Samstagmorgen in der Innenstadt von Sarajevo: Durch die schmale "Saraci" Gasse, vorbei an eng aneinandergereihten Imbisslokalen, kleinen Verkaufsständen, Geldwechselstuben und Postkartenständen schlendert ein nahezu nicht abreißender Strom von Touristen und Einheimischen, vorbei an den Torbögen zum Innenhof der Gazi Husrev Beg Moschee und der gegenüberliegenden Koran-Schule.
Ein Rentner steht ein wenig am Rande des samstäglichen Treibens, im Schatten der Markise eines Schmuckladens. Er hat sein ganzes Leben in Sarajevo verbracht, arbeitete in einem staatlichen Unternehmen in der Ein- und Ausfuhrabteilung. Was er mit seiner Lebenserfahrung von den Parlamentswahlen am 7. Oktober erwarte?
"Nichts. Ich erwarte nichts. Ich denke, dass es nicht zu großen Veränderungen kommen wird."
Nichts! Eine Antwort, die später in allen Landesteilen Bosnien-Herzegowinas zu hören sein wird: In der Föderation Bosnien und Herzegowina, in der rund 70 Prozent Bosniaken, die bosnischen Muslime, leben sowie mehr als 20 Prozent bosnische Kroaten. Und genauso in der Republika Srpska, in der ganz überwiegend bosnische Serben wohnen und die 49 Prozent der Gesamtfläche des Landes ausmacht.
"Nichts. Ich erwarte nichts. Ich denke, dass es nicht zu großen Veränderungen kommen wird."
Nichts! Eine Antwort, die später in allen Landesteilen Bosnien-Herzegowinas zu hören sein wird: In der Föderation Bosnien und Herzegowina, in der rund 70 Prozent Bosniaken, die bosnischen Muslime, leben sowie mehr als 20 Prozent bosnische Kroaten. Und genauso in der Republika Srpska, in der ganz überwiegend bosnische Serben wohnen und die 49 Prozent der Gesamtfläche des Landes ausmacht.
"Alles dreht sich jetzt um die nationale Zugehörigkeit"
Was sich denn ändern müsse? Der Rentner hat in seiner Geburtsstadt alles erlebt: Die jugoslawische Zeit, von der viele, nicht nur die Alten, als der "guten Zeit unter Tito" sprechen, den Ausbruch des Kriegs Anfang der 90er-Jahre, die 44 Monate andauernde Belagerung und den verheerenden Beschuss der Stadt durch serbische Einheiten, den Waffenstillstand und das äußerst unvollständige Daytoner Abkommen, die später erfolgte de facto Teilung Bosnien-Herzegowinas auf unabsehbare Zeit entlang der ethnischen Bevölkerungsgruppen, deren Empfinden noch von den nicht vernarbten Erinnerungen an getötete Familienmitglieder und Freunden geprägt ist.
All das hat er erlebt - und daher kommt er mit Blick auf den bevorstehenden, wie er sagt, folgenlosen Urnengang zu dieser Einschätzung: "Alles dreht sich jetzt um die nationale Zugehörigkeit. Früher war das überhaupt nicht so wichtig. Damals haben alle alles gefeiert: Muslimische Feiertage, Weihnachten, Ostern. Damals war es nicht so wichtig und jetzt dreht sich alles um diese nationale Zugehörigkeit."
Mit seiner einjährigen Tochter im Kinderwagen, deren rot-weiß gepunktetes Sonnenhütchen schon ein wenig verrutscht ist, spaziert der 36-jährige Damir durch die Innenstadt:
"Ich erwarte keine großen Veränderungen. Es werden die gleichen nationalistischen Parteien gewählt. Die nationalistische Rhetorik ist wieder stark. Also, ich erwarte nichts."
"Ich erwarte keine großen Veränderungen. Es werden die gleichen nationalistischen Parteien gewählt. Die nationalistische Rhetorik ist wieder stark. Also, ich erwarte nichts."
