immer wieder gehört, das Verhalten der CSU gegenüber der CDU, sei eine Ursache für den Vertrauensverlust, betonte Wellmann. Ohne die Schwesterpartei ginge es aber auch nicht. Stattdessen sollte die CSU-Spitzen in der Bundespolitik Verantwortung übernehmen. Doch genau das scheuten Horst Seehofer und Markus Söder bislang. "Wir müssen uns endlich zusammenraufen."
Für die andauernde Kritik der CSU zeigte Wellmann Unverständnis. Auch beim Thema Flüchtlingspolitik sei man "erfolgreich", so kämen kaum noch Einwanderer und die Situation in den Flüchtlingsunterkünften entspannten sich. Kein Politiker wolle einen "unbegrenzten Flüchtlingszustrom, unterstrich der CDU-Politiker, "auch Angela Merkel nicht".
Die Bundeskanzlerin habe das Land gut regiert, Wellmann verwies Rekordbeschäftigung und Wirtschaftswachstum. Doch es klaffe eine "Lücke zwischen den Erfolgen der Regierung und dem Bewusstsein der Menschen".
Bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus habe selbstverständlich auch die Landespolitik eine Rolle gespielt: "Wenn man nach fünf Jahren Regierungsbeteiligung das historische schlechteste Ergebnis einfährt, kann man nicht sagen, man hat alles richtig gemacht", sagte Wellmann im Deutschlandfunk.
Das Interview in voller Länge:
Christiane Kaess: 3,5 Millionen Einwohner hat Berlin. 2,5 Millionen konnten gestern ihre Stimme bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus abgeben. Und ein Teil von ihnen hat seine Stimme der AfD gegeben. Die Rechtspopulisten kamen aus dem Stand auf ein zweistelliges Ergebnis: 14,2 Prozent - und das in einer Stadt, die als weltoffen und multikulturell gilt.
Am stärksten von den etablierten Parteien hat die CDU an die AfD verloren. Die CDU ist bekanntlich raus aus der Regierung in Berlin. Auch im Bundesrat verliert sie damit an Stärke. In Berlin ist es das schlechteste Ergebnis in der Berliner Geschichte der CDU. Über all dies sprechen möchte ich mit Karl-Georg Wellmann. Er ist Bundestagsabgeordneter der CDU und er hat ein Direktmandat für den Berliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf. Guten Morgen, Herr Wellmann.
Karl-Georg Wellmann: Guten Morgen aus Berlin.
Kaess: Herr Wellmann, was ist da wieder einmal falsch gelaufen?
Wellmann: Ja da gibt es nicht eine Ursache. Da gibt es externe und interne Ursachen. Intern, was die Berliner Union und uns angeht hier, und externe, was den Bund angeht.
Wenn man nach fünf Jahren Regierungsbeteiligung, Senatsbeteiligung das historisch schlechteste Ergebnis einfährt, dann kann man nicht sagen, man hat alles richtig gemacht.
Kaess: Was ist falsch gemacht worden?
Wellmann: Wir haben von den Meinungsforschern gehört, dass das Wahlergebnis mit vier bis fünf Prozent aus dem Bund kommt, vom Bund beeinflusst ist. Da gibt es auch eine Fülle von Ursachen. Nicht zuletzt - das haben wir auf der Straße immer wieder gehört beim Wahlkampf jetzt in den letzten Tagen und Wochen - das, was Horst Seehofer gegen die CDU unternommen hat. Er hat ja nichts unversucht gelassen, die CDU schlechtzureden.
Kaess: Also Horst Seehofer ist schuld?
Wellmann: Nein, nein! Das ist eine der Ursachen, eine der Ursachen. Wir haben schlichtweg vergessen - das war das schlechte Auftreten der CDU auf Bundesebene -, die Erfolge herauszustellen, die wir haben. Wir haben ja eine völlig paradoxe Situation. Dem Land geht es noch nie so gut wie bisher, in der Beschäftigung, in den Steuereinnahmen, der Flüchtlingsstrom ist gestoppt. Warum sagt eigentlich niemand, dass in diesem Jahr über 60.000 Flüchtlinge zurückgehen in ihre Heimat? Warum sagt niemand, dass über 100.000 Abschiebungen erfolgen werden?
Kaess: Warum hat es die CDU denn nicht gesagt, oder warum hat sie es den Wählern nicht klar machen können?
Wellmann: Ja genau! Die Frage stelle ich ja gerade, was wir auch auf Bundesebene falsch gemacht haben und was wir anders machen müssen.
