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Wahl in Berlin
Warum wählt Marzahn-Hellersdorf nicht mehr links?

Der Osten wählt rot, das war fast 30 Jahre lang eine unverbrüchliche Wahrheit in Berlin. Doch bei der Bundestagswahl 2021 ging das Direktmandat in Marzahn-Hellersdorf das erste mal nicht an die Linke - sondern an die CDU. Wie ist es dazu gekommen? Eine Spurensuche.

Von Claudia van Laak |
Berlin Marzahn-Hellersdorf die Gärten der Welt, Park am Blumberger Damm - Panorama, Blick über den grünen Bezirk Marzahn-Hellersdorf Berlin Marzahn-Hellersdorf *** Berlin Marzahn Hellersdorf the gardens of the world, park at Blumberger Damm panorama, view over the green district Marzahn Hellersdorf Berlin Marzahn Hellersdorf
Plötzlich konservativ: Berlin Marzahn-Hellersdorf im ehemaligen Osten der Stadt (IMAGO I Jürgen Ritter)
Hier wird gerade aufgeräumt. Präsentkörbe für den frisch gewählten CDU-Bundestagsabgeordneten stehen neben Kisten mit Kochschürzen, in der Ecke ein Stapel mit Wahlplakaten. Das Bürgerbüro der CDU Wuhletal.
"Hier sah's chaotisch aus." Mario Czaja heißt der direkt gewählte CDU-Bundestagsabgeordnete, der Petra Pau von der Linken im Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf verdrängt hat. Der 46-Jährige ist hier geboren, Sohn eines Elektrikers und einer Krankenschwester, er war Berliner Gesundheitssenator und saß lange Jahre im Abgeordnetenhaus.

Generalstabsmäßig geplanter Wahlkampf

Den jetzigen Wahlkampf hat er generalstabsmäßig geplant, an der Wand eine Karte seines Wahlkreises, die Straßen farbig markiert – wer hat wann wie gewählt, wo wohnen die potentiellen Wähler. Auf einem Schreibtisch liegt ein Stapel Zettel, auf denen die Marzahner ihre täglichen Ärgernisse notiert haben. Die falsche Ampelschaltung, der fehlende Zebrastreifen.
Wahlchaos in Berlin - Muss die Wahl wiederholt werden?
Die Pannen beim Ablauf der Wahl in Berlin sind offenbar so groß, dass sie einen Einfluss auf die Zusammensetzung des Abgeordnetenhauses haben. Aber wer trägt die Verantwortung für das Chaos? Und wer entscheidet nach welchen Kriterien, ob die Wahl wiederholt werden muss?
"Während andere Parteien und insbesondere die Linke während der Corona-Zeit ihre Büros geschlossen haben, haben wir neue eröffnet. Auch um die praktische Alltagshilfe zu geben. Und ich glaube, dass ist eines unserer Erfolgsrezepte nicht der letzten Monate, sondern der letzten Jahre."
Berlin Marzahn-Hellersdorf OT Mahlsdorf CDU Bürgerbüro von Mario Czaja in der Höhnower Straße Berlin Marzahn-Hellersdorf *** Berlin Marzahn Hellersdorf OT Mahlsdorf CDU office of Mario Czaja in Höhnower Straße Berlin Marzahn Hellersdorf
Abseits ideologischer Schlachten: Das Bürgerbüro von Mario Czaja (IMAGO I Jürgen Ritter)
Czaja wühlt in einem Stapel Wahlplakate – dass er und sein Team für das Abgeordnetenhaus und den Bezirk Christdemokraten sind, wird erst beim zweiten Hinsehen deutlich. Eigene Farben, eigene Wahlslogans, nur winzigklein oben rechts in der Ecke das CDU-Logo.
"Unsern Wahlkampf haben wir in diesem eigenen Layout betrieben, das ist richtig, und haben unsere eigenen Themen in den Mittelpunkt gestellt."

Werbespots in russischen Medien

Lokale Themen wie das fehlende Schwimmbad in Marzahn-Hellersdorf, die mangelnde Versorgung mit Ärzten, überfüllte Kitas. Mario Czaja hat sich auch bewusst um die vielen zehntausend Russlanddeutschen in den Plattenbauten gekümmert, von denen viele in den letzten Jahren AfD wählten. Er eröffnete ein deutsch-russisches Büro, das beim Beantragen von Corona-Hilfen und Ausfüllen von Kurzarbeitergeld-Anträgen unterstützte – schaltete Werbespots in russischen Medien.
Der speziell auf eine russischsprachige Klientel ausgerichtete Wahlkampf hat sich gelohnt – die AfD verlor in Marzahn-Hellersdorf, die CDU gewann.
Der Vorsitzende des Zukunftsforums der Berliner CDU, Mario Czaja, spricht am 09.06.2017 in der Landesgeschäftsstelle der CDU Berlin bei einer Pressekonferenz. Die Themen der Konferenz sind unter anderem die Ergebnisse der Mitgliederbefragung, Schlussfolgerungen nach der verlorenen Abgeordnetenhauswahl, zudem wird über das Verfahren des anstehenden Mitgliederentscheids zur Zukunft des Flughafens Tegel informiert. Foto: Lino Mirgeler/dpa
Um der AfD Stimmen abspenstig zu machen, schaltete er sogar Werbungen in russischen Medien: Mario Czaja, CDU Berlin (picture alliance / Lino Mirgeler/dpa)
Dass sich Mario Czaja mehr um die kleinen Alltagsprobleme der Marzahner gekümmert hat als ideologische Schlachten zu schlagen, das scheint auch frühere Wählerinnen und Wähler der Linkspartei überzeugt zu haben.

Keine Heimat mehr bei der Linkspartei?

"Bei meinen Kiezgesprächen in Marzahn kamen Menschen zu mir, die früher nicht zu CDU-Veranstaltungen gekommen sind. Die sagten, ich wohne schon immer in Marzahn, die ihre Wohnungen als Auszeichnungen bekommen haben, die häufig staatsnah waren und aus der tiefen Verbundenheit häufig die Linkspartei gewählt haben. Und sie sehen da keine Heimat mehr, sie sagen, die Linkspartei kümmert sich nur noch um die Innenstadt."
Beim CDU-Bürgerbüro um die Ecke steht eine Litfaßsäule, darauf ein Wahlplakat der Linken. Das Foto einer typischen Plattenbausiedlung, darüber der Slogan: "Das ist Berlin. Die Linke". Marzahn-Hellersdorf hat auf allen Ebenen lange Jahre links gewählt – Bezirk, Land, Bundestag. Im Rathaus saß eine linke Bürgermeisterin, die jetzt in Rente geht. Nachfolgerin wollte die derzeitige Stadträtin Julia Witt werden. Sie glaubt, dass ihre Partei im berlinweiten Wahlkampf teils die falschen Akzente gesetzt hat.
Franziska Giffey, Spitzenkandidatin der Berliner SPD für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin, steht bei der Wahlparty der Berliner SPD in Kreuzberg auf der Bühne
Wahl in Berlin - Die SPD ist stärkste KraftLaut dem vorläufigen Endergebnis wurde die SPD mit Franziska Giffey bei der Wahl in Berlin als Spitzenkandidatin stärkste Kraft. Deutlich zulegen konnten die Grünen mit Bettina Jarasch.
"Für uns ist sicher das beim Thema Mobilität am deutlichsten. Wir reden in der Innenstadt über eine Mobilität, wo Fahrradfahren und ÖPNV ganz wichtig sind. Hier bei uns fahren die Leute Auto und nehmen dieses Thema als fern von ihrer Lebensrealität war."
Bürgermeisterin wird nun vermutlich eine CDU-Politikerin aus dem Team Czaja, die Linke wird wohl nur einen Stadtratsposten besetzen können. Ähnlich auf Landesebene – hier hat die CDU drei Direktmandate geholt.

Immer weniger Wahlkämpfer

Manuela Schmidt von der Linkspartei hat in ihrem Wahlkreis 7 Prozentpunkte verloren, das Mandat trotzdem direkt gewonnen. "Also erstmal will ich jetzt tief durchatmen", sagt die 58-Jährige. Und hofft: "Dass wir uns nicht gegenseitig die Augen auskratzen, sondern dass wir eine Analyse machen, was wir im Bezirk leisten können und wo wir Land und Bund brauchen."
Der Bundestrend war diesmal gegen die Linke. Und einen weiteren Grund für die starken Verluste gibt es – von Mal zu Mal sind es weniger Wahlkämpfer. "Die Zahl der Mitglieder hat sich dramatisch verringert, wir haben in den letzten 20 Jahren zwei Drittel unserer Mitglieder verloren, wir haben sehr viele alte und nur sehr wenige junge Mitglieder." - Manuela Schmidt bleibt dabei: Die Linke ist die Partei der Kümmerer. Doch das Kümmern hat inzwischen auch die CDU in Marzahn-Hellersdorf gelernt.