Höchste Arbeitslosigkeit auf dem Westbalkan
Dabei, so sagt der fast zwei Meter große Mann, gehöre er zu den vielleicht fünf Prozent der Bevölkerung, denen es gut gehe: Er habe einen Job in der Telekommunikations-Branche, sein Frau sei Pharmazeutin und ebenfalls berufstätig. Aber wenn er die Lage seiner Nachbarn ansehe, dann könne es ihm einfach nicht gut gehen. In keinem anderen Land auf dem Westbalkan ist die Arbeitslosenquote so hoch wie in Bosnien-Herzegowina - derzeit liegt sie bei knapp 39 Prozent und sinkt nur wegen der anhaltend starken Auswanderung.
Für den jungen Familienvater müsste - und er betont "müsste" - sich vor allem auf diesem Gebiet etwas tun: "Die Wirtschaftslage sollte sich ändern. Aber leider sprechen unsere Politiker davon nur vor den Wahlen, von den großen Wirtschaftsreformen, von der EU und NATO. Aber sobald die Wahlen vorbei sind, denken sie überhaupt nicht mehr daran."
Mit den gegenwärtigen Politik-Personal im Land könne man keinen Staat machen, kann Damir noch sagen, bevor er weiter muss - und schon gar nicht in Bosnien-Herzegowina mit seinen drei nationalistischen Parteiführern der Kroaten, Bosniaken und Serben und deren folgsamen Polit-Funktionären.
"Wir brauchen neue Anführer, neue Politiker. Junge Menschen, die am besten im Ausland studiert und etwas von der Welt gesehen haben. Die, die wir jetzt haben, sind überhaupt nicht gereist, die sind im alten kommunistischen System groß geworden. Sie sprechen demokratisch, aber sie denken noch wie in den alten Zeiten. Deshalb brauchen wir die Jungen!"
Mit den gegenwärtigen Politik-Personal im Land könne man keinen Staat machen, kann Damir noch sagen, bevor er weiter muss - und schon gar nicht in Bosnien-Herzegowina mit seinen drei nationalistischen Parteiführern der Kroaten, Bosniaken und Serben und deren folgsamen Polit-Funktionären.
"Wir brauchen neue Anführer, neue Politiker. Junge Menschen, die am besten im Ausland studiert und etwas von der Welt gesehen haben. Die, die wir jetzt haben, sind überhaupt nicht gereist, die sind im alten kommunistischen System groß geworden. Sie sprechen demokratisch, aber sie denken noch wie in den alten Zeiten. Deshalb brauchen wir die Jungen!"
Kaum Chancen für die jungen Bosniaken
Zijada, die Besitzerin eines kleinen Parfüm- und Kosmetikladen in der Saraci Gasse, hat das Gespräch verfolgt. Auch an sie die Frage: Was erwarten Sie sich von den Wahlen?
"Ich erwarte nichts Neues. Nichts wird sich hier ändern."
Sie sei jetzt 52 Jahre alt. Und die soziale Kluft zwischen Menschen wie ihr und den mit den Regierenden eng vernetzten Superreichen werde immer größer. Viele junge Menschen verließen das Land, falls sie nicht in einer Partei seien, wie Zijada zutreffend schildert. Für die Jungen gebe es keine Chance, eine Arbeit zu finden, obwohl sie Hochschulabschluss hätten.
"Ich erwarte nichts Neues. Nichts wird sich hier ändern."
Sie sei jetzt 52 Jahre alt. Und die soziale Kluft zwischen Menschen wie ihr und den mit den Regierenden eng vernetzten Superreichen werde immer größer. Viele junge Menschen verließen das Land, falls sie nicht in einer Partei seien, wie Zijada zutreffend schildert. Für die Jungen gebe es keine Chance, eine Arbeit zu finden, obwohl sie Hochschulabschluss hätten.