Kaess: Vielleicht haben Sie eine Antwort, Herr Wellmann.
Wellmann: Noch keine so schnell. Wir müssen die Kommunikation verbessern. Wir brauchen vielleicht auch mal frische Gesichter auf Bundesebene. Die Politik war zu viel - das sage ich hier ganz offen - auf Stromlinie aus. Wir müssen neue Köpfe, ich meine nicht an der Spitze, sondern wir müssen neue Köpfe dem Bürger präsentieren. Etwas muss sich ändern. So kann es jedenfalls nicht weitergehen.
"Wir müssen etwas ändern an der Kommunikation"
Kaess: Herr Wellmann, es ist ganz offensichtlich geworden und das steht ja heute Morgen im Vordergrund, dass die CDU immer noch kein Rezept gegen die Rechtspopulisten der AfD gefunden hat. Die AfD hat ein Thema: Das ist die Flüchtlingspolitik. Sie muss noch nicht einmal richtig Wahlkampf mehr machen, denn sie hat in Berlin gar keine großartigen Veranstaltungen gemacht. Sie muss quasi nur noch Stimmung aufgreifen und das Ganze in Wahlerfolge verwandeln. Wie große Sorgen macht Ihnen das?
Wellmann: Uns allen muss große Sorgen machen, dass rechtspopulistische Parteien diese Erfolge haben, die ja mit der wirklichen Lage kaum noch was zu tun haben. Im letzten Monat sind nur noch 4.000 Flüchtlinge gekommen. Wir haben eine starke Entspannung selbst in Berlin in vielen Flüchtlingsunterkünften. Wir können Turnhallen zurückgeben, die bisher für Flüchtlinge genutzt waren. Aber das müssen wir deutlicher machen.
Eins will der Bürger nicht, weder in Berlin, noch im Bund, dass sich Regierungsparteien ununterbrochen streiten. Wir haben auch in Berlin ja eine erfolgreiche Koalitionsbilanz, die sich sehen lässt: 100.000 neue Arbeitsplätze, tausend neue Polizisten, 4000 neue Lehrer und so weiter. Also wir müssen etwas ändern in der Kommunikation, und dazu braucht es auch an der einen oder anderen Stelle neue Köpfe.
"Beim Asyl können Sie keine Obergrenzen machen, weil die Verfasung dagegen ist"
Kaess: Aber bei allem, was Sie jetzt genannt haben, Herr Wellmann, ist es ja dennoch so, dass die Stimmung einfach gegen Angela Merkels Flüchtlingspolitik da ist. Wie oft muss die AfD noch so gut abschneiden, bevor die Union Angela Merkel zu einem Kursschwenk in der Flüchtlingspolitik bringt?
Wellmann: Na ja, ich frage mich, welchen Kursschwenk meinen Sie? Wir haben ja den Flüchtlingsstrom gestoppt. Die Balkan-Route ist verstopft, es kommt keiner mehr.
Kaess: Vielleicht den Kursschwenk, den die CSU immer noch fordert?
Wellmann: Ich weiß gar nicht, was die CSU fordert. Wir haben faktisch die Begrenzung. Es kommen ja viel weniger Flüchtlinge.
Kaess: Wir haben keine Obergrenze zum Beispiel.
Wellmann: Im letzten Monat waren es noch 4.000. Beim Asyl können Sie keine Obergrenze machen, weil die Verfassung dagegen ist. Sie können nur faktisch eine Politik machen, dass weniger Flüchtlinge kommen, und das tut Angela Merkel. Die Erfolge sind ja da, wir müssen sie nur besser in der Öffentlichkeit vertreten und deutlich machen, wie erfolgreich die Politik bisher war. Das nervt, dass das nicht passiert ist bisher. Wir haben große Sicherheitspakete, Asylpakete gemacht, ein Integrationsgesetz und vieles andere mehr, was wirkt. Nur das müssen wir deutlicher machen und nicht immer darum herumreden.
"CDU und CSU müssen sich endlich zusammenraufen"
Kaess: Wenn ich Sie richtig verstehe, Herr Wellmann, dann sagen Sie durchaus, dass die Attacken aus Bayern die Unions-Wähler demoralisiert haben. Wäre es dann nicht an der Zeit, die Konsequenzen zu ziehen und zu sagen, die CDU muss zur Not auch ohne die CSU auskommen?
