Nach Hochrechnungen vom Donnerstagmorgen deutete alles auf eine neue Regierung unter Ruttes Führung hin. Rutte sagte: "Das war heute ein Fest für die Demokratie." Der Wähler habe Nein gesagt "zu der falschen Art von Populismus". Die Koalitionsbildung dürfte aber wegen der Zersplitterung der Parteienlandschaft kompliziert werden. Da es in den Niederlanden keine Sperrklausel wie die deutsche Fünf-Prozent-Hürde gibt, reicht ein kleiner Anteil der Stimmen aus, um einen Platz in der "Tweede Kamer" (Zweiten Kammer) zu erobern. Notwendig für die Regierungsbildung sind 76 der 150 Parlamentssitze.
Die diplomatische Krise mit der Türkei gilt im Nachhinein als bei der Wahl hilfreich für Rutte. Der Ministerpräsident zeigte Härte gegenüber dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan und holte so mehr Stimmen als in den jüngsten Umfragen vorausgesagt worden waren.
Klarer Sieg trotz Verlusten für Ruttes VVD
Auf der Grundlage der Auszählung von 95 Prozent der Stimmen ergab sich folgendes Bild: Die rechtsliberale Partei von Rutte liegt mit 21,3 Prozent klar vorn, obwohl sie im Vergleich zur vorigen Wahl 2012 deutlich verlor. Danach folgt die Partei des Rechtspopulisten Geert Wilders mit 13,1 Prozent. Auf dem dritten Platz liegen mit 12,4 Prozent die Christdemokraten. Knapp dahinter kommen die linksliberalen "Democraten 66" mit 12,1 Prozent.
In Mandaten ergeben sich 33 Sitze für Ruttes Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD). Wilders' Partei für die Freiheit (PVV) kommt auf 20 der 150 Parlamentssitze. Die Christdemokraten und die Democraten 66 holen jeweils 19. Das Endergebnis der Wahl verzögert sich, die Auszählung der restlichen Stimmen könne sich möglicherweise bis Freitag hinziehen, berichtete die Nachrichtenagentur ANP.
Die Beteiligung der Bürger lag nach einem zugespitzten Wahlkampf bei 81 Prozent - deutlich höher als 2012. Damals beteiligten sich knapp 75 Prozent der etwa 13 Millionen Stimmberechtigten.
Wilders: "Nicht das, worauf ich gehofft hatte"
Der Rechtspopulist Geert Wilders wollte die Niederlande aus der EU führen und lag viele Monate in den Umfragen deutlich vorn. Der 53-Jährige bediente Ängste vor einer Zukunft in Europa, dem Verlust der nationalen Identität und dem Islam. Alle anderen großen Parteien hatten eine Zusammenarbeit mit ihm ausgeschlossen.
"Wir gehören zu den Gewinnern der Wahl, aber ich wäre natürlich gern die größte Partei geworden", sagte Wilders, dessen Partei PVV nur ihn als Mitglied hat, in Den Haag. "Das sind nicht die 30 Sitze, auf die ich gehofft hatte. Aber Herr Rutte ist mich nicht los!"
Erleichterung in Deutschland und Europa
Politiker in Deutschland und in anderen europäischen Ländern zeigten sich erleichtert über den Wahlausgang. Bundeskanzlerin Angela Merkel beglückwünschte Rutte telefonisch, wie Regierungssprecher Steffen Seibert auf Twitter schrieb. Er zitierte Merkel mit den Worten: "Ich freue mich auf weiter gute Zusammenarbeit als Freunde, Nachbarn, Europäer."
Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) wertete den Wahlausgang als "Erfolg für Europa". SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz sagte, den ersten Prognosen zufolge habe die überwältigende Mehrheit der Niederländer der "Hetze von Geert Wilders und seiner unsäglichen Haltung gegenüber ganzen Bevölkerungsgruppen" eine klare Absage erteilt.
Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) gratulierte geradezu euphorisch: "Niederlande, oh Niederlande, du bist ein Champion! Wir lieben Oranje für sein Handeln und sein Tun! Herzlichen Glückwunsch zu diesem tollen Ergebnis!", schrieb er auf Twitter in Bezugnahme auf einen niederländischen Schlager.
Der in den Niederlanden geborene CDU-Bundestagsabgeordnete Kees de Vries nannte die Wahl im Deutschlandfunk ein "Entscheidung für Kontinuität und Stabilität". Friso Wielenga, , Direktor des Zentrums für Niederlande-Studien an der Uni Münster, sagte im Deutschlandfunk, dass Wilders "insgesamt ein bisschen zu groß gemacht" worden sei. Die Niederländer hätten sich mehrheitlich nach Kontinuität gesehnt.
Auch EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker zeigte sich erfreut: "Ein Votum für Europa, ein Votum gegen Extremisten", war sein Kommentar. Der französische Präsident François Hollande sprach von einem "klaren Sieg gegen den Extremismus": Die Werte der Offenheit, des Respekts gegenüber anderen und des Glaubens an Europa seien die einzige Antwort auf Nationalismus und Abschottung, teilte der Pariser Élyséepalast in der Nacht zum Donnerstag mit.
Blick zur nächsten Wahl nach Frankreich
Der Euphorie folgt nun der Blick eben nach Frankreich, wo am 23. April 2017 die Präsidentschaftswahl stattfindet, bei der Hollande nicht mehr antreten wird. Die EU ist in mehreren Ländern mit europafeindlichen Kräften konfrontiert, der Brexit-Beschluss der britischen Wähler hatte im vergangenen Jahr zu einer großen Krise geführt. In Frankreich stimmt Marine Le Pen vom Front National ähnliche antieuropäische und islamfeindliche Töne wie Geert Wilders an.
(nch/sh)