Als Beispiel führt sie die Lage ihre beiden erwachsenen Kinder an: "Ich habe zwei Töchter. Die Ältere hat vor fünf Jahren ihr Jura-Studium abgeschlossen, hat aber keine Arbeit. Die Jüngere studiert Biogenetik im zweiten Studienjahr, aber die hat vor nach Deutschland zu gehen. Die Kleine sagt: 'Wenn es so weitergeht, dann wird das hier das Land der Alten und Greisen.'"
Schwierige Rückkehr
In Café auf der Empore eines der beiden riesigen Zwillings-Hochhäuser in Sarajevos Innenstadt, gegenüber der philosophischen Fakultät der Universität, sitzt Svetozar Pudaric. Ein großer, grauhaariger, sympathischer Herr, der im Gespräch ebenso nachdenklich wie verschmitzt und humorvoll über sein Leben Auskunft gibt.
Der 59-Jährige hatte früher, in den 80er-Jahren, Archäologie studiert, und befand sich auf dem besten Wege in der akademischen Welt Fuß zu fassen, als im Oktober 1992 - die Belagerung der Stadt durch die bosnischen Serben, Einheiten der jugoslawischen Bundesarmee und paramilitärischer Verbände hatte im März eingesetzt - seine Freundin und er von Granaten getroffen wurden. Seine Freundin, eine junge Architektin, verlor dabei ein Bein; es musste oberhalb des Knies amputiert werden. Das bosniakische Fernsehen zeigte damit das Paar, das im Hospital noch geheiratet hatte, nebeneinander in Krankenbetten liegend.
Beide wurden später aus der unablässig beschossenen Stadt evakuiert, zusammen mit der zwölf Tage alten Tochter. Sie kamen nach Deutschland und fanden im rheinland-pfälzischen Neuwied für dreieinhalb Jahre eine neue Heimat. Dort kam auch der Sohn auf die Welt. Wie es war, als er und seine Familie 1997, nach dem Waffenstillstand und dem Daytoner Abkommen, zurückkamen, nach Sarajevo?
"Wir gingen in unser Heimatland. Ich kehrte in meine Heimatstadt zurück. Ich erwarte also nicht viel mehr als normal weiter zu leben, wo ich geboren worden und aufgewachsen bin. Wir versuchten unser Leben so gut wie möglich zu machen."
Der Wiederanfang war schwer – als bosnischer Serbe fand der junge Archäologe keine Anstellung in seinem Beruf. Er lernte, wie man am Computer den Zeitungsumbruch gestaltet, interessierte sich zugleich für Politik und den Wiederaufbau im neu gegründeten Staat, in dem die ehemaligen Kriegsgegner leben sollten.
"Damals gab es Hoffnung. Heute kann man das nicht mehr fühlen. Man konnte die Spannungen zwischen den Menschen bemerken, die während des Krieges auf der gegnerischen Seite standen, geteilt von den Frontlinien. Man konnte fühlen, dass es sehr viel Schmerz und Bedauern gab. Aber unter all diesen negativen Gefühlen existierte der Glaube daran, dass es besser sein würde."
Beide wurden später aus der unablässig beschossenen Stadt evakuiert, zusammen mit der zwölf Tage alten Tochter. Sie kamen nach Deutschland und fanden im rheinland-pfälzischen Neuwied für dreieinhalb Jahre eine neue Heimat. Dort kam auch der Sohn auf die Welt. Wie es war, als er und seine Familie 1997, nach dem Waffenstillstand und dem Daytoner Abkommen, zurückkamen, nach Sarajevo?
"Wir gingen in unser Heimatland. Ich kehrte in meine Heimatstadt zurück. Ich erwarte also nicht viel mehr als normal weiter zu leben, wo ich geboren worden und aufgewachsen bin. Wir versuchten unser Leben so gut wie möglich zu machen."
Der Wiederanfang war schwer – als bosnischer Serbe fand der junge Archäologe keine Anstellung in seinem Beruf. Er lernte, wie man am Computer den Zeitungsumbruch gestaltet, interessierte sich zugleich für Politik und den Wiederaufbau im neu gegründeten Staat, in dem die ehemaligen Kriegsgegner leben sollten.