Wellmann: Nein. Das war ja immer der gemeinsame Erfolg. Nur wenn die CSU meint, es wird alles falsch gemacht, dann frage ich mich, warum das in der Fraktion, in der Bundestagsfraktion nie diskutiert wird. Warum holt man eigentlich nicht Horst Seehofer ins Bundeskabinett und sagt, wenn du alles falsch findest, dann wirst du Innenminister und kannst alles besser machen. Die Verantwortung scheut man ja. Herr Söder macht alle möglichen Vorschläge, drückt sich aber, wenn es darum geht, nach Berlin zu kommen.
Ich kann unserer Bundesführung nur raten: Der Wähler will das nicht. Er will nicht, dass die sich ständig streiten. Er wollte es weder hier im Berliner Senat, noch will er es auf Bundesebene. Wir müssen uns endlich zusammenraufen, die Erfolge gemeinsam vertreten und uns nicht schlecht reden. Das gilt übrigens auch für die SPD, die ja ein historisch dramatisch schlechtes Ergebnis hier in Berlin eingefahren hat.
Kaess: Ja, aber jetzt reden wir über die CDU. Bitte, Herr Wellmann. Und jetzt muss ich schon mal fragen, weil Sie schieben jetzt die ganze Zeit die Schuld für den Streit oder die Kontroverse in der Union auf Horst Seehofer. Sie selber haben ja auch kritisiert, dass Angela Merkel festhält an ihrem "Wir schaffen das!".
Wellmann: Ja. Das "Wir schaffen das!" ist im Grunde nicht falsch, weil sie kann ja nicht sagen, wir schaffen das nicht. Und faktisch haben wir es auch geschafft. Aber die Bürger draußen - das haben wir immer wieder jetzt im Wahlkampf erfahren - assoziieren mit dieser Formel "Wir schaffen das!", es können noch mehr kommen, wir sind offen für alle, was ja gar nicht mehr der Fall ist. Keiner, kein verantwortlicher Politiker, schon gar nicht Angela Merkel, will unbegrenzten Flüchtlingszustrom haben. Und deshalb haben wir ja den Zustrom gestoppt. Deshalb kommen ja kaum noch welche. Dieses müssen wir nur deutlich vertreten und wenn die Wähler uns in dieser Weise abstrafen, wie es jetzt wieder in Berlin passiert ist, dann haben wir irgendwas falsch gemacht, mindestens in der Kommunikation.
"Es klafft eine Lücke zwischen den Folgen dieser Regierung und dem Bewusstsein der Menschen"
Kaess: Aber, Herr Wellmann, es ist ja ganz offensichtlich, dass das Vertrauen in die CDU weg ist, und in diesem Zusammenhang ist nicht der Rückzug Merkels die einzige und letzte Chance noch für die CDU?
Wellmann: Nein. Angela Merkel hat ja das Land sehr, sehr gut in den letzten zehn, zwölf Jahren regiert. Sonst stünden wir doch nicht da, wo wir jetzt dastehen.
Kaess: Aber das ist vorbei!
Wellmann: Nein, das ist überhaupt nicht vorbei. Wir haben Rekorde bei der Beschäftigung, wir haben 43 Millionen Arbeitsplätze, wir sind mit dem Wirtschaftswachstum an der Spitze Europas. Alle Umfragen sagen, Allensbach hat das ja neulich festgestellt, dass die Leute gar keine Sorgen mehr um ihren Arbeitsplatz, um ihre Rente haben. Fünf Prozent Rentenerhöhung hatten wir. Also es klafft eine Lücke zwischen den Erfolgen dieser Regierung und dem Bewusstsein der Menschen, und da müssen wir ansetzen.
"Ohne Angela Merkel sehe ich im Moment kein Vorankommen für die Union"
Kaess: Das heißt auch für Sie ganz klar, Angela Merkel muss wieder Kanzlerkandidatin werden?
Wellmann: Ich sehe da überhaupt keine Alternative. Ein Rückzug von ihr hätte jetzt katastrophale Folgen für uns. Wir müssen die gemeinsamen Erfolge, die wir ja erzielt haben in den letzten zwölf Jahren, elf Jahren Bundesregierung, die müssen wir gemeinsam vertreten. Man kann immer noch was besser machen. Aber ohne Angela Merkel sehe ich im Moment kein Vorankommen für die Union.
Kaess: ... sagt der Berliner Bundestagsabgeordnete Karl-Georg Wellmann von der CDU. Danke schön für dieses Gespräch heute Morgen, Herr Wellmann. Danke für Ihre Zeit.
Wellmann: Danke Ihnen! - Tschüss!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.