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Wahl in den Niederlanden
"Vier, vielleicht fünf Parteien könnten stärkste Kraft werden"

Die niederländische Parteienlandschaft biete derzeit ein sehr unübersichtliches Bild, sagte Markus Wilp vom Zentrum für Niederlande-Studien an der Universität Münster im DLF. Viele Parteien lägen gleichauf, entsprechend schwierig dürfte die Koalitions- und Regierungsbildung werden. Nur einer werde dabei wohl keine Rolle spielen.

Markus Wilp im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Wähler stehen vor einem Wahllokal in Den Haag Schlange.
    Das Verhältnis der Niederländer zur EU sei ambivalent, sagte Markus Wilp im Interview mit dem Deutschlandfunk. (AFP / Emmanuel Dunand)
    Martin Zagatta: Der Rechtspopulist Wilders und seine Partei könnten zur stärksten Kraft in den Niederlanden werden, hieß es zumindest lange, und deshalb schaut man in Deutschland und Frankreich fast schon wie das Kaninchen auf die Schlange in unserem Nachbarland.
    Mitgehört hat Markus Wilp. Er ist Geschäftsführer des Zentrums für Niederlande-Studien an der Uni in Münster. Guten Tag, Herr Wilp!
    Markus Wilp: Guten Tag!
    Zagatta: Herr Wilp, wir haben das eben im Beitrag gehört. Geert Wilders hat so gut wie keine Chancen, Ministerpräsident zu werden, oder auch nur an der Regierung beteiligt zu werden. Ist diese Wahl in den Niederlanden denn überhaupt so spannend?
    "Es gibt viele Parteien, die ungefähr gleichauf liegen"
    Wilp: Ja, die Wahl ist sehr, sehr spannend. Das hängt damit zusammen, wie es im Beitrag ja auch richtig gesagt wurde, dass man heute noch gar nicht so ganz genau weiß, wie die Wahl ausgehen wird. Es gibt ein sehr, sehr unübersichtliches Bild, viele Parteien, die ungefähr gleichauf liegen. Es gibt vier, vielleicht fünf Parteien, die heute als stärkste Kraft aus der Wahl hervorgehen können. Das heißt, da ist noch ganz, ganz viel Unsicherheit, und das macht so eine Wahl natürlich ganz, ganz interessant und spannend.
    Zagatta: Wenn da so viele Kräfte mitmischen mit guten Chancen, dann sollte – das könnte man ja zumindest denken – eine Regierungsbildung eigentlich auch nicht so schwierig werden. Oder doch?
    Wilp: Ja gerade deshalb. Wir reden über Umfrageergebnisse, die eine stärkste Partei – das ist im Moment die konservativ-liberale VVD – bei 17 Prozent sehen und dann viele Parteien so zwischen 10 und 17 Prozent. Das heißt, wir werden nach der Wahl wahrscheinlich ein Vier-, vielleicht sogar ein Fünf-Parteien-Bündnis erleben, und dieses Bündnis muss erst mal zusammenkommen. Da werden viele Gespräche notwendig sein und dann stellt sich natürlich auch die Frage, wie stabil eine solche Regierung zwischen vier oder fünf annähernd gleich starken Partnern sein kann.
    Zagatta: Nun haben wir gerade gehört, mit Wilders will eigentlich niemand koalieren, selbst wenn er gut abschneidet. Ist das für Sie damit ausgeschlossen, dass er irgendwie in die Regierung kommt?
    "Fast alle wichtigen Parteien sind gegen ein Bündnis mit Wilders"
    Wilp: Nach jetzigem Stand ist das tatsächlich so gut wie ausgeschlossen, weil sich fast alle wichtigen Parteien gegen ein Bündnis mit Wilders ausgesprochen haben, weil sie ihn als unzuverlässig ansehen, weil sie seine radikalen Forderungen ablehnen. Dementsprechend ist es dann wirklich nicht sehr realistisch, dass er genügend Koalitionspartner zusammenbekommt. Nichts desto trotz könnte er natürlich, wenn er die stärkste Partei stellen würde, auch in der Opposition eine wichtige Rolle spielen und immer wieder darauf hinweisen, dass er ja eigentlich den Regierungsauftrag bekommen hat.
    Zagatta: Was würde das denn bedeuten? Falls er tatsächlich zur stärksten Kraft würde, dann wäre es nicht so, dass er erst mal mit der Regierungsbildung beauftragt wird. Das ist in den Niederlanden anders geregelt.
    Wilp: Doch, doch. In den letzten Jahren und Jahrzehnten war es eigentlich immer schon so, dass die stärkste Partei auch den Ministerpräsidenten gestellt hat. Gleichzeitig sind die Niederlande ein Koalitionsland. Das heißt, man muss schon ein Bündnis zusammenbekommen. Das wird er nicht schaffen. Das wird ihm nicht gefallen, da wird er auch sehr wütend drüber sein und dann wird ein anderes Bündnis entstehen müssen. Eine solche Wahl hätte natürlich aber sowohl für die niederländische Politik, als auch für die Stimmung in Europa dann Auswirkungen.