"Damals gab es Hoffnung. Heute kann man das nicht mehr fühlen. Man konnte die Spannungen zwischen den Menschen bemerken, die während des Krieges auf der gegnerischen Seite standen, geteilt von den Frontlinien. Man konnte fühlen, dass es sehr viel Schmerz und Bedauern gab. Aber unter all diesen negativen Gefühlen existierte der Glaube daran, dass es besser sein würde."
Kaum Wettbewerbsfähigkeit im regionalen Vergleich
Die Hoffnung habe es damals gegeben, dass es wieder funktionieren könnte, nicht wieder so, wie vor dem Krieg - aber so etwas ähnliches. Diese Erwartungen hätten sich nicht erfüllt. Svetozar Pudaric wollte damals noch nichts davon wissen. Optimistisch entschloss er sich als Politiker seine Heimat zu verändern, schließlich kandidierte im Frühjahr dieses Jahres - als bosnischer Serbe - für das Amt eines der drei Staatspräsidenten.
Jedes politische Amt, bis hinab zum Gemeinderat, muss paritätisch mit je einem Vertreter der drei Ethnien besetzt werden. Um öffentlich zu machen, wie absurd das von Dayton aufoktroyierte politische Korsett ist. Denn als bosnischer Serbe dufte Svetozar Pudaric in Sarajevo laut Verfassung nicht für die Föderation Bosnien-Herzegowina antreten. Er war ja schließlich kein Bosniake. Er kehrte der Politik anschließend den Rücken.
"Wir wissen, dass es keinen Krieg und keine Tote geben wird. Aber viele Menschen - nahezu jeder - fühlt, dass die Jahre, die jetzt kommen werden, nicht besser sein werden, oder gut. Dass die nächsten Jahre in wirtschaftlicher Hinsicht entweder so sein werden, wie jetzt - und sie sind nicht gut - oder schlechter als jetzt."
Die Wirtschaft im faktisch geteilten Land – in der Föderation, in der Republika Srpska und den kroatischen Gebieten in der Herzegowina - ist die am wenigsten Wettbewerbsfähige in der gesamten Region. Die ausufernde Dezentralisierung der Regierungsstellen, eine immense Bürokratie und seit Jahren zurückgehende Auslandsinvestitionen sowie die höchste Arbeitslosigkeit unter den Nachfolgefolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens prägen die Lage.
"Wir wissen, dass es keinen Krieg und keine Tote geben wird. Aber viele Menschen - nahezu jeder - fühlt, dass die Jahre, die jetzt kommen werden, nicht besser sein werden, oder gut. Dass die nächsten Jahre in wirtschaftlicher Hinsicht entweder so sein werden, wie jetzt - und sie sind nicht gut - oder schlechter als jetzt."
Die Wirtschaft im faktisch geteilten Land – in der Föderation, in der Republika Srpska und den kroatischen Gebieten in der Herzegowina - ist die am wenigsten Wettbewerbsfähige in der gesamten Region. Die ausufernde Dezentralisierung der Regierungsstellen, eine immense Bürokratie und seit Jahren zurückgehende Auslandsinvestitionen sowie die höchste Arbeitslosigkeit unter den Nachfolgefolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens prägen die Lage.
Touristenmagnet in Mostar
In der engen Gasse zur Brücke von Mostar schieben sich Touristen aus aller Welt entlang der Einkaufsläden und Restaurants in Richtung des Wahrzeichens der Stadt: Zur Brücke von Mostar, zur 2004 wieder errichteten Brücke, denn die "Stari Most", die alte Brücke über die Neretva, das im 16. Jahrhundert erbaute, osmanische Meisterwerk, war im November 1993 durch gezielten mehrstündigen Beschuss von Einheiten des kroatischen Verteidigungsrates zerstört worden.
