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Wahl in den Niederlanden
"Wir haben Wilders ein bisschen zu groß gemacht"

Premier Mark Rutte hat die Wahl in den Niederlanden gewonnen. Viele Menschen im Land hätten sich nach mehr Stabilität und Kontinuität gesehnt, sagte Friso Wielenga, Direktor des Zentrums für Niederlande-Studien an der Uni Münster, im DLF. Deshalb hätten viele Niederländer am Ende doch nicht für den Rechtspopulisten Geert Wilders gestimmt.

Friso Wielenga im Gespräch mit Jonas Reese |
    Der Rechtspopulist Geert Wilders verlässt am 15.03.2017 ein Wahllokal in Den Haag (Niederlande) .
    Der Rechtspopulist Geert Wilders verlässt ein Wahllokal in Den Haag (dpa/ picture alliance/ Daniel Reinhardt/)
    Jonas Reese: Am Telefon ist jetzt Friso Wielenga, Direktor vom Zentrum für Niederlande-Studien an der Uni Münster. Guten Abend!
    Friso Wielenga: Guten Abend!
    Reese: Die rechtsliberale VVD hat den Prognosen zufolge gewonnen, sie ist stärkste Kraft geworden. Geert Wilders bleibt hinter den Erwartungen zurück. Ist das jetzt das erhoffte Signal gegen die Rechtspopulisten, Ihrer Meinung nach?
    Wielenga: Ein wenig schon, denn ich glaube, dass die Tatsache, dass Wilders nicht so abgeschnitten hat, wie es ihm in den Prognosen teilweise vorhergesagt worden ist, sicherlich auch damit zusammenhängt, dass er einerseits viel weg war im Wahlkampf und andererseits, als er sich dann seit dem Wochenende wieder sehr deutlich präsent gemeldet hat, dass er dann auch sehr viel Krawall gemacht hat. In der Türkei-Krise hat er sehr viel Krawall gemacht, er hat in den Debatten jetzt am vergangenen Montag und gestern Abend noch im Fernsehen auch seine alte Strategie verfolgt, und ich glaube, dass die Tatsache, dass Rutte besser abgeschnitten hat, als in den Prognosen vorhergesagt worden ist, damit zu tun hat, dass viele Niederländer sich nach ein bisschen Stabilität, ein bisschen Kontinuität sehnen und auch gedacht haben, wenn der Wilders zu groß wird, dann haben wir doch ein bisschen zu viel potenzielles Chaos im Lande.
    Und ich kann mir auch gut vorstellen, dass die Tatsache, dass Rutte so viel besser abgeschnitten hat als in den vorherigen Prognosen, dass viele Leute, die potenziell gar nicht so gerne VVD wählen würden, dass sie doch gedacht haben, jetzt könnte die Stimmung doch noch kippen, wir wählen doch Rutte, damit es klar ist, dass wir einen Wahlsieger haben, der dann eben nicht Wilders heißt.
    "Die Sozialdemokraten sind die großen Verlierer"
    Reese: Ein klares Signal gegen Rechtspopulisten, sagen Sie. Aber dennoch muss man ja festhalten: Wilders hat den Prognosen zufolge dazugewonnen, und zwar vier Sitze mehr als 2012.
    Wielenga: Ja gut. Wenn man jetzt nach Prozentsätzen guckt: 2012 hatte er etwa zehn Prozent; jetzt wird er auf etwa 12,7 landen. Ja, er hat ein bisschen gewonnen. Aber er ist zum Beispiel noch weit zurückgeblieben hinter dem Ergebnis von 2010. In 2010 hatte er etwa 16 Prozent der Stimmen. Und die Tatsache, dass man jetzt von ihm auch nichts hört, abgesehen von diesem einen Tweet, ist natürlich auch ein Hinweis darauf, dass er doch selber bestimmt sehr enttäuscht ist.
    Wir können vielleicht auch feststellen, abgesehen davon, was die letzten Tage, auch mit der Türkei und auch mit den Debatten, was das alles für Nachwirkungen gehabt hat, aber vielleicht müssen wir auch ein bisschen die Lehre daraus ziehen: Ich glaube, wir haben Wilders auch insgesamt ein bisschen zu groß gemacht. Wir haben bei aller Aufmerksamkeit, die er bekommen hat, immer wieder gedacht, er wird der größte, er könnte Ministerpräsident werden, während alle Prognosen eigentlich deutlich machten, nein, er wird wahrscheinlich nicht über 15 Prozent hinauskommen, und dann ist er vielleicht relativ groß, aber dann ist er doch noch immer eine mittelgroße Partei.
    Jetzt kann es sogar noch so sein, dass er nicht einmal zweitstärkste, sondern sogar viertstärkste Kraft ist, denn momentan liegen ja die Christdemokraten, die Linksliberalen und die PVV alle so ungefähr bei 12,7 Prozent und da kann sich natürlich noch das eine oder andere nach oben oder nach unten verschieben.
    Reese: Die bisherige Regierung, die wurde sozusagen abgestraft, kann man, glaube ich, sagen. Großer Wahlverlierer sind die Sozialdemokraten. Welche Koalitionen sind denn jetzt denkbar, Ihrer Meinung nach, und was würden die für den künftigen Kurs der Niederlande bedeuten?
    Wielenga: Zunächst einmal: Die Sozialdemokraten sind natürlich die großen Verlierer. Aber wenn wir jetzt davon reden, dass die VVD der Wahlsieger ist – Sie müssen dann auch im Hinterkopf haben und Ihre Kollegin in Den Haag hat es gerade auch völlig richtig gesagt, die VVD hat auch stark verloren. Sie hat 25 Prozent ihrer Sitze verloren. Das heißt, sie lag bei knapp 27 Prozent, und jetzt liegt sie etwa bei 20 Prozent. Sie hat stark verloren, aber das, was sie gewonnen hat im Vergleich zu den Prognosen, fühlt sich einfach stärker an als die Niederlage.
    "Für Rutte ist die Verhandlungsposition sehr günstig"
    Aber jetzt zur möglichen Regierung. Es ist völlig klar: Der alte Ministerpräsident ist der neue, und der wird direkt zusammenarbeiten können mit den Christdemokraten, mit den Linksliberalen, die auch ungefähr 12,7 Prozent haben, und dann liegen die zusammen schon fast bei 50 Prozent. Diese drei, die brauchen tatsächlich allerdings noch eine vierte Partei. Auf der Hand liegen die Grünen, die sehr stark gewonnen haben, und das ist auch ein bisschen eine niederländische Tradition, dass die Wahlgewinner, diejenigen, die wirklich stark gewonnen haben – und man muss wirklich sagen, die Grünen haben am stärksten gewonnen von allen -, dass die auch in die Regierungsbeteiligung mit einbezogen werden.
    Diese Vier-Parteien-Konstellation hätte im Parlament 85 Sitze. Man braucht 76 für eine Mehrheit, wäre also eine satte Mehrheit. Für Rutte ist günstig, dass es auch noch potenzielle andere Möglichkeiten gibt. Er könnte sogar, nicht, dass die Sozialdemokraten das wollen und tun werden, aber man kann sich sogar noch eine Regierung vorstellen von Konservativen, Liberalen, Christdemokraten, Linksliberalen und Sozialdemokraten. Und dann gibt es noch eine dritte Möglichkeit, dass man mit den kleinen orthodox-protestantischen Parteien zusammenarbeitet. Das heißt, für Rutte ist die Verhandlungsposition gegenüber den Partnern eigentlich sehr, sehr günstig.
    Es wird ein bisschen dauern, aber auch in der Vergangenheit gab es mal ein Vier-Parteien-Kabinett in den Niederlanden. Wir können erwarten, dass wir eine Regierung bekommen, die weitgehend die Politik der letzten Jahre fortsetzt. Die VVD ist ja sowieso eine Partei, die diese Politik fortsetzen wird. Die Christdemokraten liegen auch eigentlich auf dieser Linie. Die Linksliberalen werden in bestimmten Aspekten eine etwas andere Betonung machen, aber in der Wirtschaftspolitik sind sie genauso wie die Konservativ-Liberalen. Sie sind deutlich ein bisschen proeuropäischer, das gilt auch für die Grünen.
    Insofern kann es so sein, wenn tatsächlich diese Regierungskoalition zustande kommt von Konservativ-Liberalen, Christdemokraten, Linksliberalen und Grünen, dass wir dann eine Regierung bekommen, die deutlicher proeuropäisch ist, und das könnte dann auch eine gute Unterstützung sein für die Regierung in Berlin, ob dann nun bei der Wahl im Herbst Merkel oder Herr Schulz dann die neue Regierungschefin oder der neue Chef sein wird.
    "Es ist ein Signal, Populismus ist nicht so stark, wie wir alle denken"
    Reese: In die Richtung wollte ich Sie gerade fragen. Sie haben gerade gesagt, Geert Wilders wurde vielleicht etwas groß gemacht im Vorfeld der Wahlen, auch von den Medien, wenn ich das richtig verstanden habe. Was für ein Signal geht denn jetzt von den Niederlanden aus, ihrer Meinung nach, in Bezug auf die kommenden Wahlen in Frankreich und Deutschland? Was kann man vielleicht jetzt auch lernen im Umgang mit den Rechtspopulisten?
    Wielenga: Zunächst einmal geht, glaube ich, aus dem Ergebnis nicht einmal so ein richtiges Signal aus, denn die Wahlen werden letztendlich in Frankreich entschieden von denjenigen, die potenziell Le Pen wählen, und in Deutschland von denjenigen, die dann potenziell AfD wählen. Insofern würde ich da ein bisschen vorsichtig sein. Umgekehrt wäre es so gewesen, wenn Wilders jetzt tatsächlich der größte geworden wäre – und das erklärt natürlich auch das Interesse, das ist völlig klar -, wenn Wilders tatsächlich der größte geworden wäre, dann hätte das tatsächlich das Gefühl gegeben, jetzt gehen auch die Schleusen in Europa auf. Insofern könnte man sagen, ja, es ist ein Signal, Populismus ist nicht so stark, wie wir alle denken. Aber ansonsten sind es doch letztendlich die Wählerinnen und Wähler in Frankreich und Deutschland, die das entscheiden, und da sollte man die Signalwirkung von den Niederlanden auch nicht zu groß machen.
    Reese: … sagt Friso Wielenga, Direktor vom Zentrum für Niederlande-Studien an der Uni Münster. Ganz herzlichen Dank und einen schönen Abend.
    Wielenga: Ja, gerne geschehen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.