    Zagatta: Wenn wir gehört haben, dass Islam mit das beherrschende Thema war, Zuwanderung in den vergangenen Wochen, dann hat die Regierung von Mark Rutte ja eine relativ harte Haltung gegenüber der Türkei an den Tag gelegt, was diese Auftrittsverbote angeht, hat sich mit der Türkei auch angelegt. War das, jetzt rein wahlkampftechnisch betrachtet, sehr geschickt?
    "Den Austritt aus der EU fordert nur Wilders"
    Wilp: Ich denke nicht, dass es primär um Wahlkampf ging. Man kann aber schon sagen, dass, wie es im Bericht auch gesagt wurde, fast alle Niederländer, 90 Prozent die Regierung in ihrem Kurs unterstützt haben, und dementsprechend waren die Umfragewerte für Rutte und seine VVD in den letzten Tagen auch ein bisschen positiver. Allerdings nicht signifikant. Es ist nicht so, dass sich durch diese Vorgänge am Wochenende jetzt die politische Landschaft total verändert hätte. Wir sehen einen leichten Zuwachs für Rutte und seine Partei.
    Zagatta: Wilders macht Wahlkampf oder vertritt die Position ja schon lange, er ist für einen EU-Austritt der Niederlande. Gibt es da noch andere Kräfte in der Parteienlandschaft in den Niederlanden, die das mit unterstützen würden, oder steht er da ziemlich alleine?
    Wilp: Mit dieser Forderung steht er alleine. Es gibt natürlich in den Niederlanden wie in vielen anderen Ländern auch Kritik an der EU, an ihren Strukturen. Aber den Austritt aus der EU fordert nur Wilders, und man muss sich natürlich auch die Frage stellen, wie realistisch eine solche Forderung ist. Erstens wird es sehr wahrscheinlich gar nicht zu einer solchen Abstimmung kommen und zweitens wäre dann davon auszugehen, dass dann auch eine Mehrheit der Niederländer für den Verbleib in der EU stimmen würde.
    Zagatta: Der Austritt wahrscheinlich kein Thema. Aber stehen denn die Niederländer noch voll und ganz zu Europa?
    "Alle Parteien haben eher ein funktionales Verhältnis zu Europa"
    Wilp: Na ja, voll und ganz zu Europa – an Euphorie merkt man wenig. Auch im Wahlkampf ist es so, dass alle Parteien eher ein funktionales Verhältnis zu Europa zeigen, und das basiert natürlich auch auf der Stimmung in der Bevölkerung. Man schätzt die Vorteile, vor allem die wirtschaftlichen Vorteile der EU. Gleichzeitig möchte man schon Chef im eigenen Haus bleiben. Das heißt, politische Souveränität möchte man nicht so gerne nach Brüssel abgeben. Das heißt, da ist das Verhältnis ein bisschen ambivalent.
    Zagatta: Sie verfolgen ja beide Länder. Sie verfolgen auch Deutschland, die politische Entwicklung genau und können da vielleicht auch vergleichen. Wie wird denn die Flüchtlingspolitik von Frau Merkel in den Niederlanden beurteilt?
    Wilp: Unterschiedlich. Es gibt durchaus Parteien wie beispielsweise die Grünen in den Niederlanden, die wahrscheinlich heute große Zugewinne haben werden, die das sehr positiv sehen. Es gibt auch viele Parteien, die schon darauf drängen, dass da die europäische Zusammenarbeit besser werden muss und dass das, was jetzt passiert ist, nämlich dass sich viele Länder weggeduckt haben, zukünftig nicht geht. Auf der anderen Seite des Spektrums steht natürlich Wilders, der diese Flüchtlingspolitik ganz furchtbar findet und der für geschlossene Grenzen eintritt.
    "Man möchte diesen türkischen Wahlkampf nicht im eigenen Land austragen"
    Zagatta: Wenn man Frau Merkel und der Union jetzt einen Rat geben müsste, wenn ich Sie recht verstanden habe, haben Sie uns vorhin gesagt, ein Großteil der Niederländer steht hinter dieser etwas härteren Haltung gegenüber der Türkei, auch hinter den Auftrittsverboten. Müsste man, wenn man diese Erfahrungen berücksichtigt, den deutschen Konservativen, der Union vielleicht auch raten, einen solchen Kurs einzuschlagen?
    Wilp: Das ist eine ganz schwierige Frage und wir sehen ja im Moment, wie viele Länder Europas mit dieser Frage hadern. Aber es ist schon so und da ist man sich, glaube ich, auch in den Niederlanden und Deutschland weitgehend einig, dass man diesen türkischen Wahlkampf, diese innenpolitischen Konflikte nicht so gerne im eigenen Land austragen möchte. Das war auf jeden Fall die Stimmung in den Niederlanden sehr deutlich.
    Zagatta: Heute Mittag im Deutschlandfunk Markus Wilp, der Geschäftsführer des Zentrums für Niederlande-Studien an der Uni Münster. Herr Wilp, herzlichen Dank für dieses Gespräch.
    Wilp: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.