Auf einem Hocker vor seinem Textil- und Andenkenladen sitzt Enes und trinkt seinen vormittäglichen Kaffee. Seit 17 Jahren betreiben seine Frau Ljubica und er diesen Laden in unmittelbarer Nähe zur Brücke. Das sei ihre einzige Einnahmequelle, um sich und ihre erwachsenen Söhne zu unterhalten. Von den Wahlen hält er nichts, es würde sich ohnehin nichts zum Besseren wenden. Und warum?
"Wieso fragen Sie mich das? Wenn Sie hier leben würden, wüssten sie, dass seit 25 Jahren nur leeres Gerede kommt. Die Politiker versprechen, dass es besser sein wird, aber nichts wird besser. Sehen Sie, meine Frau und ich, wir sind beide Tierärzte, aber arbeiten hier. Wir haben einen Sohn, der ist in Amerika, der zweite lebt in Dubrovnik, das dritte Kind in Sarajevo - alle sind arbeitslos. Die jungen Menschen verlassen das Land und gehen nach Deutschland, nach Island oder wer weiß wohin."
Die Durchschnittrente liegt bei umgerechnet 200 Euro im Monat - und über 30 Prozent der Menschen über 65 Jahre erhalten gar keine Rente. Es sind Zahlen wie diese, die das Ausmaß der sozialen Lage in dem ehemaligen Bürgerkriegsland illustrieren. Zahlen, die Professor Nikolina Obradovic als Sozialwissenschaftlerin an der Universität von Mostar analysiert.
"Wieso fragen Sie mich das? Wenn Sie hier leben würden, wüssten sie, dass seit 25 Jahren nur leeres Gerede kommt. Die Politiker versprechen, dass es besser sein wird, aber nichts wird besser. Sehen Sie, meine Frau und ich, wir sind beide Tierärzte, aber arbeiten hier. Wir haben einen Sohn, der ist in Amerika, der zweite lebt in Dubrovnik, das dritte Kind in Sarajevo - alle sind arbeitslos. Die jungen Menschen verlassen das Land und gehen nach Deutschland, nach Island oder wer weiß wohin."
Die Durchschnittrente liegt bei umgerechnet 200 Euro im Monat - und über 30 Prozent der Menschen über 65 Jahre erhalten gar keine Rente. Es sind Zahlen wie diese, die das Ausmaß der sozialen Lage in dem ehemaligen Bürgerkriegsland illustrieren. Zahlen, die Professor Nikolina Obradovic als Sozialwissenschaftlerin an der Universität von Mostar analysiert.
Obradovic hat einen unverstellten Blick auf die Politik ihres faktisch unverändert geteilten Landes: "Ich glaube nicht, dass diese Wahlen etwas ändern werden. Weil es auf der politische Bühnen nichts neues gibt."
Rund 40 Prozent des Staatshaushalts für Kriegsveteranen
Es sei gleichgültig, ob der bosnische Ableger der kroatischen Regierungspartei HDZ etwas zulegen werde oder die bosniakische SDA von Bakir Izetbegovic oder die Partei der bosnischen Serben SNSD von Milorad Dodik Stimmen verlieren werden. An dem System werde sich nichts ändern, sagt die Wissenschaftlerin.
"Es ist schlimmer als vor dem Krieg. Klientelismus gab es hier schon vorher. Der Zugang zu Jobs wurde von der kommunistischen Partei kontrolliert, ebenfalls der Zugang zu Ressourcen, Dienstleistungen, zu allem. Das System hat überlebt und ist heute noch schlimmer, weil man geringere wirtschaftliche Möglichkeiten hat als vorher. Und ich glaube, vor allem junge Leute haben davon die Nase voll. Das ist einer der Hauptgründe, warum sie gehen."
Das treffe auch auf die sogenannte "mittlere" Generation zu; auf Berufstätige, die die Hoffnung auf eine Verbesserung der Lage inzwischen aufgegeben hätten. Die politischen Parteien würden ausschließlich ihre ethnische Klientel bedienen und sich somit deren Zustimmung bei den Wahlen sichern.
"Es ist schlimmer als vor dem Krieg. Klientelismus gab es hier schon vorher. Der Zugang zu Jobs wurde von der kommunistischen Partei kontrolliert, ebenfalls der Zugang zu Ressourcen, Dienstleistungen, zu allem. Das System hat überlebt und ist heute noch schlimmer, weil man geringere wirtschaftliche Möglichkeiten hat als vorher. Und ich glaube, vor allem junge Leute haben davon die Nase voll. Das ist einer der Hauptgründe, warum sie gehen."
Das treffe auch auf die sogenannte "mittlere" Generation zu; auf Berufstätige, die die Hoffnung auf eine Verbesserung der Lage inzwischen aufgegeben hätten. Die politischen Parteien würden ausschließlich ihre ethnische Klientel bedienen und sich somit deren Zustimmung bei den Wahlen sichern.
Rund 30 Prozent aller Erwerbstätigen arbeiteten im Öffentlichen Sektor, stellt Nikolina Obradovic von der Universität von Mostar fest. Die kroatische Bosnierin sieht die strukturellen Probleme ihres Landes sehr deutlich. Dazu zähle vor allem auch die enge Verbindung zwischen den jeweiligen ethnischen Parteien und "ihren" Kriegsveteranen". Rund 40 Prozent des Staatshaushalts werde für die Versorgungsansprüche von Kriegsveteranen ausgegeben - und dies spiegele sich in einer verhängnisvollen Wechselwirkung wider.
Banja Luka, im Norden von Bosnien-Herzegowina, die zweitgrößte Stadt mit nahezu 200.000 Einwohnern und zugleich Regierungssitz der "Republika Srpska", der serbisch dominierten "Entität" des Landes. Seit Ende der 90er-Jahre wird die Republika Srpska von Milorad Dodik dominiert, zunächst in der Funktion des Premierministers, seit 2010 ist er Präsident der serbischen "Entität" - ein völkerrechtlicher Ausdruck, der im Daytoner Abkommen festgelegt worden ist.
Es ist ein sonniger Herbsttag. In der Einkaufsstraße in der Nähe des zentralen Stadtparks Petar Kocic herrscht kein großes Treiben. Schuh- und Kosmetikläden wechseln sich ab mit ausländischen Bankfilialen. Auch hier messen Passanten den Wahlen keine große Bedeutung bei.
"Es wird sich nichts ändern. Das ist mir egal. Denn ich habe mein eigenes Geschäft und bin von niemanden abhängig. Mir ist das völlig wurscht, wer bei den Wahlen gewinnt."
Der 29-jährige Mann hält nichts von dem - wie er meint - "künstlich zusammengehaltenen" Gesamtstaat Bosnien-Herzegowina. Die sprachliche, kulturelle und wirtschaftliche Nähe zum Nachbarn Serbien ist tief verwurzelt.
"Ich finde, wir selbstständig bleiben, und nicht zur EU gehören, damit wir nicht zu einem Bollwerk für Westeuropa werden."
Es ist ein sonniger Herbsttag. In der Einkaufsstraße in der Nähe des zentralen Stadtparks Petar Kocic herrscht kein großes Treiben. Schuh- und Kosmetikläden wechseln sich ab mit ausländischen Bankfilialen. Auch hier messen Passanten den Wahlen keine große Bedeutung bei.
"Es wird sich nichts ändern. Das ist mir egal. Denn ich habe mein eigenes Geschäft und bin von niemanden abhängig. Mir ist das völlig wurscht, wer bei den Wahlen gewinnt."
Der 29-jährige Mann hält nichts von dem - wie er meint - "künstlich zusammengehaltenen" Gesamtstaat Bosnien-Herzegowina. Die sprachliche, kulturelle und wirtschaftliche Nähe zum Nachbarn Serbien ist tief verwurzelt.
"Ich finde, wir selbstständig bleiben, und nicht zur EU gehören, damit wir nicht zu einem Bollwerk für Westeuropa werden."
Wahlen ohne Bedeutung?
Im Stadtpark Petar Kocic vertreiben sich Kleinkinder den Nachmittag, beobachtet von ihren Müttern, die sich im Café mit Freundinnen treffen. Mit einem Rucksack über der Schulter kommt Danijel Simic an den Tisch - ein großer, in schwarz gekleideter Mann, mit kahlrasiertem Kopf und einem kräftigen Vollbart. Danijel ist Journalist des Online-Portals "Frontal", hat eine Biographie über den von ihm verehrten ehemaligen Anführer der bosnischen Serben Radavon Karadzic geschrieben, der vom UN-Kriegsverbrecher-Tribunal in Den Haag wegen des Massakers von Srebrenica zu insgesamt 40 Jahren Haft verurteilt worden ist.
Mit dem Begriff des "Gesamtstaates Bosnien-Herzegowina" kann der 42jähige Journalist nichts anfangen: "Ich spreche über Bosnien-Herzegowina nicht wie von einem Staat sondern von einer staatlichen Vereinigung, denn gemäß des Abkommens von Dayton haben wir zwei Einheiten, zwei Entitäten. Jede Einheit hatte ihre Armee, ihr Bildungswesen, ihre Wirtschaft. Und jetzt ist in der Zwischenzeit aus Bosnien-Herzegowina eine Föderation geworden."
Bosnien-Herzegowina sei ein "gescheiterter Staat", stellt er fest. Die Abneigung gegen jede Art der Einmischung in die "inneren Angelegenheiten" der Republika Srbska durch Sarajevo sowie auch durch den Westen drückt der nationalistisch argumentierende Journalist so aus:
"Außerdem ist Bosnien-Herzegowina kein souveräner Staat. Wir haben drei Mechanismen, die sich einander ausschließen, zum Beispiel die Justiz, die nicht souverän ist. Im Verfassungsgericht haben wir drei Ausländer."
Bosnien-Herzegowina sei ein Gebilde, mit dem niemand zufrieden sei - und das in allen Landesteilen. Deshalb hätten die Wahlen auch keine Bedeutung. Alles bleibe so, wie es seit langem sei. Es sei daher längst an der Zeit, das Daytoner Abkommen aufzulösen und damit die Gesamtstaatlichkeit des Landes.
"Die Revision von Dayton ist immer auf dem Tisch. Und eine Seite, die muslimische Seite, benimmt sich in der ganzen Sache wie ein verwöhntes Kind, das im Supermarkt weint, weil die Mutter ihm nichts kaufen will. Und diese Seite bekommt Unterstützung von der NATO und vielen europäischen Länder."
Bosnien-Herzegowina sei ein "gescheiterter Staat", stellt er fest. Die Abneigung gegen jede Art der Einmischung in die "inneren Angelegenheiten" der Republika Srbska durch Sarajevo sowie auch durch den Westen drückt der nationalistisch argumentierende Journalist so aus:
"Außerdem ist Bosnien-Herzegowina kein souveräner Staat. Wir haben drei Mechanismen, die sich einander ausschließen, zum Beispiel die Justiz, die nicht souverän ist. Im Verfassungsgericht haben wir drei Ausländer."
Bosnien-Herzegowina sei ein Gebilde, mit dem niemand zufrieden sei - und das in allen Landesteilen. Deshalb hätten die Wahlen auch keine Bedeutung. Alles bleibe so, wie es seit langem sei. Es sei daher längst an der Zeit, das Daytoner Abkommen aufzulösen und damit die Gesamtstaatlichkeit des Landes.
"Die Revision von Dayton ist immer auf dem Tisch. Und eine Seite, die muslimische Seite, benimmt sich in der ganzen Sache wie ein verwöhntes Kind, das im Supermarkt weint, weil die Mutter ihm nichts kaufen will. Und diese Seite bekommt Unterstützung von der NATO und vielen europäischen